Die komplexe Analyse der pharmakokinetischen Eigenschaften eines Arzneistoffs in der frühen Phase der klinischen Entwicklung (Phase-I) auf einer großen Datenbasis bildet die Grundlage für sich anschließende pharmakokinetische und pharmakodynamische Untersuchungen in der Patientenzielpopulation und trägt zur Entwicklung rationaler Dosierungsstrategien bei, v. a. zur effizienten Planung und Durchführung von Phase-II- und Phase-III-Studien. Die pharmakokinetische Analyse mit Hilfe des Populationsansatzes beinhaltet die Charakterisierung der quantitativen Zusammenhänge zwischen verabreichter Dosis, erreichter Arzneistoffkonzentration und zeitlichem Verlauf sowie die Ermittlung der auftretenden pharmakokinetischen Variabilität des Arzneistoffs in einer Population. Darüber hinaus umfasst die Analyse die Identifizierung und Quantifizierung von Covariaten (z.B. demographischen und klinisch-chemischen Parametern), die für diese Variabilität zumindest teilweise verantwortlich sind. In der vorliegenden Arbeit wurde eine populationspharmakokinetische Analyse des If-Kanalblockers Cilobradin durchgeführt, der in der klinischen Entwicklung (Phase-I) untersucht wurde. Durch If-Kanalblockade wird spezifisch die Herzfrequenz und somit der myokardiale Sauerstoffverbrauch reduziert ohne Beeinflussung der myokardialen Kontraktilität, der linksventrikulären Funktion und des Blutdrucks. Deshalb stellen If-Kanalblocker eine Erfolg versprechende Option in der Therapie myokardialer Ischämien dar. Für Cilobradin wurde ein umfassendes populationspharmakokinetisches Modell mit Hilfe der Software NONMEM® entwickelt. Dazu wurden 2733 Plasmakonzentrationen aus sechs Phase-I-Studien von Cilobradin mit einer Vielzahl unterschiedlicher Dosierungsschemata, u.a. mit neun verschiedenen Dosisgruppen (0.6 mg - 40 mg), drei verschiedenen Formulierungen (p.o.-Lösung, p.o.-Kapsel, i.v.-Lösung), einmalige sowie wiederholte Verabreichung bis zu 15 Tagen, berücksichtigt. Wegen des stark unbalancierten Designs des gesamten Datensatzes wurde der populationspharmakokinetische Ansatz nach der nichtlinearen Regressionsmethode unter Berücksichtigung gemischter Effekte eingesetzt. Das entwickelte populationspharmakokinetische Struktursubmodell zeichnete sich durch eine offene Drei-Kompartiment-Struktur aus, in dem die Arzneistoffinvasion bei p.o.-Applikation mit einer Kinetik erster Ordnung und bei i.v.-Kurzinfusion (20 min) mit einer Kinetik nullter Ordnung beschrieben wurde. Die Resorptionsphase nach p.o.-Applikation der Kapsel ließ sich durch Berücksichtigung einer Resorptionsverzögerungszeit, die mit 0.154 h abgeschätzt wurde, präzisieren. Die absolute Bioverfügbarkeit F1 von Cilobradin nach p.o.-Applikation der Lösung oder der Kapsel wurde mit 34 % bzw. 43 % abgeschätzt, d.h. Cilobradin unterlag einer starken präsystemischen Eliminierung. In dem Drei-Kompartiment-Modell zeigte der Verteilungsprozess zwischen dem zentralen und dem flachen peripheren Kompartiment (erste Verteilungsphase) vom Applikationsweg abhängige Charakteristika, was sich in der separaten Abschätzung der Verteilungsvolumina V2, V3 und der interkompartimentellen Clearance Q3 für i.v. und p.o. niederschlug. Die erste Verteilungsphase war nach i.v.-Applikation deutlich schneller und ausgeprägter als nach p.o.-Applikation. Die erste p.o.-Verteilungsphase wurde vermutlich durch vorgeschaltete, langsamer ablaufende Prozesse (z.B. Absorption) maskiert und war demzufolge nicht als schnelle Verteilungphase erkennbar. Die typischen Steady-State-Verteilungsvolumina, die sich aus den abgeschätzten Populationswerten von V2, V3 und V4 für p.o. bzw. i.v. berechneten, waren mit 95.8 L bzw. 130 L hoch und wiesen auf eine extensive Gewebeverteilung von Cilobradin hin. Für die Gesamtclearance CL ergab sich ein relativ hoher Populationswert von 21.5 L/h (= 358 mL/min), der auf eine hohe Eliminationsleistung für Cilobradin hindeutete. Im pharmakostatistischen Submodell konnten zwei hierarchische Ebenen für die durch zufällige Faktoren bedingte Variabilität identifiziert werden. Die eine Ebene stellte die interindividuelle Variabilität durch die Random-Effects-Parameter ω2 mit Hilfe exponentieller Fehlermodelle dar, die andere die Residualvariabilität durch die Random-Effects-Paramter σ2 mit Hilfe eines proportionalen Fehlermodells. Die Etablierung einer interindividuellen Variabilität gelang für die Strukturparameter CL, F1, zentrales intravenöses Verteilungsvolumen (V2iv) und Resorptionsgeschwindigkeitskonstante (KA). Insgesamt lag die interindividuelle Variabilität in einem moderaten Bereich zwischen 15 % und 46 %. Für den gesamten Konzentrationsbereich ergab sich eine geringe Residualvariabilität von 26 %. Von den durch eine GAM-Analyse vorselektierten und im anschließenden Vorwärtseinschluss-/Rückwärtsausschluss-Verfahren in NONMEM® untersuchten Covariaten erwies sich nur die verabreichte Dosis als statistisch signifikanter Einflussfaktor auf den Strukturparameter KA. Dieser Einfluss ließ sich am besten durch eine positive Sättigungsfunktion