Objective: The relevance of vegan diets is currently increasing in social and medical contexts. Having health-promoting effects, vegan diets are also associated with a relevant risk of deficient supply of vitamins, minerals, essential amino-acids and fatty acids. Therefore institutions like the German Nutrition Society (DGE) and the Academy of Nutrition and Dietetics recommend the supplementation of critical nutrients and regular blood controls of nutrient status. Especially a deficiency of vitamin B12 can go along with irreversible health consequences, which is why consciousness concerning the risk as well as adherence to those mentioned recommendations are of interest. This study intends a first exploration of this subject. It analyses the population of international nutrition experts. Methods: At a medical conference about plant based diets a paper-pen questionnaire was handed out to all present nutrition experts (n=902). Besides a section with self-conceived questions the questionnaire contained a slightly modified Morisky-Medication Adherence-Scale (MMAS-4) measuring adherence to supplement intake. With a response rate of over 50%, a sample of n=475 questionnaires was integrated into statistical data analysis. Using filter questions, the sample was partly reduced to n=213 vegan nutrition experts. Firstly, it was tested for statistical correlations or differences between two characteristics, also calculating the corresponding effect size. If detected, pairwise comparison between characteristic attributes was done secondly, which then could be interpreted with the aid of descriptive statistics. Results: Following results about vegan nutrition experts were found: 98% took supplements, 50% of them took 3 or more. 89% perceived B12 as their subjectively most relevant supplement. Application forms of preference were oral and mucosal. Supplements were taken with an average degree of adherence (MMAS-4-Score=2) (Morisky 2008; Qiuling Goh 2014). 49% attended blood controls of their vitamin B12 status at least once a year, whereas 23% did so more seldom than every 2 years or never. In comparison to non-vegan participants of the conference vegans were best informed about official diet recommendations. They considered the risk of vitamin b12 deficiency and the necessity to supplement vitamin b12 as highest and assessed the competence of nutrient societies as worst. Further, they considered vegan diets during sensitive life phases (pregnancy and childhood) as most suitable. Altogether, nutrition experts aged 18-24 years were least informed about institutional guidelines. Conclusion: This study reveals the need of an enhancement in adherence to official diet recommendations among vegan nutrition experts. Regarding relevant health risks due to insufficient nutrient intake further scientific discourse about vegan diets should be implemented.
Die Bedeutung veganer Ernährung nimmt im gesellschaftlichen wie im medizinischen Kontext zu. Wissenschaftlich belegt ist, dass vegane Ernährung bei ausgewogener Ernährungsplanung nennenswerte gesundheitliche Vorteile mit sich bringt, jedoch besteht gleichzeitig das Risiko einer insuffizienten Versorgung mit kritischen Nährstoffen (Vitamine, Mineralstoffe, Aminosäuren, Fettsäuren). Insbesondere ein Mangel an Vitamin B12 kann irreversible Folgen haben. Das Risiko von Nährstoffmängeln kann zuverlässig durch Supplementation gesenkt werden, erfordert allerdings Risikobewusstsein und Adhärenz. Da nach aktuellem Stand die Studienlage bezüglich der Adhärenz von Veganer*innen gegenüber institutionellen Ernährungsempfehlungen wie der Supplementeneinnahme noch keine klaren Aussagen trifft und insgesamt die Forschungslage zu Risikobewusstsein und Kenntnisstand von Veganer*innen gering ist, bestand Anlass für diese Studie, die als Grundgesamtheit internationale Ernährungsexpert*innen untersucht. Auf einem medizinischen Kongress für pflanzenbasierte Ernährung sind alle anwesenden Kongressteilnehmenden (n=902, Rücklaufquote >50%) befragt worden zu: - Beruf, Alter, Geschlecht und Ernährungsform (vegan/vegetarisch/omnivor) - Kenntnisstand über institutionelle Ernährungsempfehlungen und kritische Nährstoffe bei veganer Ernährung - Perzeption von Ernährungsfachgesellschaften - Haltung zu veganer Ernährung während sensibler Lebensphasen wie Schwangerschaft und Kindheit
Expert*innen mit veganer Ernährungsform erhielten zudem Fragen über: - Art und Weise ihrer persönlichen Supplementation - Adhärenz gegenüber institutionellen Ernährungsempfehlungen bei veganer Ernährung wie der Supplementation kritischer Nährstoffe und regelmäßigen Laborkontrollen.
Zur Messung der Adhärenz bei Supplementeneinnahme wurde der Standardfragebogen MMAS-4 eingesetzt. Weitere Merkmale wurden mittels nicht-validierter Fragen operationalisiert. Aus soziodemographischen Merkmalen wie Beruf, Ernährungsform und Altersgruppe wurden Gruppen gebildet, welche meist als unabhängige Variablen dienten. Im Rahmen deskriptiver Statistik wurde zunächst das Antwortverhalten dieser Gruppen beschrieben. Mit der Nullhypothese „Es gibt keine Abhängigkeit zwischen unabhängiger und Zielvariablen“ wurde in Gruppenvergleichen und unter Angabe der Effektstärke getestet, ob ein Zusammenhang bzw. Unterschied zwischen zwei Merkmalen bestand. Ergab sich ein Zusammenhang bzw. Unterschied, wurden anschließend (paarweise) post-hoc-Tests durchgeführt. Das Signifikanzniveau zur Bestätigung der Anfangshypothese wurde auf =0,05 festgelegt. Um hypothesenfrei zu untersuchen, ob zwischen allen gemessenen Merkmalen Zusammenhänge bestehen, erfolgte zudem eine ergebnisoffene hierarchische Clusteranalyse.
