dc.description.abstract
Wer kennt sie nicht aus vergangenen Schultagen, die plötzliche und unerwartete
Frage des Lehrers: „Wie würdest du dich denn selbst einschätzen?“
Unsicherheit, die Angst vor einer falschen Aussage, breitete sich förmlich im
gesamten Klassenzimmer aus. Auch der heutige Blick in deutsche Klassenzimmer,
welcher angehenden Lehrern durch Schulpraktika ermöglicht wird, zeigt oftmals,
dass dieses Problem nach wie vor existent ist. Dabei sind die ersten
grundlegenden Voraussetzungen für eine fundierte und moderne Selbstevaluation,
die in dieser Arbeit im Zentrum stehen soll, bereits gegeben. Mit einer sich
immer weiter verbreitenden Vorstellung eines ‘kompetenzorientierten
Unterrichts’ wurde in den letzten Jahren auch auf dem Gebiet der
Selbstevaluation intensiv geforscht. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es –
unter anderem – eine dieser bislang kaum betrachteten Möglichkeiten der
Selbstevaluation zu ergründen: Die Lernaufgaben der täglichen
Unterrichtspraxis. Genauer: Die Sprechaufgaben der Lernausgangslage (Lal), die
das LISUM Berlin zur Diagnose des Lernstands zu Beginn der Klassenstufe 7
herausgegeben hat. Da es zu diesem Dokument bislang jedoch keine
Forschungsergebnisse gibt, wird eine sorgfältige, wissenschaftliche Basis,
sowohl auf linguistischer, als auch auf fachdidaktischer Ebene benötigt, auf
die diese Überlegungen aufbauen können. Im ersten Teil der Arbeit stehen
linguistische Phänomene des Bereichs ‘Mündlichkeit und Schriftlichkeit’ im
Vordergrund, die im Hinblick auf den didaktischen Aspekt der Arbeit und die
Anwendung auf die Lernausgangslage relevant sind. Hierzu wird das Standardwerk
von Koch/Österreicher aus dem Jahre 1990 als Grundlage dienen. Anschließend an
die linguistischen Überlegungen werden im zweiten Kapitel die Definitionen und
Zielsetzungen moderner Evaluation im Vordergrund stehen. Auf welchen
Grundlagen und Definitionen basiert ein moderner Begriff von Evaluation, sowie
Leistungsmessung und -bewertung, die seit jeher als grundlegender Teil des
Unterrichts angesehen werden? Als Einstieg in die Thematik, sowie als
Grundlage für die spätere Verwendung der Begrifflichkeiten, sollen diese
Begriffe sowie die damit verbundenen Gütekriterien für eine gelungene
Evaluation und Selbstevaluation zunächst definiert werden. Nach dieser ersten
Annäherung anhand der Frage nach einem WIE? bei der Evaluation von
Schülerleistungen stellt sich darauf aufbauend die Frage nach dem WAS?. Die
Vorstellungen hierzu sind seit jeher in einem steten Wandel begriffen. Das
Jahr 2000 begründete jedoch einen Wendepunkt in der Zielsetzung des
Fremdsprachenunterrichts (FSU). Seit den Ergebnissen der ersten PISA-
Ergebnisse im Dezember 2000 sind sich viele Experten einig, dass deutsche
Schüler, im Gegensatz zum Aufbau von sogenanntem ‘trägem’ Wissen, Kompetenzen
erwerben müssen, um ihr erworbenes Wissen in authentischen Situationen
verantwortungsvoll anwenden zu können. Die sich daraus ergebene Forderung nach
einem kompetenzorientierten Unterricht hat die Zielsetzung des
Fremdsprachenunterrichts einschneidend verändert. Als nächster Schritt ist es
demnach notwendig, das Konzept, welches sich hinter dem Begriff verbirgt,
vorzustellen. Hierzu gehören auch die aktuellen politischen und curricularen
‘Vorgaben’, die aufgeführt und im Hinblick auf ihren Beitrag zu den neuesten
