Die Qualität psychiatrischer Versorgung wird maßgeblich anhand des Umgangs mit aggressivem Verhalten und Zwang bewertet. Im Jahr 2018 wurde die S3-Leitlinie "Vermeidung von Zwang: Prävention und Therapie aggressiven Verhaltens bei Erwachsenen" veröffentlicht. In der Erwartung, dass die Häufigkeit von Zwangsmaßnahmen und aggressiven Vorfällen im Zuge einer konsequenten Umsetzung der S3-Leitlinie abnehme, wurde im Anschluss daran im Rahmen eines umfassenden Forschungsprogramms (PreVCo) ein 12-Punkte-Programm mit konkreten Implementierungsempfehlungen für die klinische Praxis konzipiert. Eine der Implementierungsempfehlungen stellt die Einführung von Genesungsbegleitung in der Akutpsychiatrie dar. Vor diesem Hintergrund untersucht die vorliegende Arbeit, ob und inwiefern durch die Implementierung von Genesungsbegleitung in der Akutpsychiatrie in einer Klinik mit Versorgungsauftrag in Berlin-Kreuzberg die Anwendung von Zwangsmaßnahmen reduziert werden kann. In diesem Zusammenhang berichtet die vorliegende Arbeit zudem exemplarisch über Herausforderungen bei der Implementierung leitliniengerechter Behandlungsempfehlungen. Zwischen 2018 und 2021 wurden auf einer geschützten Station der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Vivantes Klinikum Am Urban die Art, Häufigkeit und Dauer von Zwangsmaßnahmen sowie der Anteil der hiervon betroffenen Patient*innen vor und nach der Implementierung von Genesungsbegleitung erhoben (Interventionsgruppe). Diese wurden sowohl miteinander als auch mit Patient*innen einer zweiten geschützten Station, auf der keine Genesungsbegleitung angeboten worden ist (Kontrollgruppe), verglichen. Für die Kontrollgruppe konnte ein signifikanter Anstieg von der Prä- zur Posterhebung im Hinblick auf den Anteil der Patient*innen mit Zwangsmaßnahmen sowie auf die Anzahl von Zwangsereignissen pro Patient*in nachgewiesen werden. Für die Interventionsgruppe ließen sich keine statistisch signifikanten Veränderungen darstellen. Die Erfahrungen dieser Arbeit bestätigen die Schwierigkeiten der Umsetzung von Leitlinien in den akutpsychiatrischen Stationsalltag. Neuere Empfehlungen betonen daher die Bedeutung externen Coachings und eines strukturierten Implementierungsplans.
The quality of psychiatric care is primarily measured based on the management of aggressive behavior and restraint. In 2018, the S3 guideline "Prevention of Coercion: Prevention and Therapy of Aggressive Behavior in Adults" was published. Anticipating a reduction in the frequency of restraints and aggressive incidents through the consistent implementation of the S3 guideline, a comprehensive research program (PreVCo) subsequently devised a 12-point program with specific implementation recommendations for clinical practice. One of the implementation recommendations involves the introduction of peer support in acute psychiatry. Against this backdrop, the present work examines whether and to what extent the implementation of peer support in acute psychiatry at a clinic with a care mandate in Berlin-Kreuzberg can reduce the application of restraints. In this context, the present work also exemplifies challenges in the implementation of guideline-compliant treatment recommendations. Between 2018 and 2021, on a protected ward at the Clinic for Psychiatry, Psychotherapy, and Psychosomatics of Vivantes Klinikum am Urban, the type, frequency, and duration of restraint, as well as the proportion of affected patients, were assessed before and after the implementation of peer support. These were compared both in a pre-post comparison and with those of a control group where no peer support has been offered. For the control group, a significant increase was observed from pre- to post-survey regarding regarding the proportion of patients with restraint and the number of restraint events per patient. No statistically significant changes were identified for the intervention group. The experiences from this work confirm the difficulties in implementing guidelines in the everyday reality of acute psychiatric wards. Hence, recent recommendations emphasize the importance of external coaching and a structured implementation plan.