Hintergrund: Nichtepileptische Anfälle (engl: Nonepileptic Seizures, NES) sind Anfälle, die in ihrer äußeren Erscheinung epileptischen Anfällen ähneln, neurophysiologisch in der Elektroenzephalographie (EEG) jedoch nicht die typische Aktivität eines epileptischen Anfalls aufweisen. NES gehen mit sozialen und beruflichen Beeinträchtigungen einher, die mit einer Epilepsieerkrankung vergleichbar sind und stellen durch hohe direkte und indirekte Kosten eine beachtliche gesundheitsökonomische Belastung dar.
Die Ätiopathogenese des Krankheitsbildes ist bisher nicht gut verstanden. Es wird eine multifaktorielle Genese angenommen, bei der u.a. Exekutivfunktionen, Aufmerksamkeit und kognitive und emotionale Empathie eine Rolle zu spielen scheinen.
Methoden: Im Rahmen einer randomisierten kontrollierten Studie, in der eine neue körperwahrnehmungsorientierte Therapie (CORDIS) unserer Arbeitsgruppe evaluiert wurde, haben wir vor der Intervention eine Fall-Kontroll-Studie mit dem gleichen Patient:innenkollektiv durchgeführt. Dafür haben wir 41 Erkrankte mit NES mit gesunden Kontrollpersonen nach Alter, Geschlecht und Bildungsabschluss gematcht. Für die Erfassung der emotionalen und kognitiven Empathie haben beide Gruppen den Multifaceted Empathy Task (MET) und den Reading the Mind in the Eyes Test (RMET) durchgeführt. Für die Erfassung der Exekutivfunktionen (Arbeitsgedächtnis und mentale Flexibilität) haben beide Gruppen den Digit Span Test (DS) und den Trailmaking-Test durchgeführt (TMT). Für die Erfassung der Aufmerksamkeit wurde von beiden Gruppen der Attentional Network Task ausgeführt (ANT). Für die Erfassung einer möglicherweise vorliegenden Psychopathologie wurden außerdem Selbstauskunftsfragbögen von beiden Gruppen beantwortet.
Ergebnisse: Erkrankte mit NES zeigten im Vergleich zu der gesunden Kontrollgruppe keine Einschränkungen in der kognitiven Empathie. Im Bereich der emotionalen Empathie war die NES-Gruppe weniger mitfühlend bezüglich positiver Emotionen. Außerdem zeigten Erkrankte mit NES Einschränkungen in den Exekutivfunktionen (Arbeitsgedächtnis und mentale Flexibilität). Im Bereich der Aufmerksamkeit zeigten sich keine Gruppenunterschiede.
Diskussion: Unsere Ergebnisse deuten auf Einschränkungen in der Empathie und den Exekutivfunktionen bei Erkrankten mit NES hin. Möglicherweise spielen diese Faktoren in der Ätiologie von NES eine Bedeutung, was über unser Fall-Kontroll-Design jedoch nicht geprüft werden kann.
Das könnte – falls es in größeren Stichproben repliziert wird – bei therapeutischen Optionen und krankheitskonzeptuellen Überlegungen berücksichtigt werden.
Introduction: Nonepileptic seizures (NES) are seizures that resemble epileptic seizures, but do not show the typical activity of an epileptic seizure in an EEG examination. NES are associated with social and occupational impairments that are comparable to epilepsy and represent a significant health economic burden due to high direct and indirect costs.
The underlying etiologic mechanisms of NES are not well understood. A multifactorial genesis is assumed, in which executive functions, attention, and cognitive and emotional empathy, among others, seem to play a role.
Methods: As part of a randomized controlled trial evaluating a new body-awareness-oriented therapy (CORDIS) from our research group, we conducted a case-control study with the same patient population prior to the intervention. 41 patients with NES and healthy controls were matched for age, gender, and educational level. For the assessment of emotional and cognitive empathy, the two groups completed the Multifaceted Empathy Task (MET) and the Reading the Mind in the Eyes Test (RMET). To assess executive functions, the two groups performed the Digit Span Test (DS) and the Trailmaking Test (TMT). Both groups performed the Attentional Network Task (ANT) to assess attention. Selfreport questionnaires were also completed by both groups to assess symptoms of depression and dissociation.
Results: Patients with NES showed no impairment in cognitive empathy compared to healthy controls. In the domain of emotional empathy, patients with NES appeared to be less empathetic regarding positive emotions. In addition, patients with NES showed impairments in executive functions (working memory and mental flexibility). We found no group differences regarding attention.
Discussion: Our results suggest impairments in empathy and executive functions in patients with NES. This could – if replicated in larger sample sizes – be considered in the development of new therapeutic treatment options and for conceptual frameworks of the psychopathology of NES.