dc.contributor.author
Cyrus, Georg
dc.date.accessioned
2025-08-07T06:47:42Z
dc.date.available
2025-08-07T06:47:42Z
dc.identifier.uri
https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/48320
dc.identifier.uri
http://dx.doi.org/10.17169/refubium-48043
dc.description.abstract
In meiner Dissertation behandele ich Siedlungen des 6. und 5. Jh. v. u. Z. in Nordmesopotamien und im zentralen Zagros, die in den Ruinen monumentaler Gebäude errichtet wurden. Diese in der Forschung oft als squatter occupation bezeichneten Siedlungen finden sich in vielen historischen Kontexten, in der Regel nach dem Zusammenbruch politischer Machtzentren. Obwohl sie ein häufig beobachtetes Phänomen sind, werden sie selten ausführlich behandelt.
Ich vergleiche daher vier Squattersiedlungen, die räumlich und zeitlich nahe beieinander liegen und analysiere wie Herrschaftsräume angeeignet und umgenutzt wurden. Die Fallbeispiele hierfür sind Tell Sheikh Hamad und Nimrud, die beide postimperiale assyrische Besiedlungen aufweisen und Nush-i Jan und Godin Tepe, die den sog. Meder*innen oder der Iron Age III-Zeit zugeordnet werden. Um dieses Phänomen auf einer theoretischen Ebene zu verstehen, bediene ich mich vor allem der Werke Henri Lefebvres, um Konzepte wie „Herrschaftsraum“ und „Aneignung“ zu definieren. Anschließend stellte ich die Methodik vor, mit der ich diese Theorie auf die archäologischen Quellen anwenden kann. Ich entschied mich einerseits für die Space Syntax, um Grundrisse vergleichbar darzustellen. Andererseits bediente ich mich der Sequence of Events-Analyse von Victor Klinkenberg, um Abfolgen von Ereignissen zu vergleichen. Mit diesen beiden Methoden arbeitete ich die Fundorte auf und verglich sie anschließend in drei Aspekten: Erstens stellte ich einen Vergleich der Architekturtypen an, zweitens verglich ich die Space Syntaxen und drittens die Sequences of Events. Im abschließenden Kapitel interpretierte und abstrahierte ich diese Ergebnisse und stellte sie in Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Phänomen des Kollapses, der Dezentralisierung und der Deurbanisierung, die auf das assyrische Reich folgten.
Ich begann meine Arbeit mit der theoretischen Basis von Lefebvres Raumtheorie. Diese kann als ein dialektisches Raumverständnis betrachtet werden, das vor allem gesellschaftliche Konflikte im Raum fokussiert. Es gibt auf der einen Seite die räumliche Praxis, die die Realität des Raumes darstellt und auf der anderen Seite den gelebten und den geplanten Raum, die beide die räumliche Praxis beeinflussen und von ihr beeinflusst werden, aber im Konflikt miteinander stehen. Der geplante Raum ist der Raum der Herrscher*innen, während der gelebte Raum den der Subalternen darstellt. Der monumentale Raum des neuassyrischen Reiches kann so als geplanten Raum oder eben als Herrschaftsraum verstanden werden. Aneignung stellt dann die Übernahme des geplanten Raumes durch den gelebten Raum dar, der seinerseits in den Squattersiedlungen manifestiert wird. Durch die räumliche Praxis lässt sich dieses Konzept gut mit den archäologischen Quellen zusammenbringen, da diese die Materialität des Raumes darstellt und Befunde und Funde das Resultat dieser Praxen sind.
Die räumliche Praxis lässt sich anhand von zwei Methoden sichtbar machen: die Space Syntax-Analyse und die Sequence of Events-Analyse. Die Space Syntax-Analyse wurde schon in den 1980er Jahren von Bill Hillier und Julienne Hanson konzeptualisiert und in den 1990er Jahren von Richard Blanton verfeinert. Heute stellt sie eine etablierte Methode in der Archäologie dar. Hierbei werden Grundrisse abstrahiert und als Graph erstellt, in dem jeder Kreis ein Raum und jeder Durchgang eine Linie zwischen den Räumen ist. So ergibt sich ein Diagramm unabhängig von der Größe des Raumes, das mit anderen verglichen werden kann. Die Sequence of Events-Analyse stammt von Klinkenberg, der sie erstmals im mittelassyrischen Dunnu in Tell Sabi Abyad nutzte. Hier werden Ereignisse anhand der Stratigrafie und der Zusammensetzung der Befunde und Funde interpretiert und in einem Flow Chart in eine Reihenfolge gesetzt. Es handelt sich also um eine interpretierte Harris-Matrix.
