dc.description.abstract
In der vorliegenden Arbeit werden die Funktionen von Blicken und von Vorgängen des Sehens und Gesehenwerdens im Kontext der Klarissenklöster in Söflingen, Nürnberg und München vom 15. bis zum 17. Jahrhundert analysiert und die Lebenswelt frühneuzeitlicher Frauenklöster damit aus einer sinnes- und geschlechtergeschichtlichen Perspektive betrachtet. Vor dem Hintergrund raumtheoretischer Überlegungen werden Blicke und visuelle Wahrnehmungen als Handlungen begriffen und für eine Beschreibung der Beziehungen der Nonnen untereinander sowie zum klosterexternen Umfeld herangezogen. Über die Analyse von Blickoptionen, visuellen Zugänglichkeiten und tatsächlich erfolgten oder aber verhinderten Blickkontakten können Machtverhältnisse verdeutlicht werden, die sowohl innerhalb der Klöster als auch zwischen den Konventen und der Außenwelt wirkten. Ziel der Arbeit ist es, die Möglichkeiten und Grenzen des visuellen Handelns der Nonnen als Sehende und Gesehene nachzuvollziehen und damit eine neue Ebene von female agency zu erschließen.
Vor dem Hintergrund der in den Klöstern durchgeführten Reformen und Visitationen, lässt sich veranschaulichen, dass männliche Obrigkeiten zwar wiederholt in visuelle Gegebenheiten und damit einhergehende Blickoptionen der Nonnen eingriffen, die Konvente ihre Sehgewohnheiten bis zu einem gewissen Grad jedoch auch behaupten konnten. Die Frage nach einem Wandel der Blickverhältnisse zwischen Kloster und Welt ermöglicht es dabei, das Verständnis für die konfessionellen Unterschiede im Umfeld der jeweiligen Konvente zu schärfen. Anders als im Falle des Söflinger Konvents ging in Nürnberg mit der visuellen Öffnung der Klausur des Klarissenklosters und dem Sichtbarwerden der Nonnen im Zuge der Reformation auch ein Bedeutungsverlust der gesellschaftlichen Stellung des Konvents einher. Im Münchner Konvent blieben die Klausur und daran gebundene visuelle Restriktionen als zentraler Bestandteil der Lebensweise der Schwestern bestehen und formten nicht nur die religiöse Identität des Konvents, sondern galten insbesondere nach dem Konzil von Trient auch als entscheidendes Distinktionsmerkmal gegenüber anderen weiblichen Klostergemeinschaften.
Im Rahmen der Untersuchung der architektonischen Binnenstruktur und Raumnutzung im Inneren der Klöster wird aufgezeigt, dass das visuelle Erleben einzelner Nonnen entscheidend von der sozialen Hierarchie innerhalb der Konvente abhängig war und je nach individueller Stellung innerhalb der Gemeinschaft variierte. Über ihren Blick war jede Klosterfrau in das konventsinterne visuelle Überwachungsnetz eingebunden und partizipierte damit sowohl als Sehende als auch Gesehene an der Aufrechterhaltung der gemeinschaftlich befolgten Ordnung. Das mit Fragen des Sehens und Gesehenwerdens einhergehende Machtgefüge schlug sich darüber hinaus auch im Austausch zwischen den Klöstern und der Außenwelt nieder. Während die Konvente einerseits die Einsehbarkeit der Klausur unterbanden und die Blicke von Besuchern regulierten, waren Blickkontakte andererseits jedoch auch ein wichtiger Bestandteil der Beziehungen zum klosterexternen Umfeld. Wer die Nonnen sehen durfte und wer nicht, spiegelte dabei die machtpolitischen, wirtschaftlichen und familiären Interessen der Konvente sowie einzelner Schwestern wider.
Ausgehend von den Handlungsmöglichkeiten, die sich Klosterfrauen als Sehende sowohl innerhalb der Klöster als auch in Bezug auf ihr Verhältnis zur Außenwelt boten, bricht die vorliegende Arbeit den Topos vom passiven, gesenkten oder abgewandten weiblichen Blick im Gegensatz zu einem aktiv schauenden männlichen Blick in der Frühen Neuzeit auf. Der Blick weiblicher Konventsmitglieder wird als wachsamer, maßregelnder, sinnstiftender, subversiver, grenzüberschreitender, machtergreifender und damit letztlich als ein höchst aktiver Blick beschrieben.
de