ZUSAMMENFASSUNG: Willi Schmidt war von der Vorstellung beherrscht, es gebe neben der alltäglichen Wirklichkeit eine "andere": die der Kunst. Sein Ziel war es, die Wirklichkeit der Kunst zur überwiegenden und am Ende überhaupt einzigen Wirklichkeit werden zu lassen. Eine Definition aus Goethes "Wahlverwandtschaften", die Willi Schmidt für sich in Anspruch nahm, lautet: "Man weicht der Welt nicht sicherer aus als durch die Kunst, und man verknüpft sich nicht sicherer mit ihr als durch die Kunst." - Es wird davon ausgegangen, daß es sich hier um einen Parallelweg zum alltäglichen Leben handelt und es daher einen Punkt der Abzweigung aus der realen Wirklichkeit geben muß, ebenso wie eine Rückkehr. Dazwischen liegt notwendigerweise ein Wechselpunkt: Willi Schmidts Zusammenarbeit mit Klaus Kammer. Man könnte auch von einem Filter sprechen, die Kunst verstanden als ein Filter, der das Leben nur noch bedingt an die eigene Person heranläßt; gleichzeitig als den Filter oder die Maske, durch die man sich den anderen Menschen, den alltäglichen, nun nähern kann, allerdings mit dem Anspruch, auf sie einzuwirken, sie zu gewinnen, um nicht zu sagen zu rekrutieren für die 'andere' Wirklichkeit. Den Grund, weshalb sich Willi Schmidt überhaupt so trennend von der alltäglichen Wirklichkeit abwandte, gibt er mit einem Zitat von James Joyce wieder: "Die Geschichte ist ein Alptraum, aus dem ich zu erwachen versuche." Willi Schmidt hat schon als Kind den Ersten Weltkrieg miterlebt. Er war in ein Jahrhundert gestellt, das von Kriegen, Wirtschaftsnöten, Diktatur und Krisen geprägt war; und so war dieses Aufwachen, wenn überhaupt, erst während seiner letzten Lebensjahre möglich. Das Aufwachen allerdings mußte das Ende der Kunst oder des Kunstnebenwegs bedeuten. Diesen Verlust an Kunst hat Willi Schmidt während seiner letzten Lebensjahre, bis zum Ende, in zunehmendem Maße um sich herum beklagt, protokolliert. Kunst bedeutete für Willi Schmidt fleißige Arbeit. Es sollte keinen Zufall auf der Bühne geben. Wirkungen der dritten Dimension nahm er im Entwurf des Grundrisses vorweg. Als Bühnenbildner, als Regisseur, als Autor. Die Starrheit und Kunstlosigkeit, die dieser Methode hätte innewohnen können, wurde dadurch vermieden, dass Willi Schmidt mit besonders potenten, blutvollen, begabten Schauspielern arbeitete. Er sagte: "Nur wenn das Rationale wirklich durchdacht ist (Fleißarbeit!), kann das Irrationale sich einnisten (...)" Dieses Irrationale kam wesentlich durch das Blut der Schauspieler, die, instruiert, in seine Bühnenräume eingesetzt wurden. Es ist von daher auch folgerichtig, dass es sich um Bühnenräume handelte, nicht um Bühnenbilder; nicht um Dekoration, sondern um Raumbeherrschung. Die intensivste Zusammenarbeit dieser Art erlebte Willi Schmidt mit dem Schauspieler Klaus Kammer von 1957 bis zu dessen Tod 1964. Auffällig ist, dass sich Willi Schmidt zu Beginn dieser Zeit von den szenographischen Prinzipien seines wichtigsten Lehrers, des Regisseurs Jürgen Fehling, auf der Dramaturgentagung 1957, ohne dass dieser Schritt aber an sich besonders hervorgehoben worden wäre, lossagte. Das bestätigt die Deutung, dass sich der Künstler in der Phase um den Wechselpunkt am tiefsten und intensivsten in der Kunst befindet, dass auch diese Phase es ist, in der die bedeutendsten künstlerischen Schritte erreicht werden, - die in die Theatergeschichte eingegangen sind. Der Wechselpunkt bezeichnet schließlich genau den Punkt, an dem das Vehikel, das den Künstler groß gemacht hat, in Willi Schmidts Fall die Entscheidung für die andere Wirklichkeit oder die Poesie, als Hindernis empfunden wird. Bisher positiv gewertet und ein Schutz, wird die Poesie erstmals negativiert: als etwas, das nun vom realen Leben trennt und damit von der Annahme von noch größerer Wirkung. Die Zeit: "Clavigo", Herbst 1962. Die Öffnung in die alltägliche Wirklichkeit ist jedoch ohne Filter nicht möglich. Klaus Kammers Tod eineinhalb Jahre später bedeutet für Willi Schmidt gleichsam ein trennendes Korsett zur Welt um ihn herum. Den theaterhistorisch beachteten Schritt zum weitgehend entschlackten Raum und zum zeitgleichen Kostüm, gerade im klassischen Stück, den Willi Schmidt 1960 in New York erfolgreich probiert und dann in Deutschland durchgesetzt hatte, führt er danach nicht fort. - Veränderungen, Fortschritte werden jetzt wieder auf dem Gebiet des Bühnenbildes gemacht: der noch stärkere Weg hinein in die Transparenz. Gegen Ende des Jahrzehnts, mit Aufkommen der 68er-Generation, sieht sich Willi Schmidt an den Rand gedrängt. Er opponiert. - Die Kunst, die er beherrscht, wird jetzt zum Demonstrationsobjekt gegen die neuen Jungen; so lange, bis Willi Schmidt sehr unsanft aus dem Theater entfernt wird. Die Zeit: „Savannah Bay“, Herbst 1985. - Damit endet bald der von ihm gewählte Kunst-Nebenweg zur realen, alltäglichen Wirklichkeit.