Mit diesen beiden Analyseformen untersuchte ich Tell Sheikh Hamad und Godin Tepe. Nimrud und Nush-i Jan untersuchte ich nur anhand der publizierten Daten, da die pandemische Lage eine Reise zu den Archiven nicht zuließ. Die publizierten Daten reichten für die Analyse nicht aus, dafür war es mir aber möglich in Nimrud Squattersiedlungen in einer größeren Skala zu beobachten und so qualitativ andere Beobachtungen zu machen.
Im Vergleich der Squattersiedlungen konnten einige offensichtliche Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden. Aber auch Unterschiede zwischen Fundorten und innerhalb der Fundorte ließe sich erkennen. Anhand des architekturtypologischen Vergleichs konnte ich typische Architekturelemente einer Squattersiedlung identifizieren: z.B. die Blockade von Türen und das Teilen von Räumen durch Wände. Interessanter ist jedoch, dass viele der Squattersiedlungen Installationen zur Wasserversorgung aus den monumentalen Phasen instand hielten und weiternutzten. Der Vergleich der Space Syntaxen führte zu sehr komplexen Ergebnissen, die Gestaltung des Raums durch die Bewohner*innen widerspiegelt. Hier gibt es Siedlungen, die additiv bauen, also in jeder neuen Phase neue Räume der Ruine erschließen und ihre Siedlung vergrößern. Es gibt aber auch Siedlungen, die alte Phasen verwerfen und komplett neue Raumkomplexe errichten. Ich konnte über die Verortung der Installationen zur Nahrungsmittelproduktion in der Space Syntax spekulieren, ob die Verarbeitung von Nahrungsmitteln eher öffentlich oder privat stattfand. Der Vergleich der Sequences of Events zeigt, wie dynamisch die Raumnutzung in Squattersiedlungen war und wie häufig sich bestimmte Konstellationen verändern konnten. Es stellte sich auch heraus, dass Squattersiedlungen keineswegs provisorische Unterkünfte waren, sondern durchaus als etablierte Siedlungen bezeichnet werden sollten.
Am Ende widerspreche ich dem Bild der Squattersiedlungen als verarmte Überreste „glorreicher Zivilisationen“. Häufig werden Squattersiedlungen nur als Argument für Kontinuität oder Wandel genutzt. Stattdessen betrachte ich sie als eigenständiges Phänomen. Die Dauer und die substanzielle Architektur, die errichtet wurde, sprechen gegen einen provisorischen Charakter. Zwar erhalten sich monumentale Gebäude häufig länger als Squattersiedlungen, aber die Squattersiedlungen weisen oft mehr Phasen auf als zeitgleiche Wohnhäuser. Auch den Charakter der verarmten Siedlungen halte ich für falsch, da gezielt Räume mit Wasserversorgung ausgewählt wurden. Eine Wasserversorgung verbessert die Lebenserwartung drastisch, war aber in der Eisenzeit auf wohlhabende Schichten beschränkt. Sollten die Bewohner*innen aus den unteren Klassen gekommen sein, hat sich ihr Lebensstandard in den Squattersiedlungen verbessert. Die Aneignung und Umnutzung von Tempeln und Palästen in der postimperialen Epoche Nordmesopotamiens und der Iron Age III-Zeit im zentralen Zagros kann also als eine positive Entwicklung für die lokale Bevölkerung gesehen werden. Ein allgemeines Umdenken bezüglich sog. Dark Ages und der Squattersiedlungen ist erforderlich, wenn wir Geschichte jenseits großer Herrscher denken wollen.
de
dc.description.abstract
In my dissertation, I study settlements in ruins from the 6th to 5th centuries BCE in Northern Mesopotamia and the central Zagros. Squatter occupations are common in many historical settings after centralized and urbanized societies collapsed, like in post-Uruk times or Late Antiquity. Even though squatter occupations are common, they are seldom researched in detail.
The focus of my work is the comparison of four squatter occupations that are contemporary to each other and are situated in neighboring regions. With this, I want to explain how dominated space is appropriated and modified by the occupants of the squatter occupation. Therefore, I investigate Tell Sheikh Hamad and Nimrud, two post-imperial Assyrian squatter occupations, and Nush-i Jan and Godin Tepe, two squatter occupations from the central Zagros that are related to the so-called Medians, or the Iron Age III period. To define the terms "dominated space" and "appropriation," I use the theory of Henri Lefebvre. Afterward, I present the methods that can bridge the gap between material and theory. Therefore, I will use the space syntax analyses to compare floor plans and the sequence of events analysis, conceptualized by Victor Klinkenberg, to compare the stratigraphical sequences. Subsequently, I will compare three aspects of the settlements. First, I compare the architectural elements; second, I compare the space syntaxes; and third, I compare the sequences of events. In the final part of my work, I interpret my results and summarize them to set them into the greater frame of decentralizing and deurbanizing societies that followed the destruction of the Assyrian Empire.
