Echinodermata (Stachelhäuter) sind eine ausschließlich marine Gruppe wirbelloser Deuterostomia. Im Gegensatz zu den Chordaten besitzen sie als Adulti einen stark abgewandelten, pentameren Körperbau. Photosensitivität in Echinodermen ist seit über 150 Jahren gut dokumentiert, aber die korrespondierenden Augenorgane bzw. Photorezeptorzellen blieben bis heute in den meisten Fällen unbekannt. Dies trifft insbesondere auf Seeigel zu, bei denen trotz einer Vielzahl verschiedener Verhaltensreaktionen auf Lichtreize kein verantwortlicher Photorezeptor gefunden werden konnte. Die Sequenzierung des Genoms von Strongylocentrotus purpuratus und anschließende Expressionsanalysen von Genen, die an der Entwicklung und Differenzierung von Photorezeptoren beteiligt sind, bot daher erstmals die Gelegenheit, diese Sinneszellen von Echinodermen mittels molekularbiologischer Methoden zu untersuchen. Das Ziel dieser Arbeit ist dabei, mit Hilfe molekularer und morphologischer Methoden, Photorezeptoren von Echinoiden und anderen Echinodermen zu lokalisieren und zu charakterisieren. Die Protein- und RNA- Lokalisierung eines rhabdomerischen Opsins (r-Opsin: Sp-Opsin4), welches eine essentielle Komponente der Phototrans-duktion darstellt und in S. purpuratus nachweislich exprimiert wird, führte zur Identifi-zierung zweier Ansammlungen von Photorezeptoren in den Ambulacralfüßchen dieses Seeigels. Mittels raster- und transmissionselektronenmikroskopischer Untersuchungen, sowie Immunfärbungen mit Goldpartikel-konjugierten Antikörpern gegen Sp-Opsin4 auf Ultradünnschnitten, konnte der Photorezeptortyp als microvillär/rhabdomerisch klassifiziert werden. Mittels weiterer Antikörperfärbungen des Nervensystems konnte eine Anbindung der Photorezeptoren an das Nervensystem dokumentiert werden. Die Photorezeptoren besitzen kein assoziiertes Pigment zur gerichteten Abschattung ihrer lichtsensitiven Membranen, stattdessen liegen die Rezeptoren im basalen Teil des Ambulacralfüßchens eingesenkt in eine Vertiefung des Skeletts, für das eine Beschattungsfunktion hypothe-tisiert wird. Basierend auf Untersuchungen der Morphologie dieser Skelettvertiefung mittels Micro- Computertomographie, sowie dem Nachweis von r-Opsin in den Ocelli von nachgewiesen phototaktisch aktiven Seesternen und der Tatsache, dass der Beginn der Phototaxis in juvenilen Seeigeln mit der vollständigen Skelettbildung korreliert, wird hier ein Modell zum Sehvermögen von Seeigeln postuliert. Das gesamte Tier funktioniert im Kontext von Photosensitivität wie ein großes „Komplexauge“. Das Skelett schattet die Photorezeptoren an der Basis der Ambulacralfüßchen dahingehend ab, dass sich für diese Lichtsinneszellen ein eingeschränkter möglicher Lichteinfallswinkel ergibt. Indem die Information über (unterschiedlich starke) Beleuchtung jeder einzelnen Ansammlung von Sinneszellen über die Oberfläche des gesamten Tieres verrechnet wird, ist der Seeigel in der Lage, die Richtung der Lichtquelle zu ermitteln und entsprechend Phototaxis auszu-führen. Die vorliegende Untersuchung erbringt den ersten Nachweis distinkter Photozep-toren bei einem Seeigel und stellt damit den seit langem postulierten, diffusen dermalen Lichtsinn in Frage, bei dem unspezialisierte Neurone des epineuralen Nervennetzes als Photorezeptoren vermutet wurden. Da der untersuchte, r-Opsin exprimierende Photore-zeptorzelltyp in den Ambulacralfüßchen sowohl von Echinoidea, als auch von Asteroidea und Ophiuroidea nachgewiesen wurde, liegt eine Homologie dieses Zelltyps bei diesen Echinodermengruppen nahe. Die Untersuchung zeigt, dass sowohl Asteroiden als auch sehr wahrscheinlich Echinoiden einen microvillären, r-Opsin exprimierenden Photorezep-torzelltyp zur gerichteten Lichtwahrnehmung nutzen, wie dies die meisten Protostomia tun. Im Gegensatz dazu wurde innerhalb der Deuterostomia Richtungssehen nur über ciliäre, c-Opsin exprimierende Photorezeptoren nachgewiesen. Der Funktionswechsel von microvillären zu ciliären Photorezeptoren im Zusammenhang mit gerichtetem Sehen hat daher wahrscheinlich erst innerhalb der Stammlinie der Chordaten stattgefunden.
Echinodermata is a group of marine non-chordate Deuterostomia with an unusual pentameric adult body plan. Photosensitivity within many species of echinoderms has been documented over the last 150 years but corresponding photoreceptor cells (PRCs) or organs in most cases remained enigmatic. Especially in the case of Echinoidea, which display a huge variety of photo elicited behaviors, no distinct PRC was ever identified. The genome sequencing of the echinoid Strongylocentrotus purpuratus and subsequent ex-pression analyses of genes known to be involved in PRC development and differentiation, provided the first time opportunity to investigate echinoid PRCs deploying a new molecu-lar approach. The aim of this study is to localize and characterize PRCs within echinoids and other echinoderms using a combined molecular and morphological approach. Protein and RNA localization of a rhabdomeric opsin (r-opsin), which comprises an essential component in phototransduction and which is expressed in S. purpuratus (Sp-opsin4), led to the discovery of two disctinct PRC clusters in the tube feet of this echinoid. Using scanning electron microscopy, transmission electron microscopy plus deployment of anti- Sp-Opsin4 immunogold labeling, the PRC type could be classified as microvillar/ rhabdomeric. Antibody labelings against nervous system (NS) components demonstrated connection of the two echinoid tube foot PRC clusters to the animal's NS. The PRCs lack any associated shielding pigment, but one of the two PRC clusters is embedded in a depression of the echinoid's opaque skeleton that is hypothesized to act as a shielding device for these PRCs. Based on (i) a detailed examination of this skeletal depression deploying x-ray microtomography, (ii) immunoreaction of the echinoid specific r-opsin anti-body in asteroid optic cushions known to function in phototaxis, and (iii) onset of photo-taxis in S. purpuratus juveniles depending on complete skeletogenesis, a model of echi-noid vision is proposed, in which the animal functions as a huge “compound eye”. The skeleton shielding the PRCs arranged at the base of tube feet all around the echinoid body causes a limited illumination angle of each PRC cluster. Processing the different photic input of each PRC cluster thus enables the animal to detect the direction of in- coming light and perform phototaxis. This study provides first evidence of distinct PRCs in an echinoid and thus challenges the long proposed diffuse “dermal light sense” that was hypothesized to deploy unspecialized neurons of the echinoderm epidermal nerve net. The finding of r-opsins in tube feet PRCs of echinoids, asteroids and ophiuroids indicates homology of the r-opsin positive PRC type throughout these echinoderm groups. Asteroids and most certainly echinoids deploying a microvillar, r-opsin expressing PRC type for vision (phototaxis) as usually realized in protostomes thus contrast to most other deuterostomes in which visional functions are based on ciliary, c-opsin expressing PRCs. The findings of this study thus suggest that the functional shift from rhabdomeric to ciliary PRC systems might have happened as late as in the chordate stemline.