Frischs Adaption des Bildnis-Verbots ist als ein produktives Missverständnis zu deuten: Im Werk Frischs hat das Bildnis-Verbot einen leitmotivischen Stellenwert. Die frühere Kritik hat bisher angenommen, dass Frisch das göttliche Bildnis-Verbot auf die zwischenmenschliche Beziehungen zu projizieren weiß, oder die „psychologische Umdeutung“ (Heinz Gockel) des Gebots vollzieht. Darum wurde die religiöse Problematik in seinen Werken nicht gründlich genug untersucht, sondern die Meinung verbreitet, dass sie für sein Werk wenig Gewicht habe. In Wirklichkeit basiert Frischs Adaption des göttlichen Bildnis-Verbotes auf einem produktiven Missverständnis. Frisch vereinigt in seinem Denken zwei biblische Gegebenheiten: dass Menschen nach dem Bilde Gottes geschaffen wurden und das Gebot: „Du sollst Dir kein Bildnis machen von Gott“. Das zweite Gebot verbietet die Vielgötterei. Dieser Aspekt wird von Frisch ausgeblendet. Er sieht im zweiten Gebot eine Implikation, die in den biblischen Aussagen nicht gemeint wird, und zwar: Wir dürfen Gott auf kein festes Bild in unserer Vorstellung fixieren, weil seine Größe außerhalb unserer Erkenntnisdimension liegt. Diese Einsicht überträgt er auf den Menschen als ein Bild Gottes: Es sei eine Versündigung, einen Menschen auf unsere fixierte Vorstellung von ihm festzulegen, weil unser Bild von ihm sein unendliches, von Gott gegebenes Potential einzuschränken sucht. Frischs Bestimmung der Liebe lässt sich als Folge seines Missverständnisses des zweiten Gebots charakterisieren. Die Bibel behauptet von Gott, er sei die Liebe. Das steht wörtlich im Neuen Testament. Frisch rückt die menschliche Liebe in den Bereich des Göttlichen und nimmt an, sie soll sich kein Bildnis von dem Gegenüber machen, was für ihn heißt, dass der oder die Liebende unbewusst vermeidet, den Geliebten oder die Geliebte auf bestimmte Züge festzulegen. In der göttlichen Natur der Liebe sieht Frisch die Erfüllung des Bildnis-Verbots. Seine Annahme, dass die Liebe von der Fixierung des Gegenübers auf die eigene Vorstellung von ihm befreit, kann man als eine Übereinstimmung mit der in jedem Menschen von Gott mitgegebenen Wahrheit betrachten. Doch aus biblischer Sicht ist dieser Umgang mit der Liebe ohne Gottesglauben unmöglich. Frischs Verknüpfung des Begriffs der Liebe mit dem Bildnis-Verbot ist eigenwillig: In der Genesis steht, Gott habe den Menschen nach seinem Bilde als Mann und Frau erschaffen. Der Ausdruck „nach seinem Bilde“ bezieht sich ursprünglich auf diesen Satz. Die Konstellation aus Mann und Frau als Bild Gottes gibt das Bild der Liebe vor. Im Neuen Testament wird Gott direkt die Liebe genannt. In der Bibel ist die Vorstellung von Gott als Liebe mit dem Bildnis-Verbot praktisch gar nicht verbunden. Von daher kann man die Idee Frischs, dass die menschliche Liebe sich kein Bildnis vom Gegenüber machen darf, als frei erfunden und höchst eigenwillig betrachten. Man kann nur zustimmen, dass es schön wäre, wenn es um die menschliche Liebe wirklich so stünde. Genau das Gegenteil von Frischs theoretischen Überlegungen über die Liebe, die vor allem in Tagebuch 1946-1949 und in Nachwort zu Als der Krieg zu Ende war stehen (deren Variation als besondere Toleranz der Liebe macht sich u.a. in Mein Name sei Gantenbein und in Montauk erkennbar), wird in seinem facettenreichen literarischen Werk trotzdem sichtbar: Die Liebenden erschaffen sich gegenseitig einengende Bilder von einander; eben das führt zum Verlust der Liebe, zur Verzweiflung in der Liebe oder zur Trennung vom Partner. Das Bildnis-Paradigma und die Verzweiflung sind wichtige Modelle für Frischs literarische Konstruktionen: In Tagebuch 1946-1949 macht Frisch auf die Wirkung der Sprache auf zwischenmenschliche Beziehungen aufmerksam: Das menschliche Wort besitzt die von Gott eingegebene schöpferische Kraft. Doch sie ist in Frischs Darstellungen meistens negativ konnotiert (Tagebuch 1946-1949, Nun singen sie wieder). Menschen produzieren Bildnisse zuerst in Gedanken, dann werden sie durch Worte ins Leben gerufen, sie können die Liebe verbittern, sogar töten und das menschliche Leben zerstören (Triptychon, Andorra). Ohne Rückhalt in der Liebe ist der moderne Mensch dem Bildnis gänzlich ausgeliefert und verzweifelt (Marion, Reinhart, Stiller, Roger). Das Thema des Bildes vom Anderen sowie von sich selbst (Identitätsfrage) ist direkt mit dem Thema des Glaubens bzw. der religiösen Verzweiflung verbunden. Denn ohne Glauben an Gott erschaffen