dc.contributor.author
Labsch, Amelie
dc.date.accessioned
2024-08-26T09:20:25Z
dc.date.available
2024-08-26T09:20:25Z
dc.identifier.uri
https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/44540
dc.identifier.uri
http://dx.doi.org/10.17169/refubium-44252
dc.description.abstract
Schüler*innen mit den unterschiedlichsten individuellen Voraussetzungen und Bedarfen haben seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009 Anspruch auf den Besuch einer allgemeinen Schule und damit auf das gemeinsame Lernen mit Gleichaltrigen ohne entsprechende Ansprüche und Bedarfe. Bislang bestehende Bestrebungen, Klassen bzw. Lerngruppen insbesondere während der Sekundarstufe nach bestimmten Merkmalen ihrer Schüler*innen, wie ihres Alters und ihrer Leistungen, zu homogenisieren, werden durch diesen Anspruch weitgehend aufgebrochen, was Inklusion zu einer grundlegenden Reform des Bildungssystems macht.
Dies hat zur Folge, dass in einer inklusiven Lernumgebung Schüler*innen mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten und Förderbedarfen aufeinandertreffen und sozial interagieren. Aus sozialisationstheoretischer Perspektive ermöglicht dies sowohl für diejenigen mit entsprechenden Förderbedarfen (im Folgenden mit SPF für „sonderpädagogische Förderbedarfe“ abgekürzt) als auch für ihre Mitschüler*innen ohne SPF spezielle Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten. Gerade wie es Schüler*innen ohne SPF in inklusiven Lernsettings ergeht und welche Erfahrungen sie durch den schulischen Kontakt mit Gleichaltrigen mit SPF machen, findet in der bisherigen Forschung noch wenig Beachtung. So fällt auch der aktuelle Diskurs um diese Gruppe heterogen aus. Einerseits wird von positiven Erfahrungen ausgegangen, indem Schüler*innen ohne SPF durch den Kontakt zu Gleichaltrigen mit SPF für Diversität und Heterogenität sensibilisiert werden und individuell davon profitieren können. Andererseits wird dagegen argumentiert, dass Schüler*innen ohne SPF als sozial unerwünscht angesehene negative Verhaltensweisen ihrer Peers mit SPF für sich übernehmen könnten, dass Lehrkräfte zu vielen Anforderungen im inklusiven Unterricht gegenüberstünden und sich vermehrt um diejenigen mit SPF kümmern müssten, was letztlich in negativen Beziehungserfahrungen und im Abfallen der akademischen Leistungen von Schüler*innen ohne SPF resultieren könnte. Diesem Diskurs widmet sich die vorliegende Dissertation und nimmt in drei Einzelbeiträgen verschiedene Outcomes auf Ebene der Schüler*innen ohne SPF, die in einem inklusiven Setting lernen, in den Blick.
In einem ersten Beitrag wird entsprechend betrachtet, ob zwischen Schüler*innen mit und ohne SPF negative Peereffekte bestehen, die dazu beitragen, dass Schüler*innen ohne SPF in inklusiven Lernsettings das vermeintlich ungünstigere soziale Verhalten ihrer Mitschüler*innen mit SPF für sich übernehmen und letztlich geringeres soziales Verhalten zeigen als Gleichaltrige in nicht-inklusiven Settings. Den angestellten Mehrebenenanalysen zufolge unterscheiden sich Schüler*innen der sechsten Jahrgangsstufe nicht in ihrem sozialen Verhalten aufgrund des Besuchs einer inklusiven Lernumgebung generell und auch nicht in Abhängigkeit davon, wie viele Schüler*innen mit SPF mit ihnen gemeinsam unterrichtet werden. Allerdings fällt ihr soziales Verhalten geringer aus, je mehr Gleichaltrige aus niedrigen sozialen Schichten mit ihnen lernen. Die verwendeten Daten belegen zudem, dass die sozioökonomische Klassenkomposition in inklusiven Klassen insgesamt geringer ausfällt als in Parallelklassen ohne Schüler*innen mit SPF.