Entwicklungen des FSUs und der Evaluation untersucht werden. Es soll der Frage
nachgegangen werden, inwiefern diese Dokumente eine Hilfestellung bei der
Selbstevaluation bieten. Im Anschluss daran werden einige Merkmale des
kompetenzorientierten Unterrichts, welche für den Aspekt der Selbstevaluation
von Bedeutung sind, herausgegriffen und dargestellt. In diesem Zusammenhang
soll ebenfalls die Wichtigkeit des Begriffs des interkulturellen Lernens
hervorgehoben werden, da diese Idee exemplarisch den Wandel im FSU
wiederspiegelt. Die daraus resultierende Outputorientierung im Gegensatz zu
einem systematischen Einüben der sprachlichen Fertigkeiten, so wie es der
Ansatz des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts vorsah, kommt nicht umhin,
diese Anforderungen auch an den Bereich der Evaluation zu stellen. Die Frage
ist jedoch, ob bestimmte Kompetenzen leichter zu evaluieren sind als andere,
und, wenn ja, welche Konsequenzen sich hieraus für die Selbstevaluation
ergeben. Im Anschluss an die Vorstellung der Neuerungen im FSU werden im
Hinblick auf die Selbstevaluation kurz einige Vorbehalte aufgezeigt, die der
‘Kompetenzorientierung’ in den letzten Jahren entgegengebracht wurden.
Ausgehend von diesen Neuerungen des FSU, die während der letzten Jahre in den
Vordergrund getreten sind, soll im zweiten Kapitel gezeigt werden, dass der
Bereich der Selbstevaluation als Teil einer modernen Evaluation im FSU
berücksichtigt werden sollte. Hierzu werden einige Funktionen beschrieben, die
dieser Form der Evaluation zugeschrieben werden. Außerdem geht es darum,
welche Aspekte der Kompetenzorientierung hier ihre Entsprechung finden. Unter
2.3 sollen diese Funktionen folglich sowohl aus lerntheoretischer als auch aus
psychologischer Sicht dargestellt werden. Es wird davon ausgegangen, dass die
Evaluation der täglichen Unterrichtspraxis wenig Raum für Individualität sowie
für die motivationalen, volitionalen und emotionalen Lernvoraussetzungen des
Schülers lässt. Im Gegensatz dazu basiert die Vorstellung von Selbstevaluation
auf dem Begriff des ‘selbstregulierten Lernens’, bei dem bereichsübergreifende
Kompetenzen unter anderem eine wichtige Funktion übernehmen. Anhand eines
Modells von Zimmerman (2003) wird ein zyklisches Modell des selbstregulierten
Lernens vorgestellt, welches zeigt, dass die Selbstevaluation hier einen
wesentlichen Beitrag leistet. Ferner wird geschlussfolgert, dass diese als
schülerorientierte und individuelle Evaluationsform die Motivation und die
Entstehung eines positiven Selbstkonzeptes fördert, was wiederum positive
Auswirkungen auf den Lernprozess nach sich zieht. Trotz des wesentlichen
Beitrags, den Selbstevaluation in einem modernen FSU zu leisten vermag,
basiert diese dennoch auf einigen Voraussetzungen für ihr Gelingen. Es ist
naheliegend, dass die Methode der Selbstevaluation Schritt für Schritt erlernt
werden muss. Wie dies gelingen kann und welche Voraussetzungen hierfür gegeben
sein müssen, ist entscheidend für die Kapazitäten der Lernausgangslage als
Mittel der Selbstevaluation, die im dritten Kapitel im Vordergrund stehen
soll. Diese sollen unter 2.4 auf drei Ebenen besprochen werden. Zum einen auf
institutioneller Ebene, denn hier wird der Grundstein für die Selbstevaluation
gelegt. Zum anderen aber auch auf Unterrichtsebene, wobei hier als erstes die
