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Ergebnisrückmeldungen zu Leistungsvergleichstestungen von Schülerinnen und Schülern bergen ein hohes ‘evaluatives Potential‘ für die Entwicklung von Schule und Unterricht. Gemäß (Meta)befunden der Schuleffektivitätsforschung gilt ein pädagogisches Handeln, das datenbasiert erfolgt, als ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die innerschulische Qualitätsentwicklung (Hattie, 2010; Schildkamp & Kuiper, 2010). Mit der bundesweit verpflichtenden Einführung flächendeckender Vergleichsarbeiten (VERA) ist von der Kultusministerkonferenz 2006 ein entsprechendes Steuerungsinstrument auf den Weg gebracht worden, dessen Rückmeldungen den schulischen Professionals zur Verbesserung ihrer Diagnostik, für die Einleitung individueller Fördermaßnahmen, vor allem aber zur gezielten Weiterentwicklung ihrer Arbeitsstrukturen und -prozesse zugutekommen soll. Voraussetzung dafür ist ein informierter und kompetenter Umgang mit den Datenrückmeldungen.
Analog zu der in bildungspolitischen wie -administrativen Schriftstücken vorgenommenen Fokussierung auf die Nutzungsebene der Lehrerschaft konzentrierte sich auch die Rezeptionsforschung in den vergangenen zehn Jahren bei ihrer Analyse der Evaluationsnutzung vordergründig auf die Wahrnehmung und Verwendung der VERA-Rückmeldungen durch Lehrkräfte bzw. Fachkonferenzleitungen (Wurster & Richter, 2016). Doch der Weg ‚von Daten zu Taten‘ findet nicht zwangsläufig und automatisch statt, sondern ist voraussetzungsreich und damit im Ergebnis hinter den Erwartungen der politischen Steuerungsakteure zurückgeblieben (Maier, 2008b; Maier et al., 2011; Thiel, 2007) . Terhart resümiert gar, dass „das eigentliche Ziel des Ganzen – Feedback, das eine Verbesserung des eigenen Unterrichts nach sich zieht [...] insgesamt eigentlich nicht oder doch nur zu einem sehr geringen Anteil erreicht“ wird (2014b, S. 192).
Spätestens mit dieser Erkenntnis ist für eine gezielte Unterstützung der Datenrezeption und -nutzung der Blick auf weitere Akteursebenen erforderlich geworden: Als dem zentralem "Bindeglied für die Synchronisation von Top-down und Bottom-up-Strategien" (Schratz, Hartmann & Schley, 2010, S. 9) kommt den Schulleitungen ein wesentliches Potential für eine gezielte Ausrichtung auf die intendierte Schul- und Unterrichtsentwicklung zu (vgl. Leithwood & Riehl, 2005). Da allerdings zwischen der Rezeptions- und Schulleitungsforschung erst wenig Verbindung besteht, sind Befunde zur Wahrnehmung und Nutzung der VERA-Daten durch die schulischen Führungskräfte bisher vergleichsweise selten zu finden. Kuper und Muslic konstatieren entsprechend, dass die Erforschung der besonderen Verantwortung von Schulleitungen im Zusammenhang mit der testbasierten Schulreform für die Rezeptions- und Nutzungsforschung von zentraler Bedeutung ist (Kuper, 2014; Muslic, 2017).
Dabei stellt sich im Zuge ihres veränderten Verantwortungsprofils die Frage, inwiefern SchulleiterInnen die Ergebnisse der Vergleichsarbeiten auch im Rahmen der zunehmend auf sie übertragenen Personalführungsaufgaben zum Einsatz bringen, gehört es ja schließlich „zur VERA-Logik, dass Schulleitungen […] die Testergebnisse kennen und damit Unterrichtsentwicklung anstoßen sollen“ (Maier & Kuper, 2012, S. 90). Wenig ist allerdings darüber bekannt, ob sie jenseits organisatorischer Maßnahmen zur Durchführung und Auswertung der Testungen bzw. ihrer teilweise in den Ländern festgelegten Aufgabe zur innerschulischen Bekanntgabe der Ergebnisse (Kultusministerkonferenz, 2018b, S. 7; Tarkian, Maritzen, Eckert & Thiel, 2019) die Rückmeldedaten auch tatsächlich im Sinne eines Data-wise Leadership nutzen, indem sie ein qualifiziertes Handeln der Lehrkräfte zur Weiterentwicklung ihres Unterrichts inhaltlich unterstützen. Die innerschulische Personalentwicklung, Baustein einer systematisch angelegten Schulentwicklung, bietet ihnen einen sich dazu in besonderem Maße anbietenden Tätigkeitsbereich: Mit einer zielgerichteten, gerade auch auf Einzellehrkräfte fokussierten Planung von Fortbildungen, der Durchführung von Mitarbeitergesprächen oder der Verabredung von Entwicklungszielen stehen Schulleitern im Kontext ihrer erweiterten Handlungsspielräume verschiedene In-strumente für eine auf Qualitätssicherung und -entwicklung fokussierte Förderung und Weiterqualifizierung der Professionals zur Verfügung, die sich auch im Kontext der deut-schen low-stakes-Systemsteuerung für einen Einbezug entsprechender Datenrückmeldungen prinzipiell eignen. Im internationalen Raum besteht bereits seit längerem ein geteiltes Verständnis darüber, dass Schülerleistungsdaten zu der Ab- wie Einleitung von Personalentwicklungsmaßnahmen beitragen können und sollten (Schildkamp & Kuiper, 2010; Young, 2006).