Der zweite Beitrag fokussiert die emotionalen Belange von Schüler*innen ohne SPF und geht der Frage nach, ob Vergleichsprozesse zwischen Schüler*innen mit und ohne SPF in inklusiven Klassen dazu beitragen, dass inklusiv lernende Schüler*innen ohne SPF ein höheres Selbstwertgefühl ausbilden als ihre Peers in nicht-inklusiven Klassen. Auch hier liefern Mehrebenenanalysen von Daten von Schüler*innen ohne SPF der fünften Jahrgangsstufe keine Hinweise darauf, dass der inklusive Lernkontext generell sowie die Klassenzusammensetzung aus Schüler*innen mit und ohne SPF mit ihrem Selbstwertgefühl assoziiert ist. Stattdessen wird erneut deutlich, dass die sozioökonomische Klassenkomposition für unterschiedliche Ausprägungen des Selbstwertgefühls sorgt und, dass in inklusiven Klassen ebendiese insgesamt geringer ausfällt.
Schließlich wird in einem dritten Beitrag die Beziehung zwischen Lehrkräften und Schüler*innen aus Sicht von Schüler*innen ohne SPF in den Blick genommen. Theoretisch ist davon auszugehen, dass das Verhalten und Lernen von Schüler*innen mit SPF nicht den normativen Erwartungen ihrer Lehrkräfte entsprechen und dadurch Schüler*innen ohne SPF eine größere Zuwendung erfahren. In der aktuellen Forschungslandschaft zeigt sich diese Annahme allerdings bislang nicht. Daher wurde erneut mehrebenenanalytisch geprüft, ob Schüler*innen ohne SPF in inklusiven Klassen der sechsten Jahrgangsstufe die Beziehung zu ihren Lehrkräften als weniger positiv als Gleichaltrige in nicht-inklusiven Klassen bewerten. Aus den Befunden lassen sich weder Vor- noch Nachteile eines inklusiven Lernsettings für die Beziehung zwischen Schüler*innen ohne SPF und ihren Lehrkräften
ableiten. Auch die verschiedenen Förderbedarfe der Schüler*innen mit SPF bedingen die Beziehung nicht negativ.
Die Ergebnisse bereichern den aktuellen Diskurs um Folgen eines inklusiven Schulsystems für Schüler*innen ohne SPF insofern, dass sie negative Annahmen hinsichtlich ihres sozialen Verhaltens und ihres emotionalen Befindens entkräften. Wenn das inklusive Setting in den angestellten Untersuchungen auch keine positiven Wirkungen auf soziale und emotionale Outcomes der Schüler*innen ohne SPF hat, sind auch keine Nachteile erkennbar. Stattdessen zeigt sich, dass inklusive Klassen, wie sie in den vorliegenden Arbeiten operationalisiert werden, überwiegend von Schüler*innen aus sozial schwächeren Familien besucht werden und eine geringe sozioökonomische Klassenkomposition durchaus negativ mit dem sozialen Verhalten und emotionalen Befinden von Schüler*innen ohne SPF zusammenhängt. So lässt sich von den Ergebnissen ableiten, dass Schüler*innen mit SPF häufig in Klassen platziert werden, in denen ohnehin schon vermehrt Schüler*innen mit besonderen Anforderungen und Bedarfen aufgrund ihrer sozialen Herkunft lernen. Bei der Strukturierung von Klassen bzw. Lerngruppen und der Verteilung von Schüler*innen mit SPF
auf einzelne Jahrgänge sollte also die gesamte Heterogenität aller Schüler*innen berücksichtigt werden, insbesondere ihr sozioökonomischer Status, um etwaige negative Effekte hinsichtlich sozialer und emotionaler Outcomes von Schüler*innen ohne SPF – und ggf. auch derjenigen mit SPF – zu vermeiden.
de
dc.description.abstract
Since the ratification of the UN Convention on the Rights of Persons with Disabilities in 2009, students with a wide range of individual requirements and needs have been entitled to attend a mainstream school and thus to learn together with their peers without corresponding requirements and needs. Previous efforts to homogenize classes or learning groups, especially during secondary school, according to certain characteristics of their students, such as their age and performance, are largely broken up by this entitlement, which makes inclusion a fundamental reform of the education system.
As a result, in an inclusive learning environment, students with a wide range of abilities and support needs come together and interact socially. From a socialization theory perspective, this enables special learning and development opportunities for both those with special educational needs (abbreviated as SEN in the following) and their peers without SEN. Research to date has paid little attention to how students without SEN fare in inclusive learning settings and what experiences they have through school contact with their peers with SEN. The current discourse on this group is therefore heterogeneous.
