dc.description.abstract
Studienhintergrund: Psychiatrische Akutstationen werden geschlossen, teiloffen
oder offen geführt. Der in der Literatur am häufigsten genannte Grund für eine
geschlossene Station war die Verhinderung stationärer Entweichungen, womit
Patient und Gesellschaft vor Eigen- und Fremdgefährdung geschützt werden
sollte. So wurde die Behandlung und Pflege möglichst sicher gestaltet. Der
Alltag auf der geschlossenen Station könnte durch eine angespannte und
unzufriedene Stimmung geprägt sein, mit Fehlverhalten, Fluchtversuchen und
Zwangsmaßnahmen. Es gab bislang keine Studien, die spezifisch evaluierten,
inwiefern sich die geschlossene Stationstür tatsächlich auf den Aufenthalt der
Patienten auswirkte und ob es nicht möglich wäre, eine „Offene-Tür-Politik“,
wie auf somatischen Stationen, umzusetzen. Ziel: Diese Studie sollte die
beiden Führungssysteme der offenen und geschlossenen Station anhand
verschiedener Parameter untersuchen. Die Zielsetzung war, den Einfluss der Art
der Stationsführung auf die Zwangsmedikationen, die Übergriffe, den
Unterbringungsstatus, die Entweichungen, das Suizidalverhalten und die
Verschiedenheit der Medikation zu demonstrieren. Material und Methoden: Es
handelte sich um eine retrospektive Datenerhebung direkt aus den
Patientenakten. Der Studienzeitraum betrug ein Jahr, in welchem die Station
sechs Monate geschlossen (91,4% der Zeit) und sechs weitere Monate
hauptsächlich offen (75,6%) gehalten wurde. In die Untersuchung konnten
insgesamt 319 Patienten (194 Männer, 125 Frauen) einbezogen werden. Mittels
ICD-10 wurden die Diagnosen bestimmt, wobei 59,9% der Patienten an
Schizophrenie erkrankt waren, 12,5% in die Gruppe der affektiven Störungen
gehörten, 12,2% suchtkrank waren und 15,4% andere Persönlichkeitsstörungen
aufwiesen. Die Daten wurden mittels SPSS 14.0 und Microsoft Excel statistisch
bearbeitet und mittels chi²- und t-Test ausgewertet. Ergebnisse: Es wurden
keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf das Durchschnittsalter
(t(df=317)=0,328, p=0,743), die Geschlechterverteilung (chi²(df=1)=2,008,
p=0,169), die Diagnosehäufigkeiten (chi²(df=3)=6,859, p=0,077) und die
durchschnittliche Verweildauer (t (df=317)= -0,143, p=0,887) beim Vergleich
der beiden Stichproben festgestellt. Es gab signifikant mehr
Zwangsmedikationen (chi²(df=1)=4,647, p=0,025*) und Übergriffe
(chi²(df=1)=4,460, p=0,026*) bei geschlossener Türpolitik. Die Anzahl der
gesetzlichen Unterbringungen (chi²(df=2)=4,089, p=0,129) und der Entweichungen
(chi²(df=1)=0,094, p=0,3749) blieb unbeeinflusst von dem Türstatus. Das
Suizidalverhalten konnte aufgrund niedriger Fallzahlen (n=2) nicht
berücksichtigt werden. Die männlichen Patienten waren bei geschlossener
Stationsführung signifikant häufiger für die Vergabe von Zwangsmedikationen
(chi²(df=1)=4,523, p=0,028*) und das Auftreten von Übergriffe
(chi²(df=1)=5,299, p=0,018*) verantwortlich als bei „Offener-Tür-Politik“,
während sich für die weiblichen Patientinnen diese Zusammenhänge nicht finden
ließen. Es gab in Abhängigkeit vom Türstatus keinen signifikanten Zusammenhang
zwischen der Diagnose und der Zwangsmedikation, dem Übergriff oder der
gesetzlichen Unterbringung. Die Entweichungen wurden signifikant häufiger von
schizophrenen Patienten begangen (chi²(df=1)=3,153, p=0,0379*), wobei dieser
Zusammenhang unabhängig von dem Türstatus und dem Geschlecht war. Als
Erstmedikation wurden bei geschlossener Stationsführung tendenziell häufiger
atypische (chi²(df=1)=2.583, p=0.0540) und signifikant vermehrt klassische
Neuroleptika verabreicht (chi²(df=1)=6.644, p=0.0050**). Bei „Offener-Tür-
Politik“ wurde Lorazepam als Erstmedikation signifikant häufiger verabreicht
(chi²(df=1)=4,082, p=0,0433*). Die Entlassungsmedikation zeichnete sich bei
„Offener-Tür-Politik“ durch signifikant häufigeren Einsatz von Benzodiazepinen
aus (chi²(df=1)=5,200, p=0,0113*), besonders Lorazepam (chi²(df=1)=4,533,
p=0,0332*). Als Entlassungsmedikament wurde Risperidon signifikant häufiger
bei geschlossener Stationsführung verabreicht als bei „Offener-Tür-Politik“
(chi²(df=1)=8,065, p=0,0045**). Schlussfolgerung: In dieser Studie ließen sich
im Vergleich zur „Offenen-Tür-Politik“ bei geschlossener Stationsführung mehr
Negativereignisse wie Zwangsmedikationen und Übergriffe feststellen. Die
Stationsführung hatte im Hinblick auf die Art der gesetzlichen Unterbringung
und auf das Entweichungsverhalten keinen Einfluss. Die Ergebnisse dieser
Studie sind allerdings aufgrund von verschiedenen methodischen Einschränkungen
mit Vorsicht zu interpretieren. Zum einen ergab sich für alle Ergebnisse nur
eine geringe Power. Zum anderen erfolgte ein Oberärztinnenwechsel zwischen den
beiden Studienphasen, so dass die Vergleichbarkeit der Erhebungszeiträume
begrenzt war. Aus diesen Gründen wurde auf Basis der Studienergebnisse keine
Empfehlung für eine der beiden Formen der Stationsführung ausgesprochen.
Dennoch zeigte die Untersuchung eine Tendenz auf, dass das Patientenverhalten
unter offener Türpolitik positiver beeinflusst sein könnte und bietet einen
Ansatzpunkt für weiterführende Studien.
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