dc.contributor.author
Tkachenko, Julia
dc.date.accessioned
2018-06-07T22:47:04Z
dc.date.available
2011-09-26T10:52:03.037Z
dc.identifier.uri
https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/9634
dc.identifier.uri
http://dx.doi.org/10.17169/refubium-13832
dc.description.abstract
Frischs Adaption des Bildnis-Verbots ist als ein produktives Missverständnis
zu deuten: Im Werk Frischs hat das Bildnis-Verbot einen leitmotivischen
Stellenwert. Die frühere Kritik hat bisher angenommen, dass Frisch das
göttliche Bildnis-Verbot auf die zwischenmenschliche Beziehungen zu
projizieren weiß, oder die „psychologische Umdeutung“ (Heinz Gockel) des
Gebots vollzieht. Darum wurde die religiöse Problematik in seinen Werken nicht
gründlich genug untersucht, sondern die Meinung verbreitet, dass sie für sein
Werk wenig Gewicht habe. In Wirklichkeit basiert Frischs Adaption des
göttlichen Bildnis-Verbotes auf einem produktiven Missverständnis. Frisch
vereinigt in seinem Denken zwei biblische Gegebenheiten: dass Menschen nach
dem Bilde Gottes geschaffen wurden und das Gebot: „Du sollst Dir kein Bildnis
machen von Gott“. Das zweite Gebot verbietet die Vielgötterei. Dieser Aspekt
wird von Frisch ausgeblendet. Er sieht im zweiten Gebot eine Implikation, die
in den biblischen Aussagen nicht gemeint wird, und zwar: Wir dürfen Gott auf
kein festes Bild in unserer Vorstellung fixieren, weil seine Größe außerhalb
unserer Erkenntnisdimension liegt. Diese Einsicht überträgt er auf den
Menschen als ein Bild Gottes: Es sei eine Versündigung, einen Menschen auf
unsere fixierte Vorstellung von ihm festzulegen, weil unser Bild von ihm sein
unendliches, von Gott gegebenes Potential einzuschränken sucht. Frischs
Bestimmung der Liebe lässt sich als Folge seines Missverständnisses des
zweiten Gebots charakterisieren. Die Bibel behauptet von Gott, er sei die
Liebe. Das steht wörtlich im Neuen Testament. Frisch rückt die menschliche
Liebe in den Bereich des Göttlichen und nimmt an, sie soll sich kein Bildnis
von dem Gegenüber machen, was für ihn heißt, dass der oder die Liebende
unbewusst vermeidet, den Geliebten oder die Geliebte auf bestimmte Züge
festzulegen. In der göttlichen Natur der Liebe sieht Frisch die Erfüllung des
Bildnis-Verbots. Seine Annahme, dass die Liebe von der Fixierung des
Gegenübers auf die eigene Vorstellung von ihm befreit, kann man als eine
Übereinstimmung mit der in jedem Menschen von Gott mitgegebenen Wahrheit
betrachten. Doch aus biblischer Sicht ist dieser Umgang mit der Liebe ohne
Gottesglauben unmöglich. Frischs Verknüpfung des Begriffs der Liebe mit dem
Bildnis-Verbot ist eigenwillig: In der Genesis steht, Gott habe den Menschen
nach seinem Bilde als Mann und Frau erschaffen. Der Ausdruck „nach seinem
Bilde“ bezieht sich ursprünglich auf diesen Satz. Die Konstellation aus Mann
und Frau als Bild Gottes gibt das Bild der Liebe vor. Im Neuen Testament wird
Gott direkt die Liebe genannt. In der Bibel ist die Vorstellung von Gott als
Liebe mit dem Bildnis-Verbot praktisch gar nicht verbunden. Von daher kann man
die Idee Frischs, dass die menschliche Liebe sich kein Bildnis vom Gegenüber