Menschen Bildnisse (Bin oder Die Reise nach Peking, Stiller). Die Kehrseite dieser Problematik sieht Frisch in der Idee, dass die Kraft des Bildnisses eine menschliche Identität zu erschaffen versucht (Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie, Andorra, Homo faber u.a.). So erschaffen praktisch die Menschen andere Menschen (und nicht zuletzt sich selbst) durch die Kraft ihres Wortes. Dies äußert Frisch im Marionetten-Motiv. Eine andere Seite des Marionetten-Motivs bei Frisch – die Verzweiflung seines Personals – ist mit dem Thema des christlichen Glaubens verknüpft. Der „Hang zum Skizzenhaften“ im Prosawerk Frischs und die Form der Gleichnis-Rede und des Gleichnisses in seinen Stücken – alles Streben nach Wahrhaftigkeit der literarischen Darstellung: Die Vorliebe Frischs für das Fragment korrespondiert mit den Form-Elementen einiger seiner Stücke. Im Vergleich zu den politisch ausgerichteten Parabeln Brechts, erhebt Frisch in seinen Stücken keinen Anspruch auf einen plausiblen Wahrheitsgehalt, sondern ihm geht es in erster Linie um die Wahrhaftigkeit der literarischen Darstellung des Daseins. Seine Parabeln (wie z.B. Die Chinesische Mauer, Biedermann und die Brandstifter, Bin oder Die Reise nach Peking) lassen sich als mehrdeutig und, mit seinen Worten, als „ohne Lehre“ bezeichnen, denn die Wahrheit des Daseins bleibt dem modernen Menschen, der kein geschlossenes Weltbild hat, verborgen. In diesem Sinne kehrt die Frage nach literarischer Form zu dem Bildnis- Paradigma zurück (Vgl.: die auf Personen bezogenen Gleichnisse von Jesus). „Sprung in den Glauben“ und das Thema der Selbstaufopferung bei Frisch und Kierkegaard: Im zweiten Teil zu Entweder-Oder ruft Kierkegaard ausdrücklich auf, in der Verzweiflung eine Wahl nicht zwischen Gutem und Bösem zu treffen, sondern das Gute zu wählen, was für ihn heißt, einen „Sprung in den Glauben“ zu vollziehen, sich freiwillig für den Willen Gottes zu entscheiden. Für Frisch, wie aus einigen seiner Werke hervorgeht (Tagebuch 1946-1949, Die Chinesische Mauer, Stiller, Biedermann und die Brandstifter, Nun singen sie wieder), ist eine solche Wahl mit einem gewissen existenziellen Risiko verbunden. Die Positionen Frischs und Kierkegaards unterscheiden sich hinsichtlich der Problematik des Glaubens prinzipiell voneinander: während Frisch in Tagebuch 1946-1949 über mögliche schwere Folgen einer jeder radikalen Entscheidung nachdenkt, ja über die Unmöglichkeit, ein normales Leben zu führen, wenn die Wahl vollzogen ist, wird in der Darstellung Kierkegaards nach dem „Sprung in den Glauben“ das Leben in der Welt erst recht schön. Diese Disposition liegt darin, dass Frisch das Thema „des Sprunges“ mit der Idee der Selbstaufopferung des Geistes für die Wahrheit verbindet (Schinz in Skizze, Erkenntnisse des Heutigen und die Jesus-Parodie in der Figur des Stummen in Die Chinesische Mauer; die Wahl, eigene Interessen und sogar das Leben für die Erkenntnis der Wahrheit und für das Wohl der Anderen zu opfern in Tagebuch 1946-1949, Nun singen sie wieder, Die Chinesische Mauer, Biedermann und die Brandstifter), deren Folge sogar zu dem physischen Tod führen kann; Kierkegaard erkennt dagegen im zweiten Teil zu Entweder-Oder "das wirkliche Leben" im Zu-Gott-Finden.
Frisch’s adaptation of the Second Commandment (Thou Shall Not Make Graven Images) poses a productive misunderstanding. This commandment has a key significance in his work. Early critics presume that Frisch either projects the divine commandment not to worship idols on interpersonal relationships or fulfils the “psychological reinterpretation” (Heinz Gockel) of the commandment. Therefore the religious complex of problems in his work has not been researched thoroughly enough. It has rather become a widespread opinion that this complexity doesn’t have much importance in the whole scheme of his work. In truth Frisch’s adaptation of the divine Second Commandment is based upon a productive misunderstanding. Frisch unifies two biblical occurrences in his reasoning: the human race was created in the image of God and the commandment “You shall have no other Gods before me.” The Second Commandment forbids polytheism, an aspect which is suppressed by Frisch in his work. In the Second Commandment he sees an implication that is not expressed in biblical terms, namely that we may not set God into a fixed image in our minds because his greatness lies outside of the breadth of our knowledge. He assigns his view