dc.description.abstract
Die Bedeutung Demenzieller Erkrankungen wird uns in den letzten Jahren
zunehmend bewusster, zum Einen durch die Zunahme der Lebenserwartung des
Individuums und damit das größere Risiko eine Demenz zu erwerben und zum
Anderen durch die pilzförmige Verschiebung der Alterspyramide in unserem Land.
Ältere kranke Menschen bilden keine Randerscheinung, sondern fordern das
Gesundheits- und Pflegesystem heraus. Die Demenzerkrankungen gehören durch die
kognitiven und psychischen Störungen zu den stigmatisierten und negativ
belegten Krankheitsbildern. Dies betrifft insbesondere auch die Angehörigen
und soziale Kontaktpersonen. Es ist im privaten Bereich noch weitgehend ein
Tabu-Thema. Keiner setzt sich gern mit der Vorstellung auseinander, dass der
Partner oder ein Elternteil dement und pflegebedürftig wird. Deshalb ist es in
der täglichen Praxis auch oft auffällig, dass keine entsprechenden Vorsorgen
wie Vollmachten, Patientenverfügungen oder -testamente getroffen wurden. Die
Demenzen sind, da sie aufgrund der vielen Beeinträchtigungen mittelbar zur
Pflegebedürftigkeit und zum Tod führen und erhebliche soziale Auswirkungen wie
Berufsunfähigkeit, Umsiedeln in ein Pflegeheim, Verlust sozialer Kompetenzen
haben, im mehreren Dimensionen zu betrachten. Denn dadurch entsteht eine
immense Summe an durch die Versorgungssysteme zu erbringenden Leistungen. Es
sollte eine Identifikation mit Menschen mit Demenz erreicht und die Erkrankung
ernst genommen beziehungsweise ins Bewusstsein gerückt werden. Wichtig ist die
allgemeine Verfügbarkeit von praktikablen Screeningtests in Praxis und Klinik,
denn nur eine frühzeitige Diagnosestellung sichert Monate oder Jahre mit
Erhaltung einer gewissen Lebensqualität nicht nur für den an Demenz Erkrankten
sondern vor allem auch für die Partner und Familienangehörigen. Dies konnte
anhand einiger Patientenbeispiele mit guter hausärztlicher Betreuung,
Arzneimitteltherapie und vorbildlicher Umsorgung durch den Partner
demonstriert werden. Genauso wichtig ist aber auch die viel zu selten in
Anspruch genommene Verlaufsdiagnostik und damit Sicherung der Diagnose und
Überprüfung der Wirksamkeit der verordneten Präparate. Damit könnte dann auch
die Dosis überprüft oder bei Verschlechterung der Symptome auf für
fortgeschrittene Stadien zugelassene Präparate umgestellt oder erweitert
werden. Dies lässt sich besonders gut in Einrichtungen mit Zentrumsstruktur
verwirklichen, wo neben Ärzten auch Psychologen und Sozialarbeiter vor Ort
Hilfestellungen anbieten können. Es musste in dieser Arbeit festgestellt
werden, dass nur in sehr wenigen Fällen dieses von uns gemachte Angebot der
Verlaufsdiagnostik und Nachsorge in Anspruch genommen wurde, obwohl in der
Epikrise fixiert und mit Angehörigen besprochen. Die stärkere Vernetzung von
ambulanter und stationärer Versorgung der Demenzpatienten und Einbeziehung
sowie Schulung der Angehörigen scheint zusammen mit der konsequenten
Behandlung einen günstigeren Verlauf der progredienten Erkankung zu bewirken
und die Pflegelast zu reduzieren. Die meisten stationär erhobenen
Nachuntersuchungen geschahen im Rahmen anderer Einweisungsdiagnosen. Da die
Demenzdiagnose mit letzter Sicherheit erst postmortal durch histopathologische
Untersuchung des Gehirns gestellt werden kann, bleibt sie bis dahin eine
Verdachts- und Ausschlussdiagnose. Im Verlauf können sich Umstände ergeben,
welche eine andere Differentialdiagnose wahrscheinlicher werden lassen, gerade
deshalb bleibt die Nachuntersuchung in einem halben oder ganzen Jahr und auch
später wichtig. Es wäre wünschenswert, wenn eine bessere Zusammenarbeit mit
den niedergelassenen Ärzten gelänge und in diesem Zusammenhang die
Weiterverordnung und wenn nötig adäquate Dosissteigerung des einzelnen
Präparates vorgenommen würde. Öfters wurde erlebt, dass das verordnete
Präparat sofort nach Entlassung des Patienten aus der stationären Behandlung
durch den Hausarzt abgesetzt wurde. Wichtig ist ebenso die Einsschätzung des
körperlichen Status, da mit zunehmendem Progress der Kognitions- und
Verhaltensstörungen der körperliche Zerfall einsetzt, wie zum Beispiel
Verwahrlosung durch mangelnde Fähigkeit zur Hygiene, Kachexie durch Mangel-
und Fehlernährung und nicht zuletzt die häufig zu beobachtenden Inkontinenzen.
