Autismusdiagnostik bei Erwachsenen mit Intelligenzminderung

Abstract

Bei jedem 4. Menschen mit Intelligenzminderung (IM) besteht zusätzlich eine Autismusspektrumstörung (ASS), die häufig bis ins Erwachsenenalter unerkannt bleibt. Voraussetzung für die richtige Behandlung der ASS und der damit oft assoziierten, schweren Verhaltensauffälligkeiten ist die differentialdiagnostische Abgrenzung gegenüber anderen psychischen Erkrankungen und der geistigen Behinderung selbst. Ziel der vorgestellten Untersuchung ist, die Diagnostik bei erwachsenen Patienten mit Intelligenzminderung und Autismusverdacht zu verbessern. Dazu werden die in der Kinder- und Jugendpsychiatrie etablierten Untersuchungsinstrumente auf ihre Anwendbarkeit bei Erwachsenen mit IM überprüft und angepasst und spezifische Verfahren entwickelt. Während der Fragebogen zur sozialen Kommunikation (FSK) - aktuell mit einem veränderten cut-off von 18 auch bei erwachsenen Menschen mit IM angewandt werden kann, kann die Durchführung des FSK-Lebenszeit bei erwachsenen Menschen mit IM nur eingeschränkt empfohlen werden. Die Diagnostische Beobachtungsskala für Autistische Störungen (ADOS) und das Diagnostische Interview für Autismus-Revidiert (ADI-R) sind nur bei 68% bzw. 37% der Patienten anwendbar gewesen. Während die ADOS eine hohe Sensitivität von 100% und eine niedrige Spezifität von 45% aufweist, zeigt das ADI-R balanciertere Werte von 88% bzw. 80%. Anpassungen im Setting, in den Aufgabenstellungen und im Auswertalgorithmus können die Anwendbarkeit und die psychometrischen Eigenschaften der ADOS weiter erhöhen. Eine ICD-10 basierte Autismus-Checkliste (ACL) wurde für Ärzte und Psychologen entwickelt und zeigt eine akzeptable Validität und Reliabilität. Zur Einschätzung der Autismus relevanten Verhaltensweisen im vertrauten Lebensumfeld der Betroffenen wurde ein 4-stufiger, 20 Items umfassender Diagnostischer Beobachtungsbogen für Autismusspektrumstörungen (DIBAS) für nahe Bezugspersonen entworfen, überprüft und in überarbeiteter Fassung (DIBAS-Revidiert) prospektiv validiert. Die emotionale Entwicklung war bei erwachsenen Menschen mit IM und Autismus im Vergleich zu Menschen ohne Autismus signifikant verzögert und inhomogen. Das Profil der emotionalen Entwicklung kann bei der Autismusdiagnostik hilfreich sein (Sensitivität 78%; Spezifität 76%) und ist für die Entwicklung und das Verständnis von Verhaltensauffälligkeiten bedeutsam. Die Anwendung der adaptierten bzw. neu entwickelten Diagnostikverfahren für erwachsene Menschen mit IM trägt zur Verbesserung der medizinischen Versorgung dieser vulnerablen Patientengruppe bei, die einer besonderen ärztlichen Zuwendung bedarf.

Individuals with intellectual disability (ID) are at risk for additional autism spectrum disorders (ASD). One in four individuals with ID is diagnosed with additional ASD. However, ASD often remains unrecognized until adulthood. Carefully diagnosing ASD in affected individuals would allow for more tailored clinical interventions that would improve mental health and quality of life. The aim of the present study was to optimize the diagnostic process for adults with ID and suspected comorbid ASD. Hence, ASD diagnostic instrument established in children were examined, adapted and new, specific instruments for adults with ID and suspicion of ASD were developed. Our findings support the use of the Social Communication Questionnaire-current for ASD screening in adults with ID (cut-off: 18), while the Social Communication Questionnaire- lifetime should be used with caution in this population. The Autism Diagnostic Observation Schedule (ADOS) and the Autism Diagnostic Interview-Revised (ADI-R) were applicable in only 68% and 37%, respectively. While the ADOS showed a high sensitivity (100%) and low specificity (45%), the ADI-R revealed better balanced results (88% and 80%, respectively). Adjustments of the setting, the tasks, and the algorithm may further improve the feasibility and psychometric properties of the ADOS. An ICD-10 based Autism-Checklist (ACL) developed for physicians and psychologists showed acceptable validity and reliability. To systematically assess ASD relevant behaviours in a familiar environment, the Diagnostic Behavioral Assessment for ASD (DiBAS) was developed, evaluated and validated in a revised version (DiBAS-Revised). The level of emotional development was significantly lower and uneven in adults with ID and ASD compared to adults with ID alone. The profile of emotional development can be used for predicting ASD group membership (sensitivity 78%, specificity 76%) and is of importance for the development and understanding of challenging behaviours. Application of the adapted and newly developed diagnostic ASD measures for adults with ID may improve mental health in this highly vulnerable population.