In der vorliegenden Arbeit wird die These aufgestellt, dass die heutige Landschaftsauffassung von dem neolithischen Fundort Göbekli Tepe (Südosttürkei) nicht auf Grundlage einer tatsächlichen Erforschung der Landschaft entstand. Stattdessen gehe ich davon aus, dass sich die Landschaftsauffassung durch eine semantische Übertragung der dem Platz zugeschriebenen Singularität auf die Landschaft herausbildete. Verschiedene Aspekte, die das heute gängige Narrativ zum Göbekli Tepe und insbesondere das zu seiner Landschaft prägen, werden als Spiegel rezenter Denkweisen und Wahrnehmungsformen angesehen. Ziel der Arbeit ist es einerseits diese These zu überprüfen und andererseits überprüfbare landschaftliche Analysen zu liefern, die als dringend notwendig erachtet werden, um zukünftig ein theoretisch begründetes und reflektiertes Narrativ zum Göbekli Tepe entwickeln zu können. Einem hermeneutischen Ansatz folgend, wird die Landschaft des Göbekli Tepe in ›zirkulär‹ aufeinander aufbauenden Teilen aus der Perspektive unterschiedlicher Landschafts bzw. Raumbegriffe betrachtet. Um sich der Landschaftswahrnehmung im Neolithikum nähern zu können, wird ein emphatischer Zugang gewählt, bei dem von den eigenen abweichende, intersubjektive, also nachvollziehbare Wahrnehmungsmuster betrachtet werden. Mit Hilfe dieser Vorgehensweise, die gewinnbringend archäologische und geographische Arbeitsweisen interdisziplinär miteinander verknüpft, erfolgt eine Neuinterpretation des Göbekli Tepe. Die Stätte wird hierbei nicht wie bisher meist angenommen als die Neolithisierung vorantreibend angesehen, sondern als rückwärtsgewandter Ort, an dem an der paläolithischen Lebensweise festgehalten wurde. Es wird gezeigt, dass die Standortwahl nicht aus den in der Literatur zumeist angeführten Gründen einer gewünschten Kontrolle, Effizienz oder Prominenz erfolgte. Stattdessen sind die Architektur und der Standort des Göbekli Tepe als Ausdruck der Unsicherheit zu interpretieren, die der Transformationsprozess von einer aneignenden zu einer produzierenden Lebensweise im frühen Neolithikum auslöste. Die These, dass das Narrativ zu der Landschaft des Göbekli Tepe stark auf heutigen Denkmustern aufbaut, wird als bestätigt angesehen.
This thesis assumes that the present landscape conception of the Neolithic site Göbekli Tepe in southeastern Turkey is not based on an actual investigation of the landscape. I instead hypothesize that this conception was formed by projecting the singularity ascribed to the archaeological site onto the landscape through a semantic transfer. Various aspects that characterize the narrative of Göbekli Tepe and especially of its landscape common today are seen as a reflection of recent ways of thinking and perception. The objective of this work is to on the one hand verify this hypothesis and on the other to provide verifiable landscape analyses. They are considered essential in order to be able to develop a theoretically valid and reflected narrative of Göbekli Tepe in the future. Following a hermeneutic approach, the landscape of Göbekli Tepe is examined from related, progressive perspectives that correspond to different concepts of landscape or space. In order to approach the perception of landscape in the Neolithic, an emphatic approach was chosen. Intersubjective, i.e. relatable patterns of perception which differ from one’s own are considered. Applying this approach which successfully combines archaeological and geographical methods in an interdisciplinary way, a new interpretation of Göbekli Tepe was developed. The site of Göbekli Tepe is not, as widely assumed, seen as a driving force behind the neolithization, but rather as a backward oriented place where the Paleolithic way of life was maintained. It is shown that the choice of location was not made for reasons of intended control, efficiency or prominence which are mostly represented in the literature. The architecture and location of Göbekli Tepe are rather to be interpreted as an expression of the uncertainty triggered by the transformation process from a hunting and food-gathering to an agrarian-based way of life in the early Neolithic. The assumption that the narrative on the landscape of Göbekli Tepe is strongly based on contemporary thought patterns is considered as confirmed.