beschreiben mit den abgeschätzten Werten für KAmax und für die Dosis bei 0.5·KAmax von 0.43 h-1 bzw. 1.00 mg. Der Covariateneinfluss wirkte sich also v.a. im unteren Dosisbereich aus. Die Berücksichtigung der Covariatenbeziehung im Modell führte zu einer besseren Anpassung hauptsächlich an die in einer Studie gemessenen Minimalkonzentrationen der unteren Dosisgruppen von 0.6 mg und 1.25 mg. Da einerseits keine Berichte über eine derartige Covariatenbeziehung existierten und andererseits diese durch externe Studiendaten nicht bestätigt werden konnte, handelte es sich wahrscheinlich um keinen für Cilobradin allgemein gültigen Befund. Die weiteren untersuchten demographischen, klinisch-chemischen und studienspezifischen Parameter zeigten keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Pharmakokinetik von Cilobradin. Die Covariaten Dosis, Alter und Alkalische Phosphatase deuteten zwar jeweils graphisch auf einen Zusammenhang mit dem Strukturparameter CL hin, letztendlich jedoch ohne statistische Signifikanz. Dieser Befund erfordert eine Überprüfung der entsprechenden Zusammenhänge in einer Population mit einer größeren Streuung der Covariatenwerte bzw. in der Zielpopulation mit Patienten. Die Simulationen des der Modellentwicklung zugrunde liegenden Datensatzes (Ursprungsdatensatz) auf der Grundlage des finalen Modells belegten eine ausreichend gute Prädiktivität für die gemessenen Konzentrationen. Dabei war eine unterschätzende Tendenz des Modells zu erkennen, was durch den berechneten medianen Vorhersagefehler von -4 % bestätigt wurde. Über diese interne Evaluation hinaus ließ sich das finale Modell erfolgreich auf externe Phase-I-Daten von Cilobradin mit einer anderen Probandenpopulation und teils anderen Dosisgruppen anwenden. Dies dokumentierte die Robustheit und allgemeine Verwendbarkeit des entwickelten Modells zur Vorhersage von Cilobradin-Konzentrationen unterschiedlichen Ursprungs. Dabei wurden - mit Ausnahme der Covariatenbeziehung Dosis auf KA - alle typischen Modellparameter ähnlich abgeschätzt wie unter Verwendung des Ursprungsdatensatzes. Weiterhin lagen die gemessenen externen Konzentrationen überwiegend im auf der Basis des finalen Modells ohne Covariatenbeziehung simulierten 90 %-Vorhersageintervall. Zusammenfassend konnte in der vorliegenden Arbeit erstmals ein zuverlässiges populationspharmakokinetisches Modell für den If-Kanalblocker Cilobradin auf der Basis von komplexen Phase-I-Daten entwickelt werden und dessen Allgemeingültigkeit für Cilobradin durch eine Evaluation an externen Phase-I-Daten bestätigt werden. Das Modell bildet die wissenschaftliche Grundlage für aufbauende pharmakokinetische und pharmakodynamische Untersuchungen mit Patientendaten und für rationale Dosierungsstrategien in aufbauenden Studien mit Cilobradin, z.B. zur Wirksamkeit bei Patienten mit ischämischen Herzerkrankungen. Darüber hinaus können die in der vorliegenden Arbeit für Cilobradin erzielten Ergebnisse aufgrund der gefundenen, zum Teil substanzübergreifenden pharmakokinetischen Eigenschaften für zukünftige pharmakokinetische Analysen von neu entwickelten Strukturanaloga mit ähnlichen physikochemischen Eigenschaften genutzt werden.
The comprehensive analysis of the pharmacokinetics of a drug in the early phase of clinical development (phase I) in a data-rich situation forms the basis of subsequent pharmacokinetic and pharmacodynamic analyses in the target population, thus enabling the development of rational dose regimens, especially for the efficient planning and execution of phase II and III trials. Pharmacokinetic analysis using the population approach includes the characterization of the quantitative relations between dosing regimen, drug concentration and time course, as well as the pharmacokinetic variability of the drug within a population. In addition, covariates (e.g. demographic and laboratory values) may be identified and quantified that account at least in part for the variability observed. In this thesis a population pharmacokinetic analysis of the If channel blocker cilobradine, that was investigated in phase I clinical trials, was performed. Inhibition of the If channel specifically reduces heart rate and thus myocardial oxygen demand, with little if any effect on myocardial contractility, left-ventricular function and blood pressure. Thus, If channel blockers represent a promising new therapy option for the treatment of myocardial ischemia. A population pharmacokinetic model for cilobradine was developed using the software NONMEM®. Data from six phase I trials were analyzed that included 2733 plasma concentrations with a variety of dosing regimens: 9 dose groups over a range of 0.6 - 40 mg cilobradine, three different formulations (p.o. solution, p.o. capsule, i.v. infusion), as well as single and multiple dosing. Due to the strongly unbalanced design of the entire data set, the non-linear mixed-effects modeling approach was applied. The developed population pharmacokinetic structural sub-model was characterized by an open