Voraussetzungen von Seiten des Lehrers besprochen werden. Der Begriff der
‘Lehrerkompetenz’ soll hier unter dem Aspekt der Selbstevaluation betrachtet
werden. Als dritte und letzte Ebene wird erneut der Schüler und seine
individuellen Lernprozesse thematisiert, wobei hier einige Bezüge zum
selbstregulierten Lernen klar erkennbar sind. Hieraus ergibt sich ein
mögliches Problempotential sowie gewisse Grenzen der Selbstevaluation, welche
die Möglichkeiten der Lal als Instrument zur Selbstevaluation im dritten
Kapitel wiederum beeinflussen könnten. Im letzten Kapitel sollen die
erarbeiteten linguistischen und didaktischen Aspekte auf die Sprechaufgaben
der Lal angewendet werden. Im Fokus stehen hierbei die Möglichkeiten der Lal
zur Selbstevaluation. Da die Lal diese Möglichkeit bislang nicht vorsieht,
soll aufgezeigt werden, ob und in welcher Form diese Aufgaben auch für diesen
Aspekt der täglichen Unterrichtspraxis eingesetzt werden können. Hierzu wird
das Dokument der Lernausgangslage unter 3.1 und 3.2 zunächst vorgestellt. Es
werden zunächst die Entwicklung, sowie die Ziele der Lal, welche in engem
Zusammenhang mit dem im zweiten Kapitel herausgearbeiteten Fokus der
‘Kompetenzorientierung’ stehen, dargestellt. Diese Ziele schlagen sich
deutlich in der Konzeption des Dokumentes nieder, was die Annahme begründet,
dass sich die Aufgaben der Lal hervorragend für die Selbstevaluation eignen.
Da die Lernausgangslage jedoch als Diagnoseinstrument konzipiert wurde, muss
der Bezug zwischen Diagnose und Selbstevaluation hergestellt werden, um zu
zeigen, dass der Schritt von Fremddiagnose zu Selbstevaluation eventuell nicht
so groß ist, wie auf den ersten Blick vielleicht zu vermuten wäre. Aus diesem
Grund wird das Material der Lal unter dem Fokus der ‘Aufgabenorientierung’ –
ein wesentliches Merkmal des kompetenzorientierten Unterrichts – einem
kritischen Blick unterzogen. Als letzter Schritt werden eine Reihe der
herausgearbeiteten Aspekte auf die Sprechaufgaben der Lal angewendet, um ihr
Potential für die Selbstdiagnose abzuschätzen. Dazu werden der im ersten
Kapitel untersuchte Aspekt der Nähesprache und die im zweiten Kapitel
thematisierte Wichtigkeit des Sprechens im kompetenzorientierten Unterricht
herangezogen. Zum anderen wird auf die Besonderheit der Sprechaufgaben der Lal
Bezug genommen. Die Sprechaufgaben werden zunächst inhaltlich vorgestellt und
anschließend relevante Aspekte des ‘Könnens’ herausgefiltert. Diese werden zum
einen aus der Lal und den Rahmenlehrplänen entnommen, zum anderen aber auch
aus dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen (GeR), der ausführliche
Skalierungen auf dem Niveau A1 und A2 zur Sprechkompetenz liefert. Aber auch
linguistische Merkmale aus dem ersten Kapitel sollen hier einbezogen werden.
Im letzten Kapitel werden einige, aufgrund der oben stehenden Überlegungen
entwickelte, Bewertungsraster für die Selbstdiagnose der Sprechkompetenz
vorgeschlagen. Hierzu wird ein Raster pro Aufgabe angeboten; hinzu kommt ein
Fragebogen zum Sprechen, den der Lehrer gemeinsam mit den Schülern zur
Vorentlastung nutzen. Abschließend wird im Fazit gezeigt, inwiefern die
Lernausgangslage zur Selbstdiagnose im Kontext eines kompetenzorientierten
Unterrichtes genutzt werden könnte.
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