dc.description.abstract
Die Berücksichtigung der Unsicherheit ist ein wichtiges Problem der
Unternehmensbewertung. Für gegebene Verteilungen künftiger Cashflows kann das
nach herrschender Meinung entweder im Rahmen eines subjektiven (auch:
individualistischen) Ansatzes oder mit Hilfe eines objektiven (auch:
marktorientierten) Konzeptes erfolgen. Die subjektive Vorgehensweise zeichnet
sich dadurch aus, dass auf Präferenzen zurückgegriffen wird, die für den
Bewerter beziehungsweise das Individuum charakteristisch sind, in dessen
Auftrag der Bewerter handelt. Ohne Kenntnis der Nutzenfunktion misslingt diese
Form der Unternehmensbewertung. Der objektive Ansatz kommt dagegen ohne die
Kenntnis individueller Präferenzen aus. Er verwendet real beobachtbare
Marktpreise riskanter Assets. Diese Assets müssen sich dazu eignen, die
Cashflows des zu bewertenden Unternehmens zu duplizieren. Misslingt die
Duplikation oder sind die Marktpreise der relevanten Assets nicht beobachtbar,
so schlägt diese Form der Unternehmensbewertung fehl. Es ist unbestreitbar,
dass sich in den Marktpreisen der für die Duplikation heranzuziehenden Assets
die Nutzenvorstellungen aller relevanten Marktteilnehmer irgendwie
niederschlagen, weswegen auch das objektive Bewertungskonzept letztlich
präferenzabhängig ist. Da die Nutzenvorstellungen allerdings im Dunkeln
bleiben, pflegt man die objektive Vorgehensweise als präferenzunabhängig zu
charakterisieren. Kürzlich ist zwischen Kürsten (2002) und Schwetzler (2002)
eine Diskussion entbrannt, in der es unter anderem um die Frage ging, ob sich
die Methode der Diskontierung von Sicherheitsäquivalenten mit risikolosen
Zinssätzen entscheidungstheoretisch fundieren lässt. Kürsten wies nach, dass
im Rahmen des subjektiven Ansatzes eine solche Fundierung allenfalls dann
gelingt, wenn man dem Bewerter Risikoneutralität attestiert. Daraus wurde der
Schluss gezogen, dass die Sicherheitsäquivalenz–Methode keine
entscheidungstheoretisch akzeptable Grundlage besitzt: Die Idee, überhaupt mit
Sicherheitsäquivalenten zu arbeiten, beruht nach allgemeinem Verständnis auf
der Voraussetzung, dass der Unternehmensbewerter risikoavers ist und nicht
etwa Risikoneutralität an den Tag legt. Nun unterscheidet sich die Welt,
welche Kürsten betrachtet, an einer wichtigen Stelle von der Modellwelt, in
der andere Autoren über die Sicherheitsäquivalenz–Methode diskutieren wollen.
In Kürstens individualistischer Modellwelt, werden weder sichere noch
unsichere finanzielle Assets gehandelt. Sollten sie doch gehandelt werden, so
spielen sie in seinen Überlegungen jedenfalls keine Rolle. Dagegen
unterstellen Schwetzler und andere Kontrahenten, die sich zur
Sicherheitsäquivalenz–Methode äußern, dass es zwar keinen für
Duplikationszwecke geeigneten Kapitalmarkt gibt, dass aber immerhin ein
risikoloser Zinssatz existiert, zu dem man Geld anlegen und Kredit aufnehmen
kann. Im Folgenden werden auch wir unterstellen, dass zum risikolosen Zinssatz
Geld angelegt und Kredit aufgenommen werden kann. Im Unterschied zu Autoren,
die die Sicherheitsäquivalenz–Methode vor der Kürstenschen Kritik f¨ur
vertretbar gehalten haben und sie nach Kenntnis seiner Kritik weiterhin für
ein ernst zu nehmendes Konzept halten, werden wir diesen Aspekt jedoch in die
Nutzentheorie selbst zu integrieren versuchen. Damit verliert unser Ansatz den
unschuldigen Charakter der reinen Subjektivität. Da wir jedoch keinerlei
Annahmen treffen werden, die uns gestatten werden, unsichere Cashflows mit
Hilfe von Kapitalmarkttransaktionen zu duplizieren, werden wir ein Modell
diskutieren, das sich zwischen Subjektivität und Objektivität im anfangs
beschriebenen Sinne bewegt. Um auch terminologisch deutlich zu machen, dass
wir damit den reinen Individualismus im Sinne von Kürsten verlassen, wollen
wir unser Konzept als semi–subjektiv kennzeichnen. Wir wollen also ein
Unternehmen mit Hilfe subjektiver Nutzenfunktionen bewerten und zugleich
unterstellen, dass es einen zumindest unvollständigen Kapitalmarkt gibt. Nach
unserer Kenntnis ist ein solcher Ansatz bisher nicht vorgestellt worden. Wir
werden zunächst das Modell einer semi–subjektiven Bewertung entwickeln. Auf
dieser Grundlage werden wir nachweisen, dass unser Konzept unter der Annahme
sicherer Erwartungen zum üblichen Ergebnis führt und unter der Bedingung
unsicherer Erwartungen mindestens für die Klasse der CARA–Nutzenfunktionen mit
dem von Kürsten als entscheidungstheoretisch unhaltbar gebrandmarkten Vorgehen
übereinstimmt. Das Modell zeigt also, unter welch engen Voraussetzungen die
Diskontierung von Sicherheitsäquivalenten mit dem risikolosen Zins
entscheidungstheoretisch gerechtfertigt werden kann und erweist sich insoweit
als relevant.
de
refubium.note.author
Pre-Print-Version. Endversion erschienen in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft. - 73 (2003), S. 1335-1345. (Springer Verlag, vormals Gabler)