Die vorliegende Arbeit lotet das Spannungsfeld von Recht und Gerechtigkeit im Kriminalroman aus. „Recht“ ist dabei nicht im konkreten juristischen Sinne gemeint. (Zitat aus der Einleitung: „Auf der einen Seite steht das geltende Recht, wie es sich in der Verfolgung von Delinquenten ausdrückt, aber eben auch alles umfasst und absichert, was sich im Rahmen des „Legalen“ abspielt, ungleiche Macht- und Besitzverhältnisse, Privilegien der einen Gruppe und Benachteiligung der anderen, soziale Kälte und verdrängtes Leid. Dem gegenüber stehen individuelle moralische Standpunkte und Bedenken, die nicht mit der Bewertung des rechtlichen Raums übereinstimmen, und die die rechtlich abgesicherte Normalität nicht als solche akzeptieren. Was moralisch verwerflich ist, mag zwar nicht kriminell sein, mildert aber, ins Verhältnis zur kriminellen Tat gesetzt, das moralische Urteil über diese, wenn Zusammenhänge mit dem (moralisch) Falschen im (rechtlich) Richtigen offenbar werden.“) Zunächst erfolgt eine literaturhistorische Untersuchung der Darstellung von Kriminalfällen in der Literatur, angefangen bei der Verbrechensliteratur (Pitaval, Schiller), über Poe und Doyle bis hin zur Herausbildung der „Reinform“ des Genres im Golden Age des Kriminalromans (Agatha Christie etc.). Mit der Etablierung des Rätselromans hat sich die Kriminalliteratur – in den Augen ihrer Kritiker – von der gesellschaftlichen Realität abgewandt, um zu einer artistisch konstruierten Denksportaufgabe ohne moralische Reflexion zu verkommen. Gegen dessen starre Regelpoetik opponieren im englischsprachigen Raum Raymond Chandler, im deutschprachigen Raum Friedrich Glauser, deren Essays und die damit einhergehende Weichenstellung für neue Formen der Kriminalliteratur untersucht werden. In der zweiten Hälfte dieser Magisterarbeit werden die Kriminalromane Friedrich Glausers und der Roman Selbs Justiz von Bernhard Schlink und Walter Popp näher untersucht. Dem Schweizer Glauser, einem frühen Klassiker der deutschsprachigen Kriminalliteratur, gelingt es, realistisch eine provinzielle Welt des beiläufigen, alltäglichen, entdramatisierten Verbrechens zu zeichnen (die der – vom Mord nur kurzfristig gestörten – heilen Welt der englischen Landhauskrimis konträr gegenübersteht). Seine Figur Studer ermittelt verständnisvoll und lebensklug auf Augenhöhe mit den „kleinen Leuten“, teilt aber auch häufig deren Ressentiments, ihre Misogynie und ihren Antisemitismus, wie dargelegt wird. Im abschließenden Teil dieser Arbeit gilt das Augenmerk dem Roman Selbs Justiz und dem (wie nachgezeichnet wird) subversiv-ironischen Gebrauch der Genremuster (des Subgenres der von Hammett und Chandler geprägten hard-boiled detective novels). Weit über den einzelnen, nicht mehr sauber zu lösenden Fall hinaus reicht die im Roman thematisierte Schuld der Deutschen während der Zeit des „Dritten Reichs“. Zudem werden im Verlauf dieser Arbeit immer wieder die häufig behaupteten Gegensätze von ernster, gehaltvoller, realistischer Literatur und vermeintlich trivialer Genreliteratur auf ihre Gültigkeit hin geprüft, Stärken (wie der oft zur Ehrenrettung der Kriminalliteratur betonte sozialkritische Gehalt) und Schwächen der unvermindert populären Krimis in ihren verschiedenen Ausprägungen unter die wissenschaftliche Lupe genommen.