Insbesondere hier müssen zu den bisher schon kreativen Ansätzen bestehender
professioneller Hilfs- und Pflegeangebote mehr Angebote zu einer individuellen
Pflege erfolgen, was nicht möglich ist, solange alles nach standardisierten
Leistungskomplexen abgerechnet wird. Es gibt im europäischen Ausland bereits
nachahmenswerte Modelle. Auch in den Pflegeheimen und im Betreuten Wohnen muss
individueller auf die Bewohner eingegangen werden, was nur über Qualifizierung
und Aufstockung des dort tätigen Personals erreicht werden kann. Sollten
Patienten oder Betreuer direkt mit den Pflegekassen abrechnen dürfen, wird
sich ein vermehrter Wettbewerb und darüber auch eine Angebotsverbesserung
ergeben. Controlling und Qualitätsüberprüfungen mit TÜV-Siegel erleichtern die
Suche nach geeigneten und zuverlässigen Pflegeheimen. Es sollte nicht nur
qualifiziertes und im Umgang mit Demenzen geschultes Personal sondern auch
ergo- und physiotherapeutisch ausgebildetes Personal vorhanden sein. Aus
Erfahrung wissen wir um die Wirksamkeit und den Unterhaltungs- und
Belebungswert von Musik- und Tanztherapeuten, es wäre wünschenswert, so etwas
allgemein und nicht nur in Vorzeigeobjekten zu etablieren. Ausblick in die
Zukunft: Auf der 22. Internationalen Alzheimer-Konferenz im Jahr 2006 in
Berlin wurde festgehalten, dass es aktuell noch keine gezielten
Präventivpräparate gibt aus bisheriger Unkenntnis über die genauen Ursachen.
Auch die Therapie ist bisher nur symptomatisch und nicht kausal ansetzend.
Durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
(IQWIG) wurde in diesem Jahr die Wirksamkeit der auf dem Markt zur Verfügung
stehenden Acetylcholinesterasehemmer bestätigt [70]. Es werden noch viele
Jahre der intensiven Forschungsarbeit vonnöten sein, um aus der Pathogenese
dann zur Entwicklung ursächlich wirkender Medikamente zu kommen. Weltweit
befinden sich 28 Substanzen in der Forschung, dabei sei laut Prof. C. Hoch,
Zürich „die Immuntherapie ein vielversprechender Ansatz“. Ziel sollen fertige
Antikörper sein, welche die Amyloid-Plaques abbauen, damit es nicht zu einer
Überhäufung mit diesen kommt, welche den chronisch-entzündlichen Prozess
unterhält. Viele große Pharmaunternehmen forschen an Substanzen für eine
wirksame Bekämpfung der Alzheimer-Demenz, zum Beispiel werden auch Verfahren
zur passiven Immunisierung getestet. Hierbei werden humanisierte monoklonale
Antikörper eingesetzt, die sich gegen einzelne Peptidabschnitte von Aß
richten. Andere Ansätze sind die Modulierung der Signaltransduktion im
cholinergen und glutamatergen System, die chemische Neutralisierung oder die
Hemmung der Bildung des Peptids durch Proteaseinhibitoren. In der
Kausaltherapie der Immunisierung könnte das Eiweißfragment Aß
Schlüsselfunktion besitzen, es bildet die charakteristische Plaque im Gehirn
und könnte durch Induktion einer entsprechenden Immunantwort abgebaut werden;
damit könnte der Circulus vitiosus des chronischen Entzündungsprozesses
durchbrochen werden [105]. Es bestünde auch die Möglichkeit, dass Aß direkt
mit Immunzellen eine Interaktion eingeht, demzufolge die Microglia stimuliert
würde, um Aß direkt abzubauen. Hierzu fanden bereits Experimente mit
transgenen Mäusen statt. Untermauert wird diese These auch durch in
postmortalen Hirnen zuvor immunisierter Personen gefundenen Arealen, wo vorher
wahrscheinlich Plaques waren und diese jetzt von Microglia umgeben sind.
Weiterhin gibt es Erkenntnisse aus Versuchen, dass im Umkehrschluss Aß direkt
eine verminderte Gedächtnisleistung zur Folge hatte, nachdem es Mäusen
intracerebral injiziert worden war. Dagegen führte die Injektion von Anti-Aß-
Antikörpern bei Mäusen zu einer kurzfristigen cognitiven Verbesserung. Mit
diesen Erkenntnissen wurde eine Impfstudie mit 372 Alzheimer-Patienten
initiiert durch die amerikanische Firma Elan. Nach bisherigem Stand zeigten
die Patienten, die eine Immunantwort auf Aß entwickelten, eine geringe, wohl
aber statistisch signifikante Verbesserung der Gedächtnisleistung. Probat
scheint diese Methode nicht zu sein, da bis zu 6 Prozent der Teilnehmer eine
Meningoencephalitis bekamen, was letztlich zum Abbruch der Studie führte.
Aktuell wird eine kleine Patientengruppe beobachtet, um den weiteren
Krankheitsverlauf zu verfolgen. Allerdings sind die bisherigen Erfolge nicht
so groß, wie nach den Versuchen erhofft. Nach bisher erfolgter
histopathologischer Untersuchung einzelner Hirne vorher geimpfter Patienten
wurden bei schwerer Demenz weniger Amyloidplaques gefunden als in
vergleichbaren Hirnen umringt von Microglia, was auf eine mögliche Wirksamkeit
hindeutet, jedoch wiesen diese Verstorbenen genauso Neurofibrillen und eine
cerebrale Amyloid-Angiopathie auf. Hierzu müssen noch mehr und vor allem
frühzeitiger einsetzende Versuche unternommen werden, um den Zusammenhang
zwischen den pathologischen Hirnbefunden und dem Fortschreiten der Demenz
herauszufinden. Laut Prof. A. Kurz, Vorstandsmitglied der Deutschen Alzheimer-
Gesellschaft konzentriert sich die Forschung auch darauf, in der Diagnostik
von Demenzerkrankungen voranzukommen und einen Blutmarker zu finden [86]. Nach
dem derzeitigen Stand der Wissenschaft sollen ausreichende körperliche und
auch geistige Bewegung und Fitness einer Demenz vorbeugen helfen, indem sie
das Gehirn widerstandsfähiger gegen einen solchen Krankheitsprozess machen
sollen. Auch mit der Ernährung soll einer Demenz vorgebeugt werden, hier
werden insbesondere die Vitamine B, C, E und Folsäure positiv bewertet. Was
das cardiovasculäre Risikoprofil anbelangt, sind von herausragender
Wichtigkeit der streng eingestellte Blutdruck, das gilt ebenso für den
Blutzucker. Positive Effekte werden auch den Omega-3-Fettsäuren zugeschrieben.
