Moral(theorie)kritik und ethische Skepsis: Abstract Bei der Moral geht es um das richtige Handeln. Ethik hingegen hat mit dem guten Leben zu tun. Manchmal scheinen Moral und Ethik miteinander zu konkurrieren: Das Streben nach dem persönlichen Glück kann es manchmal verlangen, dass man moralische Regeln missachtet. Aber bestehen nicht auch Spannungen oder sogar Widersprüche innerhalb des moralischen Systems und innerhalb des ethischen Denkens? Genau dies behaupten Moralkritiker seit Nietzsche: Indem sie anscheinende Konflikte aufzeigen, stellen sie die Rationalität moralischer Prinzipien und ethischer Urteile insgesamt in Frage. Wie kann können Moraltheorie und Ethik dieser Herausforderung gerecht werden? Der erste Teil der Arbeit handelt von der Moral. Zumindest in der Philosophie ist der moralische Standpunkt oft mit der "unpersönlichen Perspektive" in Verbindung gebracht worden. Manche Philosophen sprechen hier von einem "unparteilichen" oder einem "universalen" Standpunkt. Wenn wir moralisch urteilen, dann geht es uns nicht um die Belange einer besonderen Person (zum Beispiel um uns selbst), sondern um die Allgemeinheit. Das zumindest meinen die Moralphilosophen in der kantianischen Tradition. Ihnen zufolge müssen wir beim moralischen Urteil von unserem sozialen Status, unserer ethnischen Herkunft, unserem Geschlecht, Alter und unseren körperlichen Fähigkeiten abstrahieren. Das Resultat ist ein Standpunkt der Überlegung, von dem aus Kandidaten für moralische Regeln beurteilt werden können. Nur solche Regeln bestehen den Test, denen jeder zustimmen kann - unbeachtet seiner ethnischen oder sozialen Herkunft, seines Geschlechts, Alters oder seiner körperlichen Fähigkeiten. In letzter Zeit ist diese Konzeption einer unparteilichen Moral in Bezug auf so genannte "subjektrelative" ("agent-relative") moralische Direktiven kritisiert worden. Der Kern des Einwandes greift auf eine phänomenologische Beobachtung zurück, die vor allem von Thomas Nagel in die Diskussion gebracht worden ist. Nagel hat Fälle ausgemacht, in denen moralische Gründe in einer merkwürdigen Weise "individualisiert" werden. Mit Nagel unterscheide ich zwischen drei Fällen von moralisch relevanten "subjektrelativen" Gründen oder Handlungsregeln, die drei Gruppen von Phänomenen betreffen: Skrupel, persönliche Beziehungen und private Projekte. a) Was die Skrupel anbelangt, spricht Nagel von (moralischen) Gründen, die "dagegen sprechen, dass man selbst etwas tut" nicht dagegen, "dass etwas bloß passiert" b) Hinsichtlich unserer persönlichen Beziehungen behauptet Nagel, dass wir "spezielle Verpflichtungen ... denen gegenüber hätten, denen wir eng verbunden sind". c) Bezüglich privater Projekte "wie etwa einer Besteigung des Kilimandscharos" ist von einer besonderen Verpflichtung die Rede, einem "persönlichen Grund" des Bergsteigers, den Kilimandscharo zu erklimmen. Obwohl es sich hier, wie Nagel argumentiert, in gewisser Hinsicht nicht nur um ein Bedürfnis handelt, sondern um eine Art Verpflichtung, kann dieser Handlungsgrund vom moralischen Standpunkt her nicht akzeptiert werden ganz im Gegensatz zu anderen moralischen Handlungsdirektiven: "Wenn ich schlimme Kopfschmerzen habe, dann hat jeder einen Grund zu wollen, dass diese aufhören. Aber wenn ich dringend auf den Kilimandscharo steigen will, dann hat überhaut nicht jeder einen Grund zu wollen, dass ich damit Erfolg habe." Formal betrachtet, gibt es in allen drei Fällen, "den Skrupeln, den persönlichen Verpflichtungen, und den privaten Projekten" einen Rückverweis auf den Akteur. Deshalb heißen Regeln, die z.B. fordern, dass jeder für seine eigenen (!) Kinder sorgen soll, "subjektrelative" Regeln, im Gegensatz zu "subjektneutralen" Handlungsregeln. Zu letzteren gehört etwa auch das Prinzip, dass jeder dafür sorgen soll, dass jedes Kind von den eigenen Eltern versorgt wird. In meiner Arbeit erörtere ich verschiedene Versuche, die Unterscheidung zwischen subjektrelativen und subjektneutralen Handlungsregeln schärfer zu definieren. Am Ende adoptiere ich - mit einigen Modifikationen - ein Modell, das von David McNaughton und Pierce Rawling in die Diskussion gebracht worden ist, und welches präziser und weniger problematisch ist als der ursprüngliche Vorschlag von Thomas Nagel oder andere Konzeptionen, wie zum Beispiel jene von Amartya Sen. Indem ich für die subjektrelativ/subjektneutral-Unterscheidung Partei ergreife, gelange ich in meiner Konklusion zu einem Dualismus moralischer Werte, ganz ähnlich Max Webers bekannter Unterscheidung zwischen "Gesinnungsethik" und "Verantwortungsethik". Mein Ziel ist es, zu zeigen, dass subjektrelative und subjektneutrale Handlungsdirektiven nicht unter ein und dasselbe Prinzip subsumiert werden können. Wenn man die moralische Relevanz subjektrelativer Regeln anerkennt, folgt daraus, dass die Moral des unpersönlichen Standpunktes