Hintergrund: Das auf Bleuler 1916 zurückgehende psychoorganische Syndrom wurde in seiner leichten Ausprägung unter dem Konzept der Minimalen Cerebralen Dysfunktion (MCD) ererbter oder früherworbener Genese für das Kindes- und Erwachsenenalter adaptiert. Das psychoorganische Syndrom kann als gemeinsame Endstrecke unterschiedlichster Hirnschädigungen oder -entwicklungsstörungen angesehen werden. Charakteristische Symptome sind kognitive (Mnestik, Orientierung, Konzentration) und emotionale (z.B. Affektinkontinenz, Affektlabilität) Teilleistungsstörungen oder neurologische „Soft Signs“. Bei dem Versuch, aus dem mehrdimensionalen Teilleistungskonzept eine kategoriale Diagnose abzuleiten wurde die Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) definiert. Allerdings zeigen auch diese Patienten dass es sich um eine mehrdimensionale Störung handeln muss, die mit den Leitsymptomen der Antriebs- und Aufmerksamkeitsstörung nicht hinreichend beschrieben ist. Insbesondere die hohe Überlappung mit kognitiven und affektiven Leistungsdefiziten rückt dabei immer wieder in den Fokus der Forschung. In die psychosomatische Rehabilitation kommen diese Patienten häufig mit der Diagnose einer Anpassungs- oder Persönlichkeitsstörung. Von daher wurde ein Screeninginstrument zur Erfassung der MCD (MCD-Skala) entwickelt. Methode: 1346 unausgelesene Patienten, Alter 19 bis 76 Jahre, wurden im Rahmen einer psychosomatischen Rehabilitation computergestützt mit Hilfe der MCD-Skala untersucht. Zentral ausgewertet wurde die Subskala zur Psychopathologie. Diese besteht aus 20 dichotomen Items, welche Kernsymptome eines unterschwelligen organischen Psychosyndroms erfragen. Ergebnisse: Bei einem potentiellen range der Skala von 0 bis 20 wurde ein Mittelwert von 7,6 (sd 4,1) gefunden. Die Daten waren normalverteilt. Cronbachs α lag bei ,81. Eine Hauptkomponentenanalyse ergab 3 Komponenten mit einem Eigenwert > 1 und 38,8% extrahierter Gesamtvarianz: a) Störungen der Affektregulation, b) Störungen von Gedächtnis und Orientierung sowie c) Störungen von Antrieb und Vegetativum. Unter dem Aspekt der konvergenten Validität zeigten sich durchweg mittlere Korrelationen mit der ADHS-SB-Skala (Rösler, Retz et al. 2004). Schlussfolgerung: Die Daten zeigen, dass organische Psychosyndrome als dimensionales Phänomen aufgefasst werden können. Die gefundene dreidimensionale Faktorenlösung spiegelt die klassische Psychopathologie des psychoorganischen Syndroms wieder. Im Rahmen der psychosomatischen Rehabilitation sollten leichte psychoorganische Syndrome als biologischer Risikofaktor und Ansatz für eine spezifische Psychotherapie mehr Beachtung finden. Dies gilt insbesondere für Anpassungs- und Persönlichkeitsstörungen.
Objectives: The concept of Minimal Brain Dysfunctions (MBD), i.e. minor psycho-organic symptoms, has gained considerable scientific interest in earlier years. In clinical practice there are regularly patients who do not fulfil the criteria for ADHD but still show distinct psycho-organic symptoms. On the other hand, patients with ADHD almost regularly do not only show the core criteria of ADHD but also additional signs of a psycho-organic syndrome. Furthermore do epidemiological data suggest that in a non-selected population of patients with mental disorders about 10% should show some indicators for minimal brain dysfunction. In this study we assessed indicator signs for a MBD in a non-selected population of patients with psychological problems in order to study their frequency and interrelations. Methods: 1346 consecutive inpatients of a department for behavioral medicine filled in the MBD self rating questionnaire. The questionnaire contains 20 items, which cover symptoms characteristic for a psycho-organic syndrome. The items are rated as 0 (not present) or 1 (present). In this paper we report data on the factor analysis of the scale. Results: The average score has been 7,6 (s.d. 4,1, range 0-20), with a normal distribution of scores. Three factors had an Eigenwert > 1, explaining 38,8% of variance: a) „disorders of affect regulation“, b) „impairment of memory and orientation“, and c) „disorders of drive and autonomic instability“. Conclusions: The data suggest, that psycho- organic impairment is not a dichotomous but dimensional phenomenon, as can be expected for theoretical reasons. The factors of the MBD scale reflect the classical tri-dimensional structure of psycho-organic brain syndromes. For the understanding of mental disorders in general and ADHD in particular, the MBD concept should gain new attention.