Hier bleiben aber Beobachtungen über die nächsten Jahrzehnte abzuwarten, ob
diese Maßnahmen wirklich zu einer messbar effektiv niedrigeren Rate an
Neuerkrankungen führen bei Menschen, die sie regelmäßig angewendet haben.
Gerade die Alzheimer-Demenz muss als eine fulminant verlaufende, chronisch-
progrediente Erkrankung mit am Ende totalem Verlust der Persönlichkeit und
Kompetenzen sowie absoluter Pflegebedürftigkeit gesehen werden. Zudem ist sie,
wie berichtet, mit über 1,3 Millionen Erkrankter in Deutschland inzwischen zu
einem erheblichen gesundheitspolitischen Problem geworden, Tendenz steigend.
Das Wissen um die Diagnose und die daraus entstehenden Konsequenzen für den
Einzelnen und die Gesellschaft sollte zu einem entschiedenen Umdenken führen,
um sich auf anstehende Probleme vorbereiten und Lösungsansätze sowie
Versorgungsstrategien erarbeiten zu können. Jetzt sind über 100 Jahre
vergangen, seit Alois Alzheimer im Jahre 1906 vor einer Ärzteversammlung eine
bis dahin nicht bekannte Erkrankung der Hirnrinde vorstellte, mit einer
breitgefächerten Symptomkombination, die er keiner ihm bekannten
Nervenerkrankung zuordnen konnte. Er hätte sich damals wahrscheinlich nicht
träumen lassen, dass diese Erkrankung zu einer der größten
gesundheitspolitischen Probleme des beginnenden neuen Jahrtausends werden
würde und auch über einhundert Jahre später noch als unheilbar gilt.
de
dc.description.abstract
The impact of demential diseases yields increasing awareness over the last few
years. Increasing individual lifespans and the advancing age of our population
elevate the likelihood for acquiring demential disease exponentially. The
majority of admissions into residential care homes are owed to dementia. Due
to sequelae and complications patients suffering from dementia require
frequent in-patient medical treatment. These circumstances exert high demands
on our health care system. Demential diseases are often seen as stigmatizing
due to cognitive deficits and behaviour disorders and are seen as a social
taboo. Nurturing relatives are often physically and mentally overburdened. It
is important to quickly establish the diagnosis of dementia using practicable
cognitive tests and a comprehensive diagnostic programme. Only by establishing
an early diagnosis a medical therapy can be initiated which yields an increase
in individual quality of life for months or even years. Furthermore, follow-up
tests to verify the success of medical treatment are crucial to continue or
change medicamentous treatment as necessary. Part of the present work was
monitoring and evaluating prescriptions of different antidemential
medications. Equally essential are supportive measures for family members,
because well trained handling alleviates cohabitation and disburdens life
partners. In this work, the serious positive result of good and optimal
support could be highlighted. In this longitudinal study, good patient care
could be demonstrated to be more effective than single medicamentous therapy
alone. Worst outcome and lowest survival rates were seen in patients without
therapy and supportive care or in far advanced stages. Here, the high
lethality of dementias, especially of vascular and mixed subtypes, could be
affirmed. Future individual support of persons concerned and the amelioration
of out- and in-patient medical care would be desirable. Qualified in-patient,
out-patient and day care medical attendance of patients by nursing staff and
health care professionals is important for continuing preservation of
cognitive and social competences as well as the patient’s self-esteem.
Positive examples of patients with good out-patient medical care,
medicamentous therapy and exemplary family care could be demonstrated. Further
research is required to decrypt the nature of the most frequent Alzheimer’s
disease to generate a causal medical therapy in the future. Society and
especially health care professionals should rethink dementias, continue their
education in this area and develop future strategies for supportive care. Over
one hundred years have passed since Alois Alzheimer introduced an until then
unknown brain disorder with a wide symptom constellation at a medical
convention in 1906. Surely, he would not have dreamed of this disease becoming
one of public health care systems’ greatest problems in the next millennium
and would be incurable even one hundred years later.
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