1984 erschienen diese Gedanken des Cyberpunk-Romanautors William Gibson gleichzeitig faszinierend und fantastisch. Ein – wie er es in seinen Romanen beschreibt – tatsächliches und vollständiges Einsteigen in den Cyberspace ist bis heute nicht möglich. Zwar bleiben auch bei seinen Romanfiguren Körper in der Realität zurück, sie besitzen aber in der Cyberwelt gleichsam ein zweites Mal denselben verletzlichen Leib, eine Art Double ihrer selbst. Wer im Cyberspace verwundet wird, muss dies in Gibsons Realität ebenfalls ertragen und auskurieren. Physische Überschneidungen mit den Cyberwelten in der Art, wie von Gibson geschildert, sind Spielern von Videospielen nicht möglich. Unabhängig davon, was dem Avatar2 widerfährt, der reale Körper bleibt unversehrt. Obschon der Mensch stets außerhalb, also vor dem Computer bleibt, ist es doch ein emotionales Eintauchen in die virtuellen Welten, das sich während des Spielvorgangs vollzieht. Dies stellt sich ähnlich dem Eintauchen in eine Fantasie, einen Film oder ein spannendes Buch dar. Die virtuelle Welt ist nur mittels Act-as-if begehbar, sie bildet einen Als-ob-Zustand nach. Ein zweites Leben in computergenerierten Welten gibt es nicht nur in der gleichnamigen Onlineanwendung, sondern es findet auf vielerlei Art in Chatrooms statt, auf Kontakt- und Communityseiten und eben im Videospiel. Innerhalb dieser Spielwelten haben Sound und Musik dann unterschiedliche und teilweise sehr konkrete Aufgaben. Als Musikwissenschaftlerin, die einer Generation angehört, in deren Kindheit und Jugendzeit sich Videospiele zunehmend verbreiteten, habe ich einen persönlichen Bezug zur Thematik. In den 1990er-Jahren haben wir auf dem Gameboy gespielt, hatten einen Super Nintendo und kannten bzw. waren Atari-Musiker. Dieses Buch ist im Rahmen meiner Dissertation Soundtracks der Welten. Musik in Videospielen entstanden. Der Studie liegt keine Theorie zugrunde, sondern sie beschäftigt sich mit dem Phänomen an sich. Es ist eine produktionsorientierte Arbeit, in der Videospiele auf die Rolle von Musik hin untersucht wurden. Daraus wurden Rückschlüsse auf die Rezeption gezogen. In der Dissertation wurden von mir 151 Spiele namentlich erwähnt. Hiervon wurden 100 Spiele näherer Betrachtungen unterzogen. Von diesen wiederum waren vier Spiele ganz ohne musikalische Begleitung und acht Spiele, bei denen der Spieler aktiv Musik erzeugen muss (Musizierspiele) sowie zwei Fitnessspiele. So verblieben 86 Spiele, bei denen Abenteuer in komplexen virtuellen Welten erlebbar waren. Von diesen ließ sich in 63 Fällen die Funktion von Musik zur Unterstützung der emotionalen Atmosphäre nachweisen. 30 wiesen den Einsatz von Signalfunktionen auf, 27-mal wurde die Couleur Locale musikalisch dargestellt, zehnmal konnte ich den Einsatz von Musik als Tool finden und ebenfalls zehnmal einen Musikerauftritt innerhalb der Virtualität. In acht Fällen gab es eine direkte Korrespondenz von Musik und Kulisse. Die Gesamtheit aller in dieser Arbeit betrachteten und analysierten Spiele und Spielsituationen ließ also ein klares Bild erkennen, welche Funktionen Musik in Spielen haben kann und ist als eine Art Bestandsaufnahme anzusehen. Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wird auf eine geschlechtsspezifische Differenzierung, wie z. B. SpielerInnen, verzichtet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung für beide Geschlechter. Für die nun vorliegende Buchfassung wurden einige kleinere redaktionelle Überarbeitungen vorgenommen.