machen darf, als frei erfunden und höchst eigenwillig betrachten. Man kann nur
zustimmen, dass es schön wäre, wenn es um die menschliche Liebe wirklich so
stünde. Genau das Gegenteil von Frischs theoretischen Überlegungen über die
Liebe, die vor allem in Tagebuch 1946-1949 und in Nachwort zu Als der Krieg zu
Ende war stehen (deren Variation als besondere Toleranz der Liebe macht sich
u.a. in Mein Name sei Gantenbein und in Montauk erkennbar), wird in seinem
facettenreichen literarischen Werk trotzdem sichtbar: Die Liebenden erschaffen
sich gegenseitig einengende Bilder von einander; eben das führt zum Verlust
der Liebe, zur Verzweiflung in der Liebe oder zur Trennung vom Partner. Das
Bildnis-Paradigma und die Verzweiflung sind wichtige Modelle für Frischs
literarische Konstruktionen: In Tagebuch 1946-1949 macht Frisch auf die
Wirkung der Sprache auf zwischenmenschliche Beziehungen aufmerksam: Das
menschliche Wort besitzt die von Gott eingegebene schöpferische Kraft. Doch
sie ist in Frischs Darstellungen meistens negativ konnotiert (Tagebuch
1946-1949, Nun singen sie wieder). Menschen produzieren Bildnisse zuerst in
Gedanken, dann werden sie durch Worte ins Leben gerufen, sie können die Liebe
verbittern, sogar töten und das menschliche Leben zerstören (Triptychon,
Andorra). Ohne Rückhalt in der Liebe ist der moderne Mensch dem Bildnis
gänzlich ausgeliefert und verzweifelt (Marion, Reinhart, Stiller, Roger). Das
Thema des Bildes vom Anderen sowie von sich selbst (Identitätsfrage) ist
direkt mit dem Thema des Glaubens bzw. der religiösen Verzweiflung verbunden.
Denn ohne Glauben an Gott erschaffen Menschen Bildnisse (Bin oder Die Reise
nach Peking, Stiller). Die Kehrseite dieser Problematik sieht Frisch in der
Idee, dass die Kraft des Bildnisses eine menschliche Identität zu erschaffen
versucht (Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie, Andorra, Homo faber u.a.). So
erschaffen praktisch die Menschen andere Menschen (und nicht zuletzt sich
selbst) durch die Kraft ihres Wortes. Dies äußert Frisch im Marionetten-Motiv.
Eine andere Seite des Marionetten-Motivs bei Frisch – die Verzweiflung seines
Personals – ist mit dem Thema des christlichen Glaubens verknüpft. Der „Hang
zum Skizzenhaften“ im Prosawerk Frischs und die Form der Gleichnis-Rede und
des Gleichnisses in seinen Stücken – alles Streben nach Wahrhaftigkeit der
literarischen Darstellung: Die Vorliebe Frischs für das Fragment
korrespondiert mit den Form-Elementen einiger seiner Stücke. Im Vergleich zu
den politisch ausgerichteten Parabeln Brechts, erhebt Frisch in seinen Stücken
keinen Anspruch auf einen plausiblen Wahrheitsgehalt, sondern ihm geht es in
erster Linie um die Wahrhaftigkeit der literarischen Darstellung des Daseins.
Seine Parabeln (wie z.B. Die Chinesische Mauer, Biedermann und die
Brandstifter, Bin oder Die Reise nach Peking) lassen sich als mehrdeutig und,
mit seinen Worten, als „ohne Lehre“ bezeichnen, denn die Wahrheit des Daseins
bleibt dem modernen Menschen, der kein geschlossenes Weltbild hat, verborgen.
In diesem Sinne kehrt die Frage nach literarischer Form zu dem Bildnis-
Paradigma zurück (Vgl.: die auf Personen bezogenen Gleichnisse von Jesus).