three-compartment structure, describing p.o. drug invasion by first-order kinetics, and i.v. short infusion (20 min) by zero- order kinetics. For the characterization of the absorption process of the p.o. capsule, a lag time was incorporated which was estimated to be 0.154 h, ameliorating the precision of the model. Absolute bioavailability F1 for p.o. solution or p.o. capsule was estimated to 34 % or 43 %, respectively, suggesting a high presystemic elimination of cilobradine. Distribution between central and shallow compartment (first distribution process) displayed administration route-dependent characteristics in the three compartment model, resulting in separate estimation of distribution volumes V2, V3, and the inter-compartmental clearance Q3 for i.v. or p.o. data. The first distribution phase was faster and more pronounced after i.v. than p.o. administration. After p.o., the first distribution phase was probably masked by dominating slower processes (e.g. absorption) and thus not detectable as fast distribution phase. Typical steady state volumes, calculated from estimated population values of V2, V3, V4 for p.o. or i.v., were large (95.8 or 130 L), suggesting an extensive tissue distribution of cilobradine. Total clearance CL was estimated to 21.5 L/h (= 358 mL/min), indicating a high elimination capacity for cilobradine. In the pharmacostatistical sub-model, two hierarchical levels were identified for the variability by random effects. The inter-individual variability ω2 was modeled with an exponential random effects term. Residual variability σ2 as the second level was established using a proportional error model. Inter-individual variability estimated for CL, F1, central volume of distribution for i.v. (V2iv) and absorption rate constant (KA) was moderate (15 % to 46 %), residual variability was low (26 %). After a GAM analysis, the preselected covariates were further tested for significance using the forward inclusion and backward exclusion techniques in NONMEM®. Only the parameter covariate relation between KA and dose was statistically significant. The relation was best described by a positive saturation function with a KAmax of 0.43 h-1 and a dose of 0.99 mg at 0.5 · KAmax, indicating that the relation was primarily acting in the low dose range. The incorporation of the parameter covariate relation mainly improved the model fit to the observed trough concentrations of the 0.6 mg and 1.25 mg dose groups from one study. However, there were neither reports on such a covariate influence, nor was there successful confirmation by external study data. This suggested that this finding did not represent typical characteristics of cilobradine and may thus be of minor relevance. The other demographic, laboratory or study-specific parameters did not show any statistically significant influence on the pharmacokinetics of cilobradine. The covariates dose, age, and alkaline phosphatase each graphically suggested a relation to the structural parameter CL, which finally did not prove to be statistically significant. This finding requires verification of the respective relations in a population with a larger range of covariate values and in the patient target population. Simulations of the data set that had been used for model development based on the final model showed sufficient predictability for the concentrations measured. The simulated median concentration-time profile reflects a slight underpredictive tendency of the model which was confirmed by the value of the median prediction error of -4 %. Beyond this internal evaluation the final model was successfully applied to external phase I data of cilobradine with a different population of volunteers and partially different dose groups. This result documented the robustness and general applicability of the developed model for the prediction of cilobradine concentrations of different origin. The estimates of the final population pharmacokinetic model based on the external data set were rather similar to those obtained by the development data set except for the covariate relation. Furthermore, all observations were well predicted with most of them being within the 90 % prediction interval when excluding the covariate relation. In summary, in this thesis a reliable population pharmacokinetic model was developed for the If channel blocker cilobradine based on complex phase I data. Its general applicability for cilobradine was confirmed by external evaluation using phase I data. This model may form the basis for following pharmacokinetic and pharmacodynamic investigations and for the development of rational dosing regimens for further clinical trials, e.g. with patients suffering from ischemia. Moreover, most of the pharmacokinetic properties of cilobradine revealed in this thesis were similar to other known If channel blockers. Thus, the results of the present thesis may be used for future pharmacokinetic analyses with new structural analogues displaying physicochemical properties similar to cilobradine.