Willi Schmidt was commited to the opinion of a different reality alongside the usual daily reality: the reality of art. Schmidt intended to increase this different reality of the arts more and more – finally to make the usual daily reality vanish. Willi Schmidt engaged a definition from Goethe's „Wahlverwandtschaften“ ('Chosen relationships'): „The most effecitve way of avoiding the world is art – and the most effecitve way of attaching oneself to the world is art.“ - That implies a by-pass to the usual daily life; it implies also that there must be a branch-off from usual reality as well as a return to it, later. Between these two junctions must be the turning point; here Willi Schmidt's work with the actor Klaus Kammer. One might also use the expression of a filter, the art understood as a filter, that excludes from life in a special way. On the other hand the filter or the mask allows to affect others: mainly the ones who stuck within their daily reality to win or better to recruit them for the different reality. Willi Schmidt points out why he separated at all from usual daily reality by refering to a quotation from James Joyce: „Reality is a nightmare I try to awaken from.“ As a child Willi Schmidt already witnessed the First World War. He had to exist in a century of wars, ecconomic crisises and dictatorships; that is the reason why, if at all, this awakening only could happen during the last years of his life. The awakening, though, had to represent the end of art or the by-pass of art. Willi Schmidt complained and lamented about this increasing losing; it is possible to say he minuted it. The arts meant to Schmidt diligent work. He did not want anything undesigned and unscheduled on stage. He anticipated forces of the third dimension within the design of the two-dimensional plan view: as a stage designer, as a director, as an author. Willi Schmidt eliminated the inelasticity which could have inhered in this method by working with very capable, powerful and talented comedians. He used to say: "Not until design and schedule are really calculated (assiduity!) there is no way for the emotion to settle in (...)" This emotion was imported substantially by the comedians who were, briefed, positioned into his stage settings; congruously stage settings more than stage designs; not decoration but the domination over space. Klaus Kammer was the comedian with whom Willi Schmidt could work together most intensive, from 1957 until his early death in 1964. It is remarkable that Schmidt broke away from the scenographic principles of his major teacher, the famous director Jürgen Fehling, on the symposium of dramatic advisors in 1957, without pointing out this important step in particular. That confirms the analysis that the artist stands within his art deepestly during the period of the turning point; and that he creates his most important works during this period – creations that made theatre history. The turning point is marked exactly by the point when the vehicle witch had let the artist grow, in Schmidt's case the decision for the different reality or for poetry, is later felt as a barrier. In the beginning only taken for positive and as a protection, now for the first time negatively: as a disjunction from life and from a more extensive impression. The date: "Clavigo", autumn of 1962. It turns out to be impossible to open up for the usual daily reality without any filter. Klaus Kammer's death one and a half year later consequently functions as a separative corset against the world around him. Willi Schmidt did not continue on the step regarded as important for the history of theatre, his step towards a widely purified set and in particular a period costume, especially in a classical drama, a step which Willi Schmidt had successfully tried in New York in 1959/1960 and transfered it's results afterwards onto the German stage. - Changes and developments seem to take place again only on the field of stage designing: towards an increased transparency. At the end of the decade, when the generation from 1968 arose, Willi Schmidt feels marginalized. He opposes. - The theatre art he is capable of now becomes an instrument of anti-demonstration against the new; until he becomes ruggedly eleminated from the theatre. The date: "Savannah Bay", autumn of 1985. - That is the time when the by-pass of art is no more far from it's return to the usual daily reality again.