„Sprung in den Glauben“ und das Thema der Selbstaufopferung bei Frisch und
Kierkegaard: Im zweiten Teil zu Entweder-Oder ruft Kierkegaard ausdrücklich
auf, in der Verzweiflung eine Wahl nicht zwischen Gutem und Bösem zu treffen,
sondern das Gute zu wählen, was für ihn heißt, einen „Sprung in den Glauben“
zu vollziehen, sich freiwillig für den Willen Gottes zu entscheiden. Für
Frisch, wie aus einigen seiner Werke hervorgeht (Tagebuch 1946-1949, Die
Chinesische Mauer, Stiller, Biedermann und die Brandstifter, Nun singen sie
wieder), ist eine solche Wahl mit einem gewissen existenziellen Risiko
verbunden. Die Positionen Frischs und Kierkegaards unterscheiden sich
hinsichtlich der Problematik des Glaubens prinzipiell voneinander: während
Frisch in Tagebuch 1946-1949 über mögliche schwere Folgen einer jeder
radikalen Entscheidung nachdenkt, ja über die Unmöglichkeit, ein normales
Leben zu führen, wenn die Wahl vollzogen ist, wird in der Darstellung
Kierkegaards nach dem „Sprung in den Glauben“ das Leben in der Welt erst recht
schön. Diese Disposition liegt darin, dass Frisch das Thema „des Sprunges“ mit
der Idee der Selbstaufopferung des Geistes für die Wahrheit verbindet (Schinz
in Skizze, Erkenntnisse des Heutigen und die Jesus-Parodie in der Figur des
Stummen in Die Chinesische Mauer; die Wahl, eigene Interessen und sogar das
Leben für die Erkenntnis der Wahrheit und für das Wohl der Anderen zu opfern
in Tagebuch 1946-1949, Nun singen sie wieder, Die Chinesische Mauer,
Biedermann und die Brandstifter), deren Folge sogar zu dem physischen Tod
führen kann; Kierkegaard erkennt dagegen im zweiten Teil zu Entweder-Oder "das
wirkliche Leben" im Zu-Gott-Finden.
de
dc.description.abstract
Frisch’s adaptation of the Second Commandment (Thou Shall Not Make Graven
Images) poses a productive misunderstanding. This commandment has a key
significance in his work. Early critics presume that Frisch either projects
the divine commandment not to worship idols on interpersonal relationships or
fulfils the “psychological reinterpretation” (Heinz Gockel) of the
commandment. Therefore the religious complex of problems in his work has not
been researched thoroughly enough. It has rather become a widespread opinion
that this complexity doesn’t have much importance in the whole scheme of his
work. In truth Frisch’s adaptation of the divine Second Commandment is based
upon a productive misunderstanding. Frisch unifies two biblical occurrences in
his reasoning: the human race was created in the image of God and the
commandment “You shall have no other Gods before me.” The Second Commandment
forbids polytheism, an aspect which is suppressed by Frisch in his work. In
the Second Commandment he sees an implication that is not expressed in
biblical terms, namely that we may not set God into a fixed image in our minds
because his greatness lies outside of the breadth of our knowledge. He assigns
his view over to people as the image of God, stating that it is a
transgression to ascertain that a person is our fixed idea of him, because our
concept of him attempts to constrict the unlimited potential that God has
given him. Frisch’s determination of love is characterized as a result of his
misinterpretation of the Second Commandment. The New Testament declares that
God is love. Frisch transfers human love into the area of the divine and is
convinced that it should not make a fixed picture of its counterpart. To him
that means that the person who loves unknowingly avoids fixing certain
characteristics to the person being loved. Frisch sees the fulfilment of the
Second Commandment in the divine nature of love. His conviction that love
liberates us from having fixed ideas in our minds about our counterparts can
be understood as compliance with the truth that has been placed in every man
by God. However, from a biblical standpoint this application of love is
impossible without faith in God. Frisch’s correlation of the definition of
love with the Second Commandment is idiosyncratic. Genesis states that God
created humans in his image as man and woman. The expression “in his image”
