Hintergrund: Autodestruktive Reaktionen (AR) von Gefangenen stellen unter anderem aufgrund ihrer hohen Prävalenz, der rechtlichen Verantwortung zur Gesunderhaltung der Gefangenen und der damit verbundenen Belastungen für alle Beteiligten ein Hauptproblem für den Justizvollzug dar. Zum einen zeigt ein Studium bisheriger Arbeiten über Risikofaktoren für AR ein unklares, zumeist widersprüchliches Bild. Zum anderen wird die Unterscheidung von ernsthaften und nicht ernsthaften und oftmals als manipulativ bezeichneten Suizidversuchen als distinkte Phänomene, jedes mit charakteristischer klinischer Symptomatik, kontrovers in der gegenwärtigen Literatur diskutiert und stellt dabei eine Herausforderung für jeden Diagnostiker dar. Sollte es möglich sein, distinkte klinische Erscheinungsbilder, Vorgeschichten und Begleitumstände zu eruieren, erscheint eine Einschätzung der Ernsthaftigkeit individueller Akte erreichbar, wodurch eine angemessene Behandlung des Gefangenen ermöglicht würde. Ziele der Studie: Anhand einer Vergleichsgruppenanalyse soll zum einen ermittelt werden ob sich die anhand standardisierter psychometrischer Verfahren (SIS und LSARS) gebildete Untergruppe von weniger ernsthaften AR (d.h. geringere Suizidabsicht und Letalität) von der höherer Ernsthaftigkeit hinsichtlich ihrer klinischen Erscheinungsbilder unterscheidet. Zum anderen wurden Gefangene mit aktueller AR mit einer Vergleichsstichprobe ohne AR verglichen und die prädiktive Validität der Vielzahl von bekannten Risikofaktoren geprüft. Methodik: Es wurden 70 Gefangene mit und (parallelisiert nach Haftform und Haftdauer) 70 Gefangene ohne AR interviewt und mit einer Reihe von psychometrischen Instrumenten untersucht (SKID-I und II, PCL-R, BDI-II, BHS, BSS) sowie ihre Gefangenenpersonalakten und Gesundheitsakten ausgewertet. Die statistischen Analysen wurden um den Einsatz der ROC-Analyse (zur Klärung der Vorhersagegenauigkeit der Prädiktoren), einer logistischen Regressions-Analyse und des CHAID-Algorithmus (zur Klassifikation der Stichprobe hinsichtlich einer möglichst hohen Trefferquote bei der Vorhersage) ergänzt. Ergebnisse: Die Ergebnisse hinsichtlich der ersten Fragestellung deuten auf eine Reihe von signifikanten Korrelationen zwischen der Ernsthaftigkeit und einiger demografischer und haftspezifischer Variablen sowie Maßen der Depressivität hin. Darüber hinaus zeigten sich teilweise signifikante negative Zusammenhänge zwischen der Ernsthaftigkeit und Maßen der Charakterpathologie, insbesondere der Psychopathy. Als Risikofaktoren für AR unter Gefangenen konnten eine Reihe der untersuchten Variablen bestätigt werden, darunter vor allem die Maße der Depressivität, wobei sich frühere AR und Auffälligkeiten im Haftverlauf als besonders effizient bei der Klassifikation erwiesen. Schlussfolgerungen: Gefangene mit weniger ernsthaften AR unterscheiden sich von solchen mit hoher Ernsthaftigkeit in den begleitenden psychopathologischen Bildern, woraus sich unterschiedliche Notwendigkeiten in der institutionellen und psychotherapeutischen Behandlung ergeben. Der Vorwurf der Manipulation erscheint trotz einer partiellen Bestätigung durch die vorliegenden Ergebnisse nicht hilfreich und wird der Problemlage der betreffenden Gefangenen nicht umfassend gerecht im Rahmen der Kommunikation mit den mit der Behandlung betrauten Stellen sollte er vermieden werden. Eine Identifizierung von gefährdeten Gefangenen scheint anhand einfach zu erhebender Risikomerkmale möglich.
Background: Self-injurious behavior by inmates while under custodial authority is a major problem for prisons and jails (prevalence, legal obligation for suicide prevention, and stress for all those concerned). On the one hand, the current literature s risk factors seem to be unclear and contradictory for the most part. On the other hand, the differentiation of serious vs. non- serious and often manipulative suicide attempts as distinct phenomena, each with its own clinical features, is controversially discussed in current literature and a challenge for every diagnostician. If distinct clinical presentations and histories can be observed, an estimation of the seriousness of each act of self-injurious behavior can be simplified, whereby appropriate treatment of the individual case becomes possible. Aims: The aim of the study was twofold: On the one hand possible differences between self-injurious behavior of low seriousness (i.e. low lethality and low suicidal intent) and of high seriousness should be discovered. Therefore, inmates showing self- injurious behavior were divided into subgroups of deliberate self-harm and suicide attempters on the basis of the act s intent and lethality. This was followed by a comparison of the clinical presentations of the individual inmates constituting the subgroups. On the other hand inmates with current self-injurious behaviour were compared to a sample of inmates without. The predictive validity of many of the known risk factors was examined. Methods: 70 inmates showing self-injurious behavior and 70 without (matched for custodial status and time spent in custody) were interviewed and tested with a variety of instruments (SCID-I and II, PCL-R, BDI-II, BHS, BSS) and their prison and health files were examined. Statistical analysis included ROC- analysis (to test the predictive validity of the risk factors), logistic regression-analysis and CHAID-algorithm (to optimize the hit rate, while classifying the sample). Results: Results indicate significant correlations between seriousness and some demographic, prison-related variables as well as different measures of depression. Moreover, negative correlations could be observed with regard to measures of character pathology, including psychopathy. Some of the risk factors were confirmed, including measures of depression, and prior self-injurious behaviour and a conspicuous time in custody proved to be very efficient predictors. Conclusions: Inmates showing deliberate self-harm and suicide attempters seem to differ with regard to their psychopathological presentation, which makes different institutional and psychotherapeutic treatment necessary. Despite some confirmation, the reproach of manipulation does not seem to be helpful nor does it meet the need of these prisoners it should be avoided while communicating with the personal responsible for treatment. Identification of the inmates at risk seems to be possible with some risk factors which are easy to get.