Kindesmisshandlung und -vernachlässigung sind häufig, die in Deutschland anzunehmende Dunkelziffer ist hoch. Kindeswohlgefährdungen gehen nachweislich mit erhöhten Risiken für verschiedene Folgeerkrankungen einher. Verschiedene Studien haben sich mit dem Meldeverhalten und den Beweggründen der ärztlichen Entscheidungsfindung in Verdachtsfällen beschäftigt. Das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz als Bestandteil des Bundeskinderschutzgesetzes ermöglicht es Ärzten seit 2012, ihre Schweigepflicht in Verdachtsfällen von Kindeswohlgefährdungen zu umgehen und Meldung an die Behörden zu erstatten. In Deutschland besteht keine gesetzliche Meldepflicht. Diese Studie untersucht das Meldeverhalten und die Beweggründe der ärztlichen Entscheidungsfindung in Verdachtsfällen von Kindesmisshandlung und -vernachlässigung. Die Teilnehmer wurden zu ihren diagnostischen Fähigkeiten, ihrem Fortbildungsbedarf, ihrer Rechtskenntnis sowie ihrer Einstellung zu einer gesetzlichen Meldepflicht befragt. Eine medizinethische Diskussion erörtert, ob die Einführung einer gesetzlichen Meldepflicht für Verdachtsfälle von Kindeswohlgefährdungen in Deutschland empfehlenswert ist. Alle 378 niedergelassenen Kinderärzte und Kinder- und Jugendpsychiater in Berlin wurden gebeten, einen selbstentwickelten Fragebogen anonym auszufüllen. Dieser wurde postalisch an alle niedergelassenen, hausärztlich tätigen Kinderärzte (N=302) und Kinder- und Jugendpsychiater (N=76) gesendet. Die Häufigkeit von Verdachtsfällen in den Jahren 2016 und 2017, das individuelle Meldeverhalten, Gründe der Entscheidung für und gegen eine Meldung sowie verschiedene Angaben der Teilnehmer zu ihren Kenntnissen, Erfahrungen und Einstellungen wurden untersucht. Weiterhin wurden Korrelationen mit sozioökonomischen Parametern auf Ebene des jeweiligen Berliner Bezirks statistisch geprüft. Die ethische Diskussion orientiert sich insbesondere am Recht des Kindes auf eine offene Zukunft und auf Entwicklung seiner Autonomie. Es werden neuere medizinethische Ansätze herangezogen, die insbesondere die Individualität des einzelnen Kindes und den Erhalt und die Förderung der künftigen Autonomiefähigkeit berücksichtigen. Der Rücklauf betrug 42% (N=157). 28% der Kinderärzte meldeten im untersuchten Zweijahreszeitraum jeden ihrer Verdachtsfälle an die Behörden. Mehr als 70% der Teilnehmer berichteten von Schwierigkeiten, Verdachtsfälle zu erkennen, und knapp 65% wünschten sich zusätzliche Fortbildungen zu diesem Thema. Nur etwa 50% gaben an, dass ihnen die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit einer pseudonymisierten Beratung im Verdachtsfall bekannt sei. Mehr als 70% der Teilnehmer hielten eine gesetzliche Meldepflicht im Sinne eines besseren Kinderschutzes für notwendig und über 55% gaben an, dass eine Meldepflicht ihre Arbeit erleichtern könnte. Die medizinethische Diskussion kommt zu dem Ergebnis, dass sich sowohl für als auch gegen die Einführung einer Meldepflicht valide Argumente vorbringen lassen. Daher wird die Einführung einer gesetzlichen Beratungs- und Aktionspflicht für Ärzte vorgeschlagen, die einen verpflichtenden rechtlichen Rahmen für Verdachtsfälle von Kindeswohlgefährdungen schafft, Ärzte jedoch nicht von ihrer individuellen Verantwortung entbindet und ihrem Vertrauensverhältnis zu Kind und Familie gerecht wird.
Child abuse and neglect (CAN) are common; the number of undetected victims in Germany is presumed to be high. CAN is strongly associated with various negative long-term mental and physical health problems. Some earlier research focused on physicians’ reporting behavior and decision-making in suspicious cases of CAN, but no studies have been carried out in Germany. Despite CAN reporting not being mandatory in Germany, the 2012 German Federal Child Protection Act allows doctors to circumvent their duty of confidentiality if they suspect the child’s welfare to be at risk. This study examines physicians’ reporting behavior and decision-making when they suspect cases of CAN. Participants were asked for their diagnostic certainty, their needs for further training, their legal knowledge, and their attitudes toward mandatory reporting. Finally, the ethical discussion considers whether introducing mandatory reporting legislation for suspicious cases of CAN should be recommended in Germany. All 378 primary care pediatricians and pediatric psychiatrists in Berlin were asked to anonymously complete a self-developed questionnaire. The questionnaire was sent by mail to every primary care pediatrician (N=302) and pediatric psychiatrist (N=76) in private practice. Participants were asked for the frequency of suspicious cases in the years 2016 and 2017, their individual reporting behavior, their reasons for and against reporting, as well as questions asking for their knowledge, experiences, and attitudes. Correlations with socio-economic factors of the related Berlin administrative district were statistically examined. The ethical discussion is based on the right of a child to an open future and to develop their full autonomy. Recent ethical approaches are adhered to, with specific regard to the individual child and their future capacity for autonomy. The response rate was 42% (N=157). Of those pediatricians who responded, 28% reported every suspected case during the two-year investigation period, over 70% had difficulties in detecting suspicious cases of CAN, and almost 65% wished for additional training. About 50% were aware legally guaranteed counseling options are available if CAN is suspected. Over 70% of respondents considered mandatory reporting necessary to protect children more effectively, and over 55% were sure it could simplify their work. From an ethical perspective, there are valid arguments both for and against mandatory reporting legislation. Instead, introducing obligatory “counseling and action” is suggested, establishing a mandatory legal framework for suspicious cases of CAN. This will not release physicians from their individual responsibility but will foster and complement the trusting relationship between physician, child and family.