On the one hand, positive experiences are assumed that students without SEN are sensitized to diversity and heterogeneity through contact with peers with SEN and can benefit from this individually. On the other hand, it is argued that students without SEN could adopt negative behaviors of their peers with SEN that are considered socially undesirable, that teachers would face too many demands in inclusive education and would have to pay more attention to those with SEN, which could ultimately result in negative relationship experiences and even in a drop in the academic performance of students without SEN. This dissertation is dedicated to this discourse and looks at various outcomes at the level of students without SEN who learn in an inclusive setting in three individual contributions.
In a first article, it is examined whether there are negative peer effects between students with and without SEN that contribute to students without SEN in inclusive learning settings adopting the supposedly less favorable social behavior of their classmates with SEN and ultimately showing less social behavior than their peers in non-inclusive settings. According to the multi-level analyses conducted, sixth-grade students do not differ in their social behavior as a result of attending an inclusive learning environment in general, nor do they differ depending on how many students with SEN are taught with them. However, their social behavior is lower the more peers from lower social classes learn with them. The used data also show that the socio-economic class composition in inclusive classes is lower overall than in parallel classes without students with SEN.
The second article focuses on the emotional concerns of students without SEN and explores the question of whether comparison processes between students with and without SEN in inclusive classes contribute to students without SEN in inclusive classes developing higher self-esteem than their peers in non-inclusive classes. Here, too, multi-level analyses of data from students without SEN in year five provide no evidence that the inclusive learning context in general or the class composition of students with and without SEN is associated with their self-esteem. Instead, it becomes clear once again that the socio-economic composition of the class leads to different levels of self-esteem and that the socio-economic composition is lower overall in inclusive classes.
Finally, a third contribution looks at the relationship between teachers and students from the perspective of students without SEN. Theoretically, it can be assumed that the behavior and learning of students with SEN do not meet the normative expectations of their teachers and that students without SEN therefore receive greater attention. However, this assumption has not yet been confirmed in the current state of research. Therefore, a multi-level analysis was again conducted to examine whether students without SEN in inclusive sixth-grade classes rate their relationship with their teachers as less positive than their peers in non-inclusive classes. Neither advantages nor disadvantages of an inclusive learning setting for the relationship between students without SEN and their teachers can be derived from the findings. The different support needs of students with SEN also do not have a negative impact on the relationship.
The results enrich the current discourse on the consequences of an inclusive school system for students without SEN in that they invalidate negative assumptions regarding their social behavior and emotional condition. Even if the inclusive setting does not have any positive effects on the social and emotional outcomes of students without SEN in the conducted studies, no disadvantages are discernible either. Instead, it can be seen that inclusive classes, as operationalized in the present studies, are predominantly attended by students from socially weaker backgrounds and that a low socio-economic class composition is definitely negatively related to the social behavior and emotional condition of students without SEN. It can therefore be deduced from the results that students with SEN are often placed in classes in which there are already more students with special needs and requirements due to their social background. When structuring classes or learning groups and distributing students with SEN to individual class level, the overall heterogeneity of all students should therefore be taken into account, particularly their socio-economic status, in order to avoid any negative effects with regard to the social and emotional outcomes of students without SEN - and possibly also those with SEN.
en
dc.format.extent
vii, 150 Seiten
dc.rights.uri
http://www.fu-berlin.de/sites/refubium/rechtliches/Nutzungsbedingungen
dc.subject
Schüler*innen ohne sonderpädagogische Förderbedarfe
de
dc.subject
Sekundarstufe I
de
dc.subject
sozial-emotionales Lernen
de
dc.subject.ddc
300 Sozialwissenschaften::370 Bildung und Erziehung::370 Bildung und Erziehung
dc.title
Schüler*innen ohne sonderpädagogische Förderbedarfe in einer inklusiven Lernumgebung
dc.contributor.gender
female
dc.contributor.firstReferee
Schüpbach, Marianne
dc.contributor.furtherReferee
Hein, Sascha
dc.date.accepted
2024-07-12
dc.identifier.urn
urn:nbn:de:kobv:188-refubium-44540-2
refubium.affiliation
Erziehungswissenschaft und Psychologie
dcterms.accessRights.dnb
free
dcterms.accessRights.openaire
open access