dc.description.abstract
In der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit einer Krebserkrankung hat die Sicherstellung einer hohen Lebensqualität einen besonderen Stellenwert. Während eine hohe Lebensqualität im Erwachsenenalter für viele Betroffene die Erfüllung eines bestehenden Kinderwunsches beinhaltet, erleidet ein relevanter Anteil eine Unfruchtbarkeit infolge ihrer Krebstherapie. Dies macht es in der medizinischen Betreuung notwendig, sich bereits bei Kindern und Jugendlichen mit Themen des Erwachsenenalters auseinanderzusetzen. In einer an das individuelle Risiko für Fertilitätsstörungen adaptierten Aufklärung sollten ausreichend Informationen über zur Verfügung stehende etablierte und experimentelle fertilitätserhaltende Maßnahmen (inklusive Abläufe, Risiken, Erfolgsaussichten und alternative Behandlungsoptionen) zu Beginn der onkologischen Behandlung und in Folge zur Verfügung gestellt werden. Zudem sollten gesundheitsbezogene Aspekte der Nachkommen adressiert werden, um Betroffenen unnötige Ängste zu nehmen. Um der besonderen Gesprächssituation in der Kinderonkologie Rechnung zu tragen, können Informationsmaterialien für Patient:innen zur Unterstützung der Informationsweitergabe genutzt werden. Die Entscheidung bezogen auf fertilitätsprotektive Maßnahmen im Rahmen der Krebsbehandlung sollte hierbei gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen getroffen werden.
In unserer Interventionsstudie PanCareLIFE-Patient Education untersuchten wir, inwieweit altersentsprechendes und geschlechtsspezifisches Informationsmaterial die Aufklärung von jungen Krebspatient:innen und deren Eltern unterstützen kann. Es zeigte sich, dass die Verwendung von Informationsflyern und Broschüren zu einem Wissenszuwachs bei den Betroffenen führte und sie sich häufiger in der Lage sahen, eine eigenständige Entscheidung für oder gegen fertilitätsprotektive Maßnahmen zu treffen. Zeitgleich nutzten Patient:innen, die Informationsmaterial ausgehändigt bekommen hatten, seltener andere Medien als Informationsquellen. Da die prinzipiell am häufigsten genutzte Informationsquelle jedoch das Internet ist, haben wir zudem laienverständliche Informationen zu Fertilitätsaspekten in der Kinderonkologie für Betroffene und deren Familien auch online zur Verfügung gestellt. Obwohl sich die Rate der Inanspruchnahme fertilitätserhaltender Maßnahmen zwischen der Interventionsgruppe und der Kontrollgruppe in unserer Studie nicht unterschied, schien eine Aufklärung mit Informationsmaterialien das individuelle Risiko stärker in den Fokus zu rücken und somit zu einer individuelleren Entscheidungsfindung beizutragen. Defizite sahen wir sowohl in der Aufklärung von jüngeren als auch weiblichen Patient:innen, ebenso standen fertilitätserhaltende Maßnahmen noch längst nicht allen Patient:innen zur Verfügung. Die interdisziplinären Bemühungen im Rahmen von Netzwerken wie FertiPROTEKT e.V. tragen dazu bei, diese Versorgungslücken weiter zu schließen. Vorangegangene Studien anderer Arbeitsgruppen zeigten auch Barrieren seitens der behandelnden Ärzt:innen hinsichtlich der Fertilitätsaufklärung auf. Um diese Barrieren abzubauen, ist die Stärkung der Kompetenzen des ärztlichen Teams ein notwendiger Schritt, um letztlich auch die Weiterleitung der betroffenen Patient:innen an reproduktionsmedizinische Teams und schließlich die Inanspruchnahme fertilitätserhaltender Maßnahmen zu fördern. Wir erstellten vor diesem Hintergrund medizinische Leitlinien und klinikinterne Standard Operating Procedures (SOPs). Ein wichtiger Aspekt in der Aufklärung stellt zudem auch die Frage nach der Übernahme der Kosten fertilitätserhaltender Maßnahmen dar, die dazu führen kann, dass Patient:innen seltener aufgeklärt und entsprechend auch seltener an Reproduktionsmediziner:innen überwiesen werden. Von großer Bedeutung für die Chancengleichheit von Betroffenen ist daher die aktuelle Gesetzesänderung, mit welcher die Grundlage zur Kostenübernahme fertilitätserhaltender Maßnahmen bei Patient:innen mit gonadotoxischer Therapie geschaffen wurde.
Trotzdem Leitlinien fertilitätsprotektive Maßnahmen vor einer gonadotoxischen Therapie empfehlen, ist dies mit den aktuell zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht immer realisierbar. Da insgesamt nur ein kleiner Anteil der Patient:innen fertilitätsprotektive Maßnahmen ergriff, ist es umso wichtiger, die bereits in Leitlinien empfohlenen Kontrollen der Pubertäts-/ Fruchtbarkeitsentwicklung bei (ehemaligen) Patient:innen durchzuführen. So sollte auch im Nachgang zur Therapie ein Augenmerk auf die Pubertäts- und Fruchtbarkeitsentwicklung bei den heranwachsenden Patient:innen gelegt werden. Dies eröffnet die Möglichkeit, falls vor Therapie nicht möglich, auch nach Therapie noch fruchtbarkeitserhaltende Maßnahmen einzuleiten. Für den Fall, dass eine Fertilitätsprotektion weder vor noch nach Therapie durchgeführt werden kann, sollten auch frühzeitig Alternativen der Kinderwunscherfüllung, wie etwa die Option einer Adoption, mit den Betroffenen besprochen werden.
Ist die Erfüllung eines bestehenden Kinderwunsches erfolgreich, so zeigten Studien, dass Nachkommen ehemaliger kinderonkologischer Patient:innen kein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen oder (nicht-hereditäre) Krebserkrankungen hatten. In unserer Multizentrischen Nachkommenstudie zeigte sich, auch nach Anwendung einer künstlichen Befruchtung bei Krebspatient:innen, weitestgehend keine Beeinträchtigung der Nachkommengesundheit bezogen auf perinatale Outcomes sowie auf das Auftreten von kongenitalen Fehlbildungen oder Krebserkrankungen. Ehemalige Patient:innen berichteten für ihre Nachkommen zudem eine zur Allgemeinbevölkerung vergleichbare bis höhere gesundheitsbezogene Lebensqualität. Während die Sorge um die Gesundheit der eigenen Kinder einen Einfluss auf die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen, das gesundheitsbezogene Verhalten und auf die Einschätzung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von ehemaligen Patient:innen für ihre Nachkommen hatte, zeigte sich keine negative Assoziation mit Art der Krebsdiagnose oder –therapie hinsichtlich dieser Gesundheitsaspekte. Dennoch, um die Ergebnisse unserer Multizentrischen Studie zu bestätigen, bedarf es weiterer Studien in größeren Kollektiven, um auch kleinere Effekte zu detektieren.
In den vergangenen Jahren gab es einen deutlichen Zuwachs an Informationen zu Fertilitätsaspekten bei kinderonkologischen Patient:innen, hingegen gibt es noch große Wissenslücken für andere Patient:innengruppen, die eine potenziell gonadotoxische Therapie benötigen. Künftige Studien sollten diese Patient:innen gezielt adressieren, um für diese Kinder und Jugendlichen ebenfalls eine optimierte Familienplanung zu ermöglichen.
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