Die Dissertation befasst sich mit drei grundlegenden Fragen kritischer politischer Bildung in Deutschland: (1) Wie können wir die Reflexion subjektiver Erfahrungen mit dem Lernen über politische und sozio-ökonomische Entwicklungen in ihrer Bedeutung für personale Handlungsfähigkeit besser verbinden? (2) Welche Theorien zeigen, warum rassistisch denkende Menschen Interesse daran entwickeln könnten, ihr Denken und Handeln in Frage zu stellen? (3) Bedeutet die Verschiebung des Ziels staatlicher Programme von der ‚Rechtsextremismus-Bekämpfung’ zur ‚Propagierung von Diversity’ einen Gewinn für politische Bildung? Teil 1 gibt auf der Basis von vier Expert/inn/en- Interviews Antworten auf die erste Frage. Wesentlich ist, politische Bildung vom Subjektstandpunkt der Lernenden und nicht allein vom Standpunkt der Lehrenden zu entwickeln. Zweitens müsste stärker an lebensweltliche Erfahrungen von Teilnehmenden angeknüpft werden anstatt vorwiegend mit Simulationserfahrungen zu arbeiten. Drittens überschreiten Methoden, die zur Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse gedacht sind die Ebene subjektiver Erfahrung tatsächlich nicht, so dass hier Entwicklungsbedarf besteht. Schließlich müsste die Theorieaneignung der Professionellen auch gegen den Zwang zur Lieferung geschmeidiger Bildungsdienstleistungen unterstützt werden. Teil 2 verbindet die Relektüre quantitativ-statistischer und qualitativer Untersuchungen über Rassismus/Rechtsextremismus mit der Entwicklung theoretischer Antworten auf die zweite Frage. Ich zeige etwa, dass der Term ‘Einstellung’ seinen ursprünglichen begrifflichen Gehalt weitgehend eingebüßt hat und ‚Einstellungsstudien’ auch deshalb nur begrenzte Antworten auf die zweite Frage geben können. Daher werden Befunde wie der Zusammenhang zwischen politischer sowie sozio-ökonomischer Deprivation und ‚rechten Einstellungen’ in ihrer gesellschaftlichen und subjektiven Bedeutung anschließend ausgeführt. Die resultierenden Umrisse einer Theorie der Ethnisierung und Meritokratisierung der sozialen Frage verorten ‚rechte’ Phänomene im neoliberalen Projekts und versuchen zu zeigen, inwieweit Handeln in ideologischen Formen subjektiv widersprüchlich sein kann. So werden Gründe sichtbar, aus denen Teilnehmende eigenes rassistisches Denken infrage stellen könnten. In Teil 3 wird gezeigt, dass die Programme unter Kanzler Kohl politischer Bildung kaum eine Bedeutung zumaßen, während unter der Schröder- Regierung praktische Innovationen und fruchtbare theoretische Debatten ermöglicht wurden. Die Konjunktur von Diversity als neuem Leitbild ist ambivalent. Einerseits wird Gesellschaftskritik desartikuliert und nur wenige unter ‚Diversity-Pädagogik’ firmierende Ideen sind wirklich neu. Andererseits können Vorstellung wie die, gesellschaftliche Verhältnisse in ihrer Verschränkung (‘Intersektionalität’) zu betrachten, produktiv sein und helfen, Bündnisse in Differenzen zu schmieden, um individuelle wie kollektive Handlungsfähigkeit zu entfalten.
This dissertation addresses three fundamental challenges of contemporary critical civic education in Germany. (1) How can we improve reflecting subjective experiences and offering insights into political and socio-economic dynamics that affect personal agency? (2) Which theories render answers to the question, how participants who share racist views could take an interest in questioning their views? (3) Does the shift in state-programs from ‘fighting right-wing-extremism’ to ‘promoting diversity’ improve the quality of civic education? Part 1 renders answers to the first question on the basis of four expert interviews. Firstly, it is essential to develop civic education from the standpoint of the student rather than from the standpoint of the teacher. Secondly, Lebenswelt-experiences should be addressed more instead of relying on experiences made in pedagogical simulations. Thirdly it appeared that methods designed for analyzing societal structures do in fact not transcend the level of subjective experiences and subsequently need to be developed. Finally, the professionals need support in expanding their theoretical knowledge instead of present themselves as perfect suppliers of pedagogical services. Part 2 combines a re-reading of quantitative and qualitative research on racism and right-wing populism with the development of theory with respect to the second question. I argue for instance that the term ‘attitude’ has lost its original conceptual value and that therefore the contribution of attitude research to this question are limited. Consequently the correlation between political and socio-economic deprivation and right-wing attitudes is unravelled in its objective and subjective meaning. The resulting theoretical framework on ethnisation and meritocratisation locates right-wing-extremist and racist phenomena in the history of the neoliberal project and attempts to make visible how personal agency in racist forms may collide with intentions and interests of the performing subject. Herein lie reasons for ‘racist’ participants to question their own views. Part 3 demonstrates that the Kohl- administrations’ program did not leave much space for civic education at all, while the Schröder-government gave way for practical innovations and rich conceptual debates. The rise of ‘diversity’ as a new Leitmotiv is ambivalent. On one hand critique of relations of domination is inhibited and many ideas labelled as an element of ‘diversity-education’ are all but new. Nevertheless, notions such as taking into account interlacing dimensions of domination may enhance civic education, helping to forge alliances across differences, which could expand individual and collective agency.