Zusammenfassung Untersucht wurden 594 Skelette des 10. bis 18. Jahrhunderts aus Ostfriesland (Niedersachsen). Das Skelettmaterial stammt aus dem Innenbereich der Großen Kirche in Emden. Aufgrund schlechter stratigraphischer Verhältnisse ist eine epochale Zuordnung der Individuen nicht möglich. Mit Hilfe gängiger anthropologischer und paläopathologischer Methoden erfolgt die Rekonstruktion der Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie der Krankheitsbelastung der historischen Emder Bevölkerung. Die Kircheninnenbestattung weist auf eine höhere Sozialschicht der Bevölkerung hin, wobei aufgrund paläodemographischer Parameter die Bevölkerungsstruktur nicht als eine für Innenraumbestattungen typische Population bezeichnet werden kann. Die Alters- und Geschlechterverteilung zeigen eher eine Normalbevölkerung mit einem hohen Kinderanteil (24 %), wenigen Jugendlichen und über 70 % Erwachsenen sowie einem leichten Männerüberschuss. Indikatorkrankheiten der nichterwachsenen Individuen geben anhand ihres Entstehungsalters den Zeitraum der Entwöhnung an, der auf das 2. und 3. Lebensjahr festgelegt werden kann. Cribra orbitalia und Infektionserkrankungen wie Sinusitis sind zwar vorhanden, kommen aber im Hinblick auf die Vergleichsserien in geringerer Häufigkeit vor. Paläoodontologische Befunde lassen eine Ernährungsrekonstruktion zu, die auf eine proteinreiche und wenig abrasive Kost schließen lässt. Dieses Nahrungsspektrum wird auch anhand von Tierknochenuntersuchungen einer anderen Studie bestätigt. Degenerative Gelenk- und Wirbelerkrankungen sind Indikatoren für körperliche Arbeit und zeigen im Serienvergleich mittelschwere Belastungen an. Es ist bei der vorliegenden Bevölkerungsschicht von Händlern und Kaufmännern sowie höhergestellten Seeleuten (Kapitänen) auszugehen, die entsprechenden physischen Belastungen ausgesetzt waren. Eine Seitenpräferenz kann nicht bestätigt werden. Geschlechterspezifische Unterschiede der Häufigkeiten von Pathologien lassen sich teilweise feststellen, wobei eher die männlichen Individuen stärker belastet sind. Die über die Emder Population gewonnenen Ergebnisse werden mit den Daten anderer städtischer Skelettserien und ostfriesischer Klosterpopulationen verglichen. Es ergeben sich im städtischen Vergleich für Emden wiederholt geringere Erkrankungsraten, wodurch sich gute Lebensbedingungen und bessere hygienische Verhältnisse bestätigen lassen. Der Vergleich mit Klosterpopulationen zeigt jedoch, dass in entsprechend wohlhabende Orden noch günstigere Bedingungen herrschten, als für die historische Oberschicht Emdens.
Summary This study investigates 594 skeletons from the 10th to 18th century. The material was found in burial sites within the Große Kirche in Emden (East Friesland, Germany). Due to difficult stratigrafic conditions it is not possible to attribute these finds to an specific century or epoch. By using common anthropological procedures the living and working as well as medical conditions of this population can be reconstructed. The burials within the church indicate an upper social class even though demographical parameters addict rather some kind of common population. The finds contain a large percentage of children (24 %), a few juveniles and about 70 % of adults. Nonspezific stress markers of children, shown by Harris lines and enamel hypoplasia, indicate weaning in the 2nd and 3rd year of life. Cribra orbitalia and infectious diseases, like sinusitis, are present although the frequency is lower than in other urban populations. Paläoodontological findings are evidence of protein rich and low abrasive nutrition, also verified by another study of animal bone. Degenerative diseases of the joints and vertebral column show moderate weight bearing, compared to other investigations. It is not possible to establish any preference for left- or right-handedness. The frequency of pathological findings sometimes shows gender differences, where the men are more often affected. Compared to other urban studies the Emden skeletons show confistantly lower levels of diseases, which would indicate favourable living conditions and good standards of hygiene. The comparative research of East Friesian monastic populations shows that only the wealthier orders had lower disease levels than the upper class of the Emden population.