Es stellte sich heraus, dass 98% der befragten Ernährungsexpert*innen, die sich vegan ernähren, Supplemente einnehmen, deutlich mehr als in der veganen Allgemeinbevölkerung (46%-80%) (Davey 2003; Waldmann 2003; Fiack 2017). Unter den supplementierenden veganen Expert*innen nahmen alle Vitamin B12 ein, für 89% galt es dabei als das wichtigste Supplement. Der große Unterschied zwischen dem Anteil an Supplementierenden unter Profis und Nicht-Profis sollte Anlass sein, die Prävalenz für Supplementation auch in der veganen Allgemeinbevölkerung durch Multiplikation des Expert*innen-Verhaltens zu steigern.
Bei der Einnahme von Supplementen gaben vegane Ernährungsexpert*innen im Durchschnitt eine mittlere Adhärenz an. Nur 35% erreichten eine hohe Adhärenz. Bezüglich laborchemischer Kontrollen des Vitamin-B12-Nährstoffstatus gaben 49% an, mindestens jährlich laborchemische Untersuchungen ihres Nährstoffstatus durchführen zu lassen, wie es Fachgesellschaften wie die DGE empfehlen (Richter 2016). 23% hingegen gaben an, dies seltener als alle 2 Jahre oder nie zu tun. Hinsichtlich der Relevanz einer konsequenten, adhärenten Supplementation sollte in Zukunft die Frage nach Gründen für die nur ‚mittlere‘ Adhärenz, selbst unter Expert*innen, geklärt werden.
Mögliche Zusammenhänge mit dem Grad an Ernährungswissen, Risikobewusstsein oder weiteren untersuchten Merkmalen (Adhärenz-beeinflussende Faktoren) konnten im Rahmen dieser Studie mittels hierarchischer Clusteranalysen noch nicht detektiert werden. Es zeigte sich allerdings, dass Ernährungsexpert*innen, die sich vegan ernähren, im Vergleich zu Nicht-Veganern am besten über das Risiko eines Vitamin-B12-Mangels durch vegane Ernährung und die Notwendigkeit, Vitamin B12 zu supplementieren, im Bilde sind. Dies deckt sich mit der Aussage einer qualitativen Studie des BfR über die vegane Allgemeinbevölkerung: Veganer*innen verfügten selbst über gutes Ernährungswissen (Fiack 2017). Der selben Studie zufolge bewerten Veganer*innen Institutionen wie Ernährungsfachgesellschaften eher kritisch (Fiack 2017), was im Rahmen dieser Studie für die Gruppe der Ernährungsexpert*innen quantitativ bestätigt werden konnte: Die Kompetenz von Fachgesellschaften wird durch vegane Profis am schlechtesten bewertet. Dies wirft die Frage auf, ob Stellungnahmen, wie die der DGE zu veganer Ernährung, von der eigentlichen veganen Zielgruppe angenommen werden und ob die Risikokommunikation verbessert werden kann. Auffallend zeigt sich zudem, dass insgesamt Ernährungsexpert*innen nur mäßig über Empfehlungen der Fachgesellschaften DGE und AND zu veganer Ernährung informiert zu sein scheinen; auch wenn die sich vegan ernährenden Expert*innen hier am besten abschnitten. Besonders die jüngste Altersgruppe von 18-24-Jährigen scheint diesbezüglich am wenigsten informiert zu sein.
Etwa 50% der veganen Ernährungsexpert*innen gaben an, regelmäßig 3 oder mehr Supplemente einzunehmen. Als bevorzugte Applikationsformen stellten sich die orale und mukosale heraus. Angegebene Kombinationen aus Dosierung und Einnahmefrequenz zeigten insgesamt große Heterogenität, was einerseits als Indiz wissenschaftlicher Unklarheit oder andererseits als Möglichkeit bedarfsgerechter Applikation gewertet werden kann.
Die Frage, ob vegane Ernährung in sensiblen Lebensphasen wie Schwangerschaft und Kindheit zu befürworten ist, lässt sich auf Basis aktueller Forschung nicht eindeutig beantworten. Auf Basis dieser Arbeit besteht Hinweis, dass vegane Ernährungsexpert*innen dennoch vegane Ernährung in sensiblen Lebensphasen deutlich befürworten. Ob dies als Anhaltspunkt gewertet werden kann, dass Entscheidungen, die Ernährung betreffen, eher intuitiv als evidenzbasiert getroffen werden, ist fraglich.
Hinsichtlich des bestehenden erhöhten Risikos von Nährstoffmängeln bei veganer Ernährung sollte es im medizinischen Kontext klares Ziel sein, die Adhärenz von Veganer*innen unter Expert*innen wie Nicht-Expert*innen bei der Sicherstellung ihres Nährstoffstatus zu fördern, wobei die vorliegende Arbeit einen Beitrag leisten soll. Als Primärexploration einer Forschungslücke liefert sie Hinweise für nötigen Handlungsbedarf.