primarily deals bears upon this statement. The configuration of man and woman
as an image of God is a graphic expression of love. It states that God is love
in the New Testament. In the Bible the image of God as love is not connected
with the Second Commandment at all. Therefore one can interpret Frisch’s idea
that human love does not permit one to make concepts of his counterparts as
independently-contrived and completely idiosyncratic. One can only agree that
it would be wonderful if human love was really that way. Nevertheless, the
exact opposite of Frisch’s theoretical deliberations about love, which are
mainly found in Sketchbook 1946-1949 and in Epilogue: When the War Was Over
(whose variation as an unusual tolerance of love is recognizable in A
Wilderness of Mirrors/Gantenbein and in Montauk), become obvious in his
multifaceted literary work. This converse deliberation is that lovers mutually
create confining concepts of each other; even that leads to a loss of love,
despondency in the love or legal separation. The idolatry paradigm and
despondency are key models of Frisch’s literary constructions. In Sketchbook
1946-1949 Frisch makes one aware of the effect of language on interpersonal
relationships: human words have a God-given creative power. However, this
power is often given a negative connotation in Frisch’s descriptions
(Sketchbook, Now They Sing Again). People initially produce fixed pictures in
their thoughts and then bring them to life through the spoken word, which can
result in embittered love and even kill or destroy human life (Triptychon,
Andorra). Love without support leads the modern person to become turned over
to the fixed picture and desperate (Marion, Reinhart, Stiller, Roger). The
subject of the image of others as well as self (Question of Identity) is
directly connected to the subject of belief and respectively to religious
despondency. For without faith in God, people create fixed images (The Trip to
Beijing, I’m Not Stiller). Frisch sees the downside of this complexity in the
idea that the power of fixed pictures attempts to create human identity (Don
Juan or the Love of Geometry, Andorra, Homo Faber et al.). Therefore, people
essentially create others (as well as themselves) through the power of their
words, which Frisch makes clear in his Marionette-Motif. The despondency of
Frisch’s figures, which is another aspect of the Marionette-Motif, is attached
to the subject of Christian faith. The “propensity to sketchiness” in Frisch’s
prose work and the form of the parables in his plays result from his pursuit
of authenticity in literary illustrations. Frisch’s preference for fragments
corresponds with the elemental form of some of his plays. In comparison with
Brecht’s political parables, Frisch doesn’t assert a claim on validity, but
rather focuses on authenticity in the literary illustration of subsistence.
His parables (e.g. The Chinese Wall, The Fire Raisers, The Trip to Beijing)
can be interpreted as ambiguous and in his words “without doctrine”, because
the truth of subsistence remains hidden from the modern man who lacks a
cohesive world view. Having said this, the subject of literary form reverts to
the idolatry paradigm (cp.: the parables of Jesus directed at individual
people).
en
dc.rights.uri
http://www.fu-berlin.de/sites/refubium/rechtliches/Nutzungsbedingungen
dc.subject
Max Frisch and the Bible
dc.subject
Frisch and Kierkegaard
dc.subject
Frisch and the Christian belief
dc.subject
Christians and communists
dc.subject.ddc
800 Literatur::830 Deutsche und verwandte Literaturen
dc.title
Religiöse Gehalte im Werk von Max Frisch
dc.contributor.contact
tkjulia54@hotmail.com
dc.contributor.firstReferee
Prof. Dr. Rolf-Peter Janz
dc.contributor.furtherReferee
Prof. Dr. Hans Richard Brittnacher
dc.date.accepted
2010-12-17
dc.identifier.urn
urn:nbn:de:kobv:188-fudissthesis000000025140-1
dc.title.translated
Religious content in Max Frisch’s work
en
refubium.affiliation
Philosophie und Geisteswissenschaften
de
refubium.mycore.fudocsId
FUDISS_thesis_000000025140
refubium.mycore.derivateId
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