unvollständig ist. Wenn man die moralischen Intuitionen beibehalten will, die mit den skizzierten Fällen von Skrupeln und der Sorge um die Angehörigen einhergehen, dann muss man zugeben, dass die Moral signifikante Ausnahmen zum Prinzip der Unpersönlichkeit erlaubt oder sogar gebietet. Aber aus dem Argument für die subjektrelativ/subjektneutral-Unterscheidung folgt noch mehr: Ich möchte zeigen, dass nicht nur die Moral des unpersönlichen Standpunktes, sondern jede denkbare Moraltheorie die Möglichkeit von echten Widersprüchen zwischen moralischen Handlungsdirektiven anerkennen muss. Um dieser Form von moralischem Dualismus einen theoretischen Hintergrund zu verschaffen, greife ich auf Bernard Williams' "internalistisches" Modell der Moralbegründung zurück. Dem Internalismus zu Folge sind alle Handlungsgründe, etwas zu tun, auch die moralischen Handlungsgründe, in Wünschen oder Proeinstellungen verwurzelt, so dass es falsch ist zu behaupten, jemanden hätte einen Grund, etwas zu tun, wenn er nicht auch einen entsprechenden Wunsch hat. Der zweite, kürzere Teil der Arbeit dreht sich um die Rationalität von ethischen Urteilen, d.h., Antworten auf die Frage, wie man leben soll. Verschiedene Einwände, die ethischen Skeptikern aufgebracht worden sind, werden hier erörtert. Mein Hauptziel ist es zu klären, in welchem Ausmaß diese Einwände gegen Theorien des guten Lebens die Rationalität der Ethik insgesamt in Frage stellen. Ich versuche zu zeigen, dass selbst wenn man davon ausgeht, dass ethische Beurteilungen im allgemeinen nur innerhalb eines Rahmens von "dichten Prädikaten" und "starken Wertungen" möglich sind, welche von einer kulturellen Gemeinschaft geteilt werden und daher intersubjektiv sind, es immer noch genügend Raum für individuelle Idiosynkrasien in besonderen Fällen gibt. Andere Fragen, mit denen ich mich auseinandersetze, befassen sich mit dem von David Wiggins so genannten "ethischen Nihilismus" (einer Art von Skepsis, die behauptet, dass das Leben schlechthin keinen Sinn hätte) und Nietzsches Kritik der Glücksmoral, genauer: der Frage, inwiefern Konzepte des guten Lebens überhaupt auf einen Kernbegriff wie den des Glücks zurückgeführt werden können. Das letzte Kapitel befasst sich mit der romantischen Skepsis gegenüber dem Ideal prudentieller Kalkulation: Gibt es möglicherweise Momente im Leben "Momente des Glücks, der Liebe oder der mystischen oder religiösen Versenkung, oder auch Drogenerfahrungen" deren Wert nicht angemessen erklärt werden kann in Bezug darauf, was diese Momente für ein gelungenes Leben im ganzen beizutragen vermögen. Ich versuche zu zeigen, die Autorität solcher Glücksmomente nicht auf irgendeine Form von prudentieller Kalkulation zurückgeführt werden kann. Trotzdem setzen solche Erfahrungen voraus, dass ethische Urteile gewöhnlicherweise Bezug auf das ganze menschliche Leben nehmen. Episodenhaftes Glück kann deshalb so überwältigend sein, weil es über diesen alltäglichen Beurteilungsrahmen hinausweist. Die Konklusion des zweiten Teils der Arbeit lautet deshalb, dass die Einwände der ethischen Skeptiker lediglich zu Folge haben, dass die Bandbreite ethischen Überlegens verbreitert werden muss, die Rationalität der Ethik bleibt deshalb dennoch im Grunde intakt.
The Critic of Morality and Ethical Scepticism Morality is about right action. Ethics is about the good life. At times, the two seem to be in conflict: The pursuit of personal happiness might sometimes demand the neglect of moral rules. But are there also tensions or even contradictions within the moral system and ethical reasoning themselves? This is what the critics of morality and ethical sceptics since Nietzsche argue: In pointing to apparent conflicts, they question the rationality of moral principles and ethical judgements altogether. How can moral theory and ethical thinking meet this challenge? The first part of my work deals with morality. At least in philosophy, the moral point of view has often been associated with an impersonal perspective - some authors call it the "impartial" or "universal" view. In the case of moral judgement, following philosophers in the Kantian tradition, we are not concerned with a particular person's wishes, but with the demands pertaining to everyone. In moral judgement, we must abstract from our social status, from our ethnic origin, from our sex, age, and physical abilities. The result is a point of view from which any proposal for a moral rule shall be judged . For a rule to pass the test, it must be possible for it to be agreed upon by everybody, i.e. by people of all ethnic or social origins, sexes, or ages. Recently, some philosophers have criticized the ideal of impersonality with reference to so-called "agent-relative" moral directives. The core of the argument is a certain phenomenological evidence which has been invoked by Thomas