Eine ausdrückliche Beauftragung der Schulleitungen zu solch einer evidenzbasierten Per-sonalentwicklung erfolgt in Deutschland allerdings weder seitens der KMK noch ist diese in (unter)gesetzlichen Normierungen der Landesregulatorien verankert, auch wenn einzel-ne Instrumente, die den Schulen von den Ländern zur internen Evaluation zur Verfügung stellen, teilweise den Anspruch nach einem innerschulischem Monitoring auf Basis der Evaluationsergebnisse anzeigen. Studien, die gezielt der Frage nachgehen, inwieweit in der Praxis innerschulischer Personalentwicklung (dennoch) bereits VERA-Daten eingesetzt werden, sind somit im deutschsprachigen Raum bisher auch kaum vorhanden. Erstmals wurde aus den survey-Daten des StABil-Projekts bekannt, dass knapp jede zweite Schul-leitung im Bundesland Brandenburg im Zusammenhang mit Personalentwicklungsprozessen auf VERA-Daten zurückgreift (Bach, Wurster, Thillmann, Pant & Thiel, 2014). Harm Kuper konnte in seiner Studie zu ‚Schulleitung und Schulleistung‘ im Weiteren ebenfalls zeigen, dass Berliner und Brandenburger Schulleiter die Datenrückmeldungen in den oben genannten Handlungsfeldern berücksichtigen und insofern Ergebnisse auf Klassenebene mit Bezug auf die Einzellehrkraft zum Einsatz bringen.
Ungeklärt bleibt in diesen quantitativen Studien allerdings zum einen, wie genau die Schulleitungen die Rückmeldungen dabei verwenden und damit die Frage, welche Qualität ihren evidenzbasierten Aktivitäten mit Blick auf eine nachhaltige Entwicklung von Schule und Unterricht zukommt. Zum anderen ist weitestgehend unbeantwortet, welche Umstände die Schulleitungen zu einer entsprechenden Nutzung der Testdaten veranlassen bzw. eine Verwendung der Rückmeldungen im Rahmen schulischer Personalarbeit hemmen. Aufschlussreich dürfte es insofern sein, die urteilbildenden Referenzsysteme der Entscheider (vgl. Weiss & Bucuvalas, 1980; Coburn, 2004) zur Akzeptanz einer VERA-datenbasierten Personalentwicklung in den Blick zu nehmen, um gezielt Faktoren zu identifizieren, die nutzungsförderlich bzw. nutzungshemmend wirken.
Die vorliegende Arbeit zeigt – auf der Basis einer Adaption des Zyklenmodells von Helm-ke & Hosenfeld, der Nutzungssystematik nach Johnson sowie ausgewählter organisations- und akzeptanztheoretischer Vorarbeiten in Verbindung mit Leadership-Elementen - im Rahmen einer qualitativen Interviewstudie mit 18 Brandenburger SchulleiterInnen auf, dass die Nutzungspraxis je nach den vorherrschenden Einflussbedingungen unterschiedliche Formen annehmen kann. Organisationsbezogene Faktoren, aber auch Aspekte der Systemumwelt (wie die Einflussnahme der Schulaufsicht oder Erwartungen der Elternschaft) spielen offensichtlich eine wichtige Rolle bei schulleitungsseitigen Entscheidungsfindungen zur Personalentwicklungsarbeit in professionellen Organisationen. Zugleich wird erkennbar, inwiefern auch instrumentbezogene Spezifika die Datennutzungsentscheidungen von Schulleitungen beeinflussen können und welche personenindividuellen Aspekte ausschlaggebend für ihr Nutzungshandeln sind. Anhand der identifizierten Nutzungsformen und entscheidungsrelevanten Einflussmerkmale werden schließlich Konfigurationen charakteristischer Merkmalsausprägungen erstellt, die in eine Typologie datenbasierten Schulleitungshandelns im Personalmanagement münden. Diese dürfte neben ihrem Erkenntnisgehalt für die Schulleitungsforschung auch für die Lehrerbildung und Schullei-terfortbildung von Bedeutung sein sowie darüber hinaus praxisrelevante Erkenntnisse für die Ebene der Bildungsadministration bereitstellen.
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