Ist vom fremdgesteuerten bzw. vom selbstgesteuerten Lernen die Rede, so wird Lernen als ein Steuerungsprozess angenommen, ohne die Fragen zu beantworten, wie die Steuerung abläuft und ob das Lernen überhaupt als ein Steuerungsprozess betrachtet werden kann. Dank neuer Ergebnisse der Gehirnforschung sind wir heute so weit, die Fragen neurowissenschaftlich zu diskutieren. Zur Beantwortung der Fragen fasst diese Arbeit zuerst verschiedene Theorien der Fremdsteuerung (Instruktivismus) und der Selbststeuerung (Konstruktivismus) zusammen und analysiert ihre Annahmen und Begründungsstruktur. Anhand von neurowissenschaftlichen Analysen von Wahrnehmung, Verhalten, Handeln, Wissen und Lernen wird dann die Frage erörtert, ob menschliche Aktivität grundsätzlich und deshalb auch die dem Lernen zugrundegelegte Gehirnaktivität als ein Steuerungsprozess zu definieren ist. Auf dieser neurowissenschaftlichen Diskussion aufbauend wird ein Konstruktionsmodell des Lernens entwickelt und es werden didaktische Konsequenzen aus ihm abgeleitet. Das Modell wurde in einem Projektunterricht einer Berliner Grundschule erprobt. Die Forschungsfrage, ob und inwiefern Lernen als ein Steuerungsprozess betrachtet werden kann, wird vor dem Hintergrund der praktischen Erprobung noch einmal aufgegriffen und anhand eines Projektberichts und weiterer erhobener Daten ? wie Beobachtung der Schülertätigkeit und Selbstbeurteilungen der Schüler mit Bezug auf ihre eigene Arbeit ? diskutiert. Die Analyse der Daten zeigt, dass selbstgesteuertes Lernen der Schüler in Situationen eingebettet ist, die zu Interaktionen mit Mitschülern und Lehrern auffordern: Die Lernsituation ? das Lernziel, die Lernmedien, Mitschüler und Lehrer eingeschlossen ? bestimmt auch bei einem selbstgesteuerten Lernen den Lernprozess. Die Analyse zeigt weiterhin, dass das Konzept des selbstgesteuerten Lernens eine pädagogische Zielvorstellung von mehr Eigeninitiative durch den Lernenden selbst repräsentiert, nicht aber dem tatsächlichen Lernprozess des schulischen Lernens entspricht, wie unsere Prozessanalyse der Schülerentscheidung zeigt.