Das Bauhaus gilt als eine der revolutionären Kunstschulen der frühen Zwanziger Jahre, die sich zur Aufgabe stellen, den restriktiven Lehrformen traditioneller Kunstakademien etwas Neues entgegen zu setzen. In der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchsituation nach dem Ersten Weltkrieg will sich insbesondere die Jugend von dem festgefahrenen Konservativismus der Kaiserzeit abwenden. Mit dem Bauhaus entsteht eine Lehranstalt, die in der Perfektion des Handwerks den Weg zur künstlerischen Tätigkeit sieht. Die Dissertation stellt sich zur Aufgabe die erhaltenen fotografischen Bauhäusler-Selbstbildnisse in einen gesamthistorischen Kontext einzuordnen. Zunächst werden die Bauhaus-Portraits miteinander verglichen und dann zeitgenössische Fotografien und Gemälde aus den Avantgardebewegungen Neues Sehen, Neue Sachlichkeit, Dadaismus, Surrealismus und Futurismus sowie thematisch verwandte Gemälde der Zwanziger und Dreißiger Jahre mit einbezogen. In ihrer Analyse erzielt die Dissertation zwei Hauptergebnisse: Erstens entwickeln die Bauhäuslern mit ihren Selbstfotografien keinen neuen, einheitlichen Stil, der dem Bauhaus eigen ist. László Moholy-Nagys Einfluss auf die Fotografien von 1923 bis 1928 (während seiner Lehrzeit am Bauhaus) sowie Walter Peterhans’ Rolle von 1929 bis 1933 können nicht als vordergründig bewertet werden. Die frühe experimentelle Phase und die später einsetzende sachliche Phase sind im Vergleich mit zeitgenössischen Fotografien und Bildern der Zwanziger und Dreißiger Jahre ein Zeitphänomen, welches sich international in den Avantgarden entwickelt. So stellt die vorliegende Untersuchung heraus, dass sich die Künstler in ihrer (Amateur-)Fotografie ihres Selbst methodisch so individuell zeigen wie auch ihre Arbeiten in den verschiedenen Werkstätten am Bauhaus ausfallen und keinen Stil ausprägen. Zweitens wird in der vorliegenden Arbeit deutlich, dass sich Männer und Frauen am Bauhaus in ihren Fotografien auf unterschiedliche Art und Weise selbst betrachten. Im Zuge der zunehmenden Emanzipation der Frau hinterfragen die Bauhäuslerinnen in ihren Selbstportraits traditionelle Rollenbilder und vertreten damit die These der Philosophin Simone de Beauvoir, dass die Frau von der Gesellschaft zur Frau gemacht wird und nicht als solche geboren wird.15 Oft sind die femininen Selbsterkundungen mittels der Fotografie Serien, wodurch der Eindruck entsteht, dass sich mehr Frauen als Männer mit dem Selbstbildnis befassen, was sich aber als unwahr herausgestellt hat. Anhand der Bauhäuslerinnen- Selbstportraits lässt sich der Wandel von einem von Jugendstil und Piktorialismus geprägtem Fraubild zum modernen Bildnis der eleganten, selbstbewussten Dame, einer Form der Neuen Frau während der Zwanziger und Dreißiger Jahre, nachzeichnen. In dieser geschlechterspezifischen Analyse fällt auf, dass sich die Männer am Bauhaus in ihren Selbstfotografien im Vergleich zu den Frauen selbstbewusster darstellen. Ihre gesellschaftliche Rolle und ihre Funktion am Bauhaus sind klar definiert und werden nicht in Frage gestellt.
The Bauhaus school is one of the revolutionary schools of arts of the early Twenties that commits itself to reforming restrictive teaching methods of the traditional art academies. During the period after World War I, which is marked by serious changes in politics, economy and society, especially the youth demands for something new that contrasts to the rigid conservativism of the Kaiserzeit. The Bauhaus school sees in the perfection of artisanry its way to create art. The dissertation is meant to show these self-portraits of the so-called „Bauhäusler“ in their historical and art-historical context. At first the Bauhaus-portraits will be compared to each other, then the dissertation will show parallels and differences to contemporary photographs and paintings of the vanguard movements New Vision, New Objectivity, Dadaism, Surrealism, and Futurism. With its comparative analysis the dissertation arrives at two main conclusions: First, the Bauhäusler do not create a new, homogeneous style that is uniquely present at the Bauhaus. László Moholy- Nagy’s as well as Walter Peterhans’s influence on the photographs that come into existence during the years of their teaching at the Bauhaus (Moholy-Nagy: 1923-1928, Peterhans: 1929-1933) is marginal. In comparing photos of the early experimental phase and of the more objectively influenced period to contemporary photographs and paintings of the Twenties and Thirties the dissertation points out that the Bauhaus photographs are a matter of the zeitgeist phenomenon. The Bauhaus-artists choose multifaceted ways of portraying themselves which is mirrored in their versatility and uniqueness of the art they create in the workshops. Second, men and women observe themselves in different ways. Due to the increasing importance of the emancipation female students and teachers at the Bauhaus challenge traditional roles in their self-portraits . With this they stand in for Simone de Beauvoir’s philosophic assumption that women are not born but are made women.15 Often women at the Bauhaus use the series for their photographic investigations of the self and seemingly produce more pictures than the men. This, however, has been proved untrue. The self-portraits of the female Bauhaus students and teachers demonstrate a change from the traditional vision of women influenced by pictorialism and art nouveau to a modern, elegant, and self-confident woman of the late Twentis and early Thirites. In this gender-specific analysis it is striking that men at the Bauhaus present themselves in their photographic self-portraits much more self-assured than their female fellow students. Their social role and their function at the Bauhaus are clearly defined and are not called into question.