Mit dem Ziel der Theoriebildung gehe ich der Fragestellung nach, welchen Einfluss politische Steuerung auf die Versorgungssicherheit mit Strom hat, um die Auswirkungen der Privatisierung und Liberalisierung der Elektrizitätswirtschaft abzuschätzen. Mittels multipler Regression kontrolliere ich auf die Bedeutung technischer Merkmale der physischen Elektrizitätsinfrastruktur, sozioökonomischer Rahmenbedingungen, struktureller und prozeduraler Merkmale des politischen Systems, um den Effekt der Energiewirtschafts- und Infrastrukturpolitik zu isolieren.
Die Versorgungssicherheit mit Strom steigt allgemein an. Die Widerstandsfähigkeit der Elektrizitätsinfrastruktur gegen Störereignisse ist langfristig konstant. Veränderungen der durchschnittlichen Unterbrechungsdauer SAIDI gehen meist auf die Zeit bis zur Wiederversorgung nach einem Stromausfall CAIDI zurück. Dies deutet auf einen Einmaleffekt des Alters der langlebigen Basiskomponenten und einen hohen Einfluss von Investitionsentscheidungen in kurzlebige Komponenten wie die Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik hin.
Weder die durch natürliche Widrigkeiten bedingten Versorgungskosten, die langfristige Stabilität der wirtschaftlichen oder politischen Rahmenbedingungen, die Kapitalverfügbarkeit noch die instrumentelle Energiewirtschafts- oder Infrastrukturpolitik erklären die internationalen Unterschiede bei der Versorgungssicherheit mit Strom. Vielmehr erklärt die Korruptionswahrnehmung knapp die Hälfte der international zu beobachtenden Varianz.
Mit der Theorie der Determinanten der Versorgungssicherheit mit Strom interpretiere ich anschließend an die Capture-Theorie zur Regulierungsgenese in konzentrierten Wirtschaftssektoren das Energiesystem als ein von konkurrierenden Interessen geprägtes, selbstregelndes soziotechnisches System. Die Verbreitung von Korruption bestimmt, ob die Stromversorgung als öffentliches Gut im Bereich des gesellschaftlichen Optimums zwischen Preisgünstigkeit und Zuverlässigkeit oder als privates Gut erbracht wird. Vereinnahmen Interessengruppen die Energiewirtschaftspolitik illegal als privates Gut, sinkt die Versorgungssicherheit mit Strom durch das soziale Dilemma der Korruption und die Erosion des Staatswesens, selbst wenn diese Gruppen sich für eine höhere Versorgungssicherheit mit Strom einsetzen. Aufgrund der Bedeutung der prozessualen Dimension von Politik bewerte ich den Einfluss politischer Steuerung trotz der fehlenden Effekte der instrumentellen Energiewirtschafts- und Infrastrukturpolitik auf die Versorgungssicherheit mit Strom als sehr hoch.
Ich prognostiziere, dass die Privatisierung und Liberalisierung der Energiewirtschaft keinen feststellbaren Effekt auf die Versorgungssicherheit mit Strom haben werden. Erstens können angesichts der schlechten Qualität der Daten zur Quantifizierung der Versorgungssicherheit mit Strom nur große Effekte identifiziert werden. Auf einen substantiellen Effekt dieser Reformen gibt der im internationalen Vergleich fehlende Effekt der instrumentellen Energiewirtschaftspolitik aber keinen Hinweis. Zweitens erwarte ich aus der prozeduralen Konzeption des Energiesystems als selbstregelndes soziotechnisches System, dass mögliche substanzielle Effekte auf die Versorgungssicherheit mit Strom anderweitig über das System der Interessenvermittlung kompensiert würden. Drittens sehe ich keine wesentliche Veränderung der Interessengruppenstruktur durch die Privatisierung und Liberalisierung vormals staatlicher EVU unter dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit mit Strom. Energieversorgungsunternehmen haben durch ihr natürliches Monopol im Bereich der Stromnetze geringe Anreize, der gesellschaftlichen Nachfrage nach einer preisgünstigen und zuverlässigen Stromversorgung zu entsprechen. Auch bei einer Entflechtung der Bereiche Stromerzeugung, ‑vertrieb und Netzbetrieb sind Strategien der Koexistenz die kosteneffizienteste Art der Interessenwahrnehmung, die auf einen Regulierungsrahmen hinwirken, der zuverlässigkeitssteigernde Investitionen des Netzbetreibers anregt und damit verbundene Kosten auf unorganisierte gesellschaftliche Gruppen abwälzt. Deshalb bedarf es unabhängig vom eigentumsrechtlichen Status der Elektrizitätswirtschaft einer staatlichen Korrektur der Anreizstrukturen.
With the goal of theory formation I‘m following the research question to what extend does political governance influence the reliability of electricity supply. I want to estimate the effects of utility privatization and the liberalization of electricity markets. I’m using multiple regression to isolate the effects of utilities and infrastructure policy from the physical electricity infrastructure’s technical properties, basic socioeconomic conditions, as well as structural and procedural characteristics of the political system.
Reliability of electricity supply is generally improving. The physical infrastructure’s robustness against disruptive events is constant in the long-term. Changes in the average interruption duration SAIDI result mostly from changes in the time needed until resupply after a blackout CAIDI. This suggests an one-off effect of the long-lived basic component’s age and a high relevance of investment decisions in short-lived components such as instrumentation and control systems.
Neither the costs imposed by natural adversities, long-term economic or political stability, availability of capital, nor the instrumental utilities and infrastructure policy explain the international differences in the reliability of electricity supply. Rather, the perception of corruption explains almost half of the observed variability.
Following the Capture Theory of Economic Regulation I frame the energy system as a self-regulating socio-technical system, that is shaped by competing interests. Depending on the spread of corruption the power supply is either provided as a public good near the social optimum between affordability and reliability or it becomes a private good if interest groups capture the state illegally. In the latter case, the social dilemma of corruption and the erosion of the state deteriorate service quality, even if these groups advocate for a higher reliability of electricity supply. Given the importance of politics, I conclude that political governance is very important for ensuring the reliability of electricity supply even though the instrumental utilities and infrastructure policy proved uninfluential.
I’m predicting that the effects of utility privatization and the liberalization of the electricity market will have no measureable impact on the reliability of electricity supply. Firstly, given the poor quality of available data to quantify the reliability of electricity supply, only large effects can be identified. Since my international comparison showed no effect of the instrumental utilities policy, I see no evidence to support a large effect of such reforms. Secondly, the conceptualisation of the energy system as a self-regulating socio-technical system implies, that if there was a substantial effect, it would be compensated through the system of interest representation. Thirdly, regarding the reliability of electricity supply neither privatization nor liberalization change the structure of interest groups much. Given their natural monopoly in the area of grid operations, utilities have little incentive to serve the social demand for affordable and reliable electricity supply. Thus, regardless of public or private ownership the incentive structures of utilities must be altered by the state. Even with the unbundling of generation, supply and grid operations strategies of coexistence are the most cost-efficient way to preserve the interests of independent power providers and utilities. Their aim is to encourage investment from the grid operator, while passing on the costs onto unorganized societal groups.