over to people as the image of God, stating that it is a transgression to ascertain that a person is our fixed idea of him, because our concept of him attempts to constrict the unlimited potential that God has given him. Frisch’s determination of love is characterized as a result of his misinterpretation of the Second Commandment. The New Testament declares that God is love. Frisch transfers human love into the area of the divine and is convinced that it should not make a fixed picture of its counterpart. To him that means that the person who loves unknowingly avoids fixing certain characteristics to the person being loved. Frisch sees the fulfilment of the Second Commandment in the divine nature of love. His conviction that love liberates us from having fixed ideas in our minds about our counterparts can be understood as compliance with the truth that has been placed in every man by God. However, from a biblical standpoint this application of love is impossible without faith in God. Frisch’s correlation of the definition of love with the Second Commandment is idiosyncratic. Genesis states that God created humans in his image as man and woman. The expression “in his image” primarily deals bears upon this statement. The configuration of man and woman as an image of God is a graphic expression of love. It states that God is love in the New Testament. In the Bible the image of God as love is not connected with the Second Commandment at all. Therefore one can interpret Frisch’s idea that human love does not permit one to make concepts of his counterparts as independently-contrived and completely idiosyncratic. One can only agree that it would be wonderful if human love was really that way. Nevertheless, the exact opposite of Frisch’s theoretical deliberations about love, which are mainly found in Sketchbook 1946-1949 and in Epilogue: When the War Was Over (whose variation as an unusual tolerance of love is recognizable in A Wilderness of Mirrors/Gantenbein and in Montauk), become obvious in his multifaceted literary work. This converse deliberation is that lovers mutually create confining concepts of each other; even that leads to a loss of love, despondency in the love or legal separation. The idolatry paradigm and despondency are key models of Frisch’s literary constructions. In Sketchbook 1946-1949 Frisch makes one aware of the effect of language on interpersonal relationships: human words have a God-given creative power. However, this power is often given a negative connotation in Frisch’s descriptions (Sketchbook, Now They Sing Again). People initially produce fixed pictures in their thoughts and then bring them to life through the spoken word, which can result in embittered love and even kill or destroy human life (Triptychon, Andorra). Love without support leads the modern person to become turned over to the fixed picture and desperate (Marion, Reinhart, Stiller, Roger). The subject of the image of others as well as self (Question of Identity) is directly connected to the subject of belief and respectively to religious despondency. For without faith in God, people create fixed images (The Trip to Beijing, I’m Not Stiller). Frisch sees the downside of this complexity in the idea that the power of fixed pictures attempts to create human identity (Don Juan or the Love of Geometry, Andorra, Homo Faber et al.). Therefore, people essentially create others (as well as themselves) through the power of their words, which Frisch makes clear in his Marionette-Motif. The despondency of Frisch’s figures, which is another aspect of the Marionette-Motif, is attached to the subject of Christian faith. The “propensity to sketchiness” in Frisch’s prose work and the form of the parables in his plays result from his pursuit of authenticity in literary illustrations. Frisch’s preference for fragments corresponds with the elemental form of some of his plays. In comparison with Brecht’s political parables, Frisch doesn’t assert a claim on validity, but rather focuses on authenticity in the literary illustration of subsistence. His parables (e.g. The Chinese Wall, The Fire Raisers, The Trip to Beijing) can be interpreted as ambiguous and in his words “without doctrine”, because the truth of subsistence remains hidden from the modern man who lacks a cohesive world view. Having said this, the subject of literary form reverts to the idolatry paradigm (cp.: the parables of Jesus directed at individual people).