Thus, I start my work with the theory of space as conceptualized by Lefebvre. He understands space dialectically and focuses on social conflict as it materializes in space. For him, on the one hand, there is the spatial practice that represents the reality of space, and on the other hand, there is the planned and lived space that is both in a mutual relationship with the spatial practice but in conflict with each other. The planned space is the space of elites, and the lived space is the space of the subalterns. With this framework, it is easy to connect the monumental space of Assyrian and Median palaces with the planned space and the squatter occupation with the lived space. The appropriation is the transformation from the planned to the lived space manifested in the squatter occupation. Both lived and planned space can be connected to the archaeological record through spatial practice.
The spatial practice can be visualized with two methods: the space syntax analysis and the sequence of events analysis. The space syntax analysis was popularized by Bill Hillier and Julienne Hanson in the 1980s and sophisticated by Richard Blanton in the 1990s, and is today an established method in archaeology. Here, plan floors are visualized as graphs. In these graphs, every circle is a room, and lines connect these circles. So, a diagram is constructed that is independent of the real dimensions of the floor plan and can be compared to other diagrams. Klinkenberg invented the sequence of events approach at the Middle Assyrian dunnu of Tell Sabi Abyad. Here, a Flow Chart of events interpreted from finds and features is put into stratigraphical order. It is, in general, an interpretative Harris-Matrix.
With these two analyses, I investigated the squatter occupation of Tell Sheikh Hamad and Godin Tepe. Initially, I planned to examine Nimrud and Nush-i Jan with these methods. However, due to the travel restrictions during the COVID-19 pandemic, it was impossible to visit the archives in England. So, I had to reconstruct these two sites from the published data. These data are not enough for the analysis, but I use them as a qualitative comparison.
The comparison of the squatter occupations resulted in some obvious similarities, but also some differences between and within the sites. Through the comparison of the architectural elements, typical traits of a squatter occupation could be detected. The blocking of doors and the separation of rooms are two significant examples. In addition, most of the squatter occupations reused water installations from the monumental phase. The comparison of the space syntax leads to complex results that mirror the decision of the inhabitants to create their space. Some settlements are built additively. Other settlements abandoned older structures and constructed completely new settlements in the ruins. I also could find out if food processing was more or less private based on the localization of cooking-related installations in the space syntax. The comparison of the sequence of events shows how dynamic the use of space was in squatter occupations and how often this use changed. It appears, that squatter occupations are not provisional dwellings but established settlements that lasted over a generation.
In my interpretation, I strongly argue against the squatter occupation as solely the remains of great civilizations. Often, squatter occupations are used as arguments for continuity or change after a collapse. Instead, I aim to represent these settlements as a distinct form of living, although they are embedded in the phenomenon of the collapse of societies. The duration of the squatter occupation speaks against a provisional character. Admittedly, monumental structures have been more durable than squatter occupations, but compared to contemporary domestic structures, squatter occupations seem to be used slightly longer. Also, the depiction of a squatter occupation as an impoverished settlement is, from my point of view, wrong, as these occupations often reused water installations. It is known that water installations improved the standard of living drastically, and in Iron Age southwest Asia, they were mostly reserved for the upper classes. If the inhabitants of the squatter occupation had a lower-class background, their living standards most probably rose in the new settlements. The appropriation and reuse of temples and palaces in post-imperial Assyria and in the Iron Age III time in central Zagros can be viewed as a positive development for the population of these regions. We need to rethink the so-called dark ages and the squatter occupation to write history beyond great rulers.
en
dc.format.extent
ii, 297 Seiten
dc.rights.uri
https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/
dc.subject
Tell-Sheikh Hamad
de
dc.subject
squatter occpuation
en
dc.subject.ddc
900 Geschichte und Geografie::930 Geschichte des Altertums (bis ca. 499), Archäologie::935 Geschichte Mesopotamiens und der iranischen Hochebene bis 637
dc.title
Die Aneignung und Umnutzung von Herrschaftsräumen am Beispiel der Squattersiedlung der südwestasiatischen Eisenzeit
dc.contributor.gender
male
dc.contributor.firstReferee
Pollock, Susan
dc.contributor.furtherReferee
Bernbeck, Reinhard
dc.date.accepted
2022-05-09
dc.identifier.urn
urn:nbn:de:kobv:188-refubium-48320-2
dc.title.translated
The appropriation and reuse of elite spaces, using the example of squatter settlements in the Iron Age in Southwest Asia
eng
dcterms.bibliographicCitation.doi
10.32028/9781803279879
dcterms.bibliographicCitation.originalpublishername
Archaeopress Publishing Ltd
dcterms.bibliographicCitation.originalpublisherplace
Bicester
dcterms.bibliographicCitation.url
http://doi.org/10.32028/9781803279879
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Geschichts- und Kulturwissenschaften
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accept
dc.identifier.eisbn
978-1-80327-988-6