Einführung: Weltweit werden steigende Prävalenzen von Jugendlichen mit Geschlechtsinkongruenz (GI) beschrieben, gleichzeitig ist das Phänomen der GI bis dato unzureichend untersucht und es besteht kein Konsens bezüglich angemessener diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen. Im deutschsprachigen Raum wurde dabei in der Vergangenheit insbesondere der Einsatz pubertätsblockierender Medikamente (PB) kontrovers diskutiert. Ziel dieser Arbeit war es, aktuelle Expert/innen-Meinungen bezüglich der adäquaten Begleitung von Jugendlichen mit GI im deutschsprachigen Raum zu analysieren und somit neue Einblicke in den klinischen und wissenschaftlichen Diskurs zu ermöglichen. Methoden: Qualitative Forschungsmethoden fanden Anwendung. Im Rahmen problemzentrierter Interviews wurden elf Expert/innen in der Begleitung von Jugendlichen mit GI befragt, dabei kam ein semistrukturierter Gesprächs-Leitfaden zum Einsatz. Die Interviews wurden digital aufgezeichnet und im Anschluss transkribiert. Mittels Prinzipien der Grounded Theory erfolgte die Auswertung der Daten, zusätzlich wurde auf das argumentationstheoretische Toulmin-Modell zurückgegriffen. Ergebnisse: Alle Expert/innen stellen fest, dass Jugendliche mit GI einer unbedingten professionellen Begleitung bedürfen. Ob und in wie fern die PB Teil dieser Begleitung sein sollte, wird kontrovers diskutiert. Im Rahmen der Analyse konnten fünf Konzepte identifiziert werden, welche den meinungsbildenden Prozess der Expert/innen bezüglich der PB beeinflussen: 1) Einschätzungen zur Natur der GI und resultierende Ziele in der Begleitung von Jugendlichen mit GI, 2) Diagnostischer Prozess/ Diagnosesicherheit, 3) Reversibilität von PB, 4) Funktion von PB, 5) Autonomie von Jugendlichen mit GI. Die zunehmende mediale Präsenz des Themas GI wird von den Expert/innen teils kritisch, teils positiv bewertet. Mögliche Zusammenhänge zwischen zunehmenden Fallzahlen an Jugendlichen mit GI und der gestiegenen medialen Präsenz der Thematik werden von allen Teilnehmenden diskutiert. Schlussfolgerung: Nach wie vor besteht im deutschsprachigen Raum kein Konsens bezüglich der adäquaten Begleitung von Jugendlichen mit GI, insbesondere im Hinblick auf den Einsatz von PB. Um einen langfristig konstruktiven Diskurs zwischen allen Involvierten zu ermöglichen und Begleitungsangebote konsequent zu verbessern, ist eine weitere Beforschung des Phänomens der GI geboten, insbesondere bezüglich ätiologischer Grundlagen, sowie den Langzeitverläufen der GI bei Jugendlichen.
Introduction: Prevalence of adolescents with gender incongruence (GI) has been rising worldwide. However, the phenomenon of GI is still poorly understood and there is no consensus regarding adequate diagnostic and therapeutic measures for the adolescents concerned. The use of puberty blocking medication (PB) has been discussed particularly controversially in German-speaking countries in the past. The aim of this study was to analyze current expert-opinions concerning the adequate support for adolescents with GI in German-speaking countries and to thus advance the scientific debate. Methods: Qualitative research-methods were applied. Problem-centered interviews were conducted with eleven experts in the field of supporting adolescents with GI, a semi-structured conversation guideline was used for this. All interviews were recorded digitally and transcribed afterwards. Data was analyzed according to the principles of Grounded Theory and the Toulmin-Model. Results: All experts agree that adolescents with GI need professional support. If and how PB should be part of this gives rise to controversial debate. Five concepts were identified that influence the decision-making process of experts concerning the use of PB: 1) Beliefs concerning the nature of GI and therefore resulting goals in the professional support of adolescents with GI, 2) Diagnostic process/ certainty of diagnosis, 3) Reversibility of PB, 4) Function of PB, 5) Autonomy of adolescents with GI. The rise of media attention regarding the topic of GI was viewed partly negatively and partly positively by different experts. Possible links between the rising prevalence of adolescents with GI and rising media attention towards the topic were discussed by all participants. Conclusion: To date there is still no consensus regarding adequate measures of support for adolescents with GI in German-speaking countries. Controversy is centered around the use of PB in particular. In order to facilitate a long-term constructive debate between all those involved it is critical to conduct further research on the phenomenon of GI, especially regarding etiology and long-term developments of adolescents with GI.