Nagel. He observes instances in which moral reasons seem to be 'individualized' in a strange way. Following Nagel, I make a distinction between three basic kinds of morally relevant agent-relative reasons, centred around three kinds of phenomena: scruples, personal relationships, and private projects. a) As for scruples, Nagel speaks of (moral) reasons that "have their full force against your doing something - not just against its happening"; b) Concerning our personal relationships, he postulates "special obligations toward those to whome we are closely related". c) With regard to private projects - such as climbing the Kilimanjaro - he points to the particular commitment, i.e. the personal reason the climber has to get to the top: According to Nagel, this reason cannot be preserved by the process of 'objectification' which the moral point of view demands: "If I have a bad headache, anyone has a reason to want it to stop. But if I badly want to climb to the top of Mount Kilimanjaro, not everyone has a reason to want me to succeed." In all three cases, there is a back-reference to agent. This is why rules, which state, e. g.,that one has to care for one's children, are called "agent-relative" as opposed to the agent-neutral rules, to which belongs also the principle that one has to make sure that every child is cared for by his own parents. The first part of my thesis discusses different ways of specifying the agent-relativity of rules for acting. It ends with the adoption of a model that has been proposed by David McNaughton and Pierce Rawling, which is more precise less problematic han the initial proposal by Thomas Nagel or a certain other conception of agent-relativity that has been put forward by Amartya Sen. The conclusion which I draw from the confirmation of the agent-relative/agent-neutral distinction is a dualism of moral value, quite similar to Max Webers famous distinction between "Gesinnungsethik" and "Verantwortungsethik". I try to show that agent-relative and agent neutral rules cannot be subsumed under the same general principle. Thus, the morality of the impersonal view is basically incomplete: If we stick to our moral intuitions, which accord to the mentioned cases of scruples and of concern for close relatives, we have acknowledge the existence of a moral system that allows significant exceptions to the the principle of impersonality. But my proposal has even stronger implications: I argue that not only the morality of the impersonal view but any moral theory will have to face the possibility of contradiction between different moral rules, as I have tried to demonstrate before in the case of agent-relative vs. agent-neutral rules for acting. In order to provide a theoretical background for moral dualism, I adopt Bernard Williams' model of moral justification which is known as moral "internalism". Internalism states that all reasons, even moral reasons, are rooted in wishes or so-called pro-attitudes and that we cannot say that someone has a reason to do something unless he has an appropriate wish. The second, shorter part of my thesis is concerned with the rationality of ethical judgments, i.e. answers to the question "How shall I live?" Here I deal with several objections which have been brought up by ethical sceptics. My general concern is to clarify to what extent those objections to theories of the good life represent a challenge to the rationality of ethics altogether. I argue that even if one agrees that, in general, valuations are only possible within a framework of "thick predicates" and "strong valuations" which are culturally shared, intersubjektive values, there is still room for individual idiosyncrasy in particular cases. Other issues that I deal with are David Wiggins' 'ethical nihilism' (the kind of ethical scepticism which states that there is no meaning to life at all) and Nietzsche's criticism of the morality of happiness: the question of whether there is any general core-concept to a good life at all. My last point is the romantic query of the ideal of prudential calculation: How is it possible that there are moments in life - moments of happiness, love, of mystic or religious contemplation, or even of drug experience -the respective values of which cannot be explained with regard to their contribution to a good life as a whole? I argue that even though the authority of such lucky moments cannot be reduced to any form of prudential calculation, they nevertheless presuppose that when making ethical judgments, we generally consider our lifes as wholes: Episodes of overwhelming happiness are so exceptional because they transcend our everyday ethical conceptions. The conclusion of the second part is that ethical scepticism leads to a wider range of ethical reasoning - but in the end, it leaves the rationality of Ethics basically intact.