Netzwerke der Zugehörigkeit knüpfen. Konzeptionen nachbarschaftlichen Lebens in ausgewählten Stadtvierteln in Khartum und Omdurman Diese Arbeit befasst sich mit Konzeptionen von Nachbarschaft in städtischen Gebieten in Khartum und Omdurman, Sudan. Das gemeinschaftsbildende Potenzial in diesen Vierteln, ein starker Glaube an gemeinsames Handeln und die Anerkennung von und Erfahrungen mit Unterschiedlichkeit durch die Menschen, wurden während der Feldforschung zu zentralen Themen. Ziel der empirischen Studie war es, das eigene Verständnis und die Vorstellungen der Menschen von „Gemeinsamkeit" und „Zugehörigkeit" zu untersuchen. Zu diesem Zweck wurden sowohl gesellschaftliche Normen, historische Bezüge sowie kulturell-religiöse Bindungen erfasst. Aus der Vielfalt der Perspektiven ergibt sich ein Konzept der sudanesischen Nachbarschaft. Meine theoretische Auseinandersetzung mit den Begriffen Zugehörigkeit, Lokalität, Raum und Nachbarschaft stützt sich auf die Migrations-, Stadtforschungs- und Erinnerungsforschung. Die Grundannahme ist, dass sowohl der Ort als auch die sozialen Beziehungen für eine Nachbarschaft gleichermaßen wichtig sind. Die auf der Grundlage der Grounded Theory gewonnenen empirischen Ergebnisse zeigen, dass Zugehörigkeit durch soziale Prozesse entsteht, die durch lokale Praktiken gestärkt und stabilisiert werden: Gegenseitige Hilfe, Teilen, Respekt, Gleichheit und Gegenseitigkeit sind in den untersuchten Nachbarschaften besonders relevante Normen. Diese nachbarschaftlichen Praktiken haben eine starke integrative Wirkung auf dieses sozioökonomische Netzwerk mit ausgeprägten traditionellen Strukturen. Die Arbeit dokumentiert eine Reihe solcher Praktiken und beschreibt ihre Wirkung auf das Individuum. In „Sandugs" erhalten Frauen Zugang zu Kapital und damit zu unabhängiger wirtschaftlicher Tätigkeit, während gleichzeitig ein Raum für gegenseitige Beteiligung und Einflussnahme geschaffen wird. Die Prozesse der „Judiya" ermöglichen es, Familien- und Nachbarschaftskonflikte konstruktiv und schlichtend zu bearbeiten, wobei die Unabhängigkeit der Akteure betont wird. Beides ist Teil einer Identitätskonstruktion, in der Lokalität und Zugehörigkeit auf der Grundlage von Konzepten des „Sudaneseness" ausgehandelt werden. Die Menschen stellen ihr Handeln, um Stabilität und Schutz für ihre Nachbarschaft zu schaffen, in den Kontext kultureller Ideale, sie verstehen und beschreiben ihr nachbarschaftliches Verhalten als inhärent „sudanesisch". Diese traditionellen Konzeptionen von gegenseitiger nachbarschaftlicher Unterstützung und Zusammensein bilden eine starke lokale Struktur in den Nachbarschaften. Eine andere lokale Struktur ergibt sich durch die „lokalen Komitees". Sie stellen die untere Verwaltungsebene des Staates dar. Seit 2011 versuchte das Regime von Al Bashir, seine Macht und die Kontrolle über die politischen Unruhen zu erhalten, indem es die Überwachungsmaßnahmen massiv ausbaute. Dazu bediente es sich auch dieser "lokalen Ausschüsse". Seit den Aufständen von 2013 wurden jedoch parallel klandestine „Widerstandskomitees" in den Stadtvierteln gebildet, um diejenigen zu schützen, die an den Protesten teilnahmen. In den folgenden Jahren übernahmen diese Widerstandskomitees immer mehr Versorgungs- und Betreuungsaufgaben. Ihr Motto „Wir passen auf, wir kümmern uns, wir leisten Widerstand" (We watch, we care, we resist) spiegelte den sudanesischen Nachbarschaftsgeist wider, den ich während meiner zweijährigen Feldforschung von 2014-2016 beobachtet und dokumentiert habe. Während der Revolution 2019 spielten diese Nachbarschaftsnetzwerke erneut eine wichtige Rolle bei der Unterstützung des zivilen Widerstands. Im Jahr 2023 gaben sie den Anstoß zur „Revolutionären Charta zur Errichtung der Volksmacht". Schlüsselwörter: Nachbarschaft, Zugehörigkeit, Lokalität, Widerstand, Sudaneseness
Knitting Networks of Belonging - Conceptualising neighbourhood life in selected quarters of Khartoum and Omdurman This thesis focuses on conceptions of neighbourhood in urban areas in Khartoum and Omdurman, Sudan. The community-building potential in these neighbourhoods, a strong belief in joint action and people’s recognition of and experiences with diversity emerged as central themes during the field research. The aim of the empirical study was to examine people’s own understanding and imaginations of ‘togetherness’ and ‘belonging.’ Both social norms, historical references and cultural-religious ties were recorded to this end. From the diversity of perspectives emerges a concept of the Sudanese neighbourhood. My theoretical discussion of the concepts of belonging, locality, space and neighbourhood draws on migration and urban research and memory studies. The guiding assumption is that both place and social relationships are equally important for a neighbourhood. The empirical results obtained on the basis of grounded theory show that belonging arises through social processes which are strengthened and stabilised by local practices: mutual help, sharing, respect, equality and reciprocity are particularly relevant norms in the studied neighbourhoods. These neighbourly practices have a strong integrative effect on this socio-economic network with distinctive traditional structures. The thesis documents a number of such practices and describes their effect on the individual. In ‘sandugs’, women gain access to capital and thus to independent economic activity, while at the same time creating a space for mutual participation and influence. The processes of ‘judiya’ allow family and neighbourhood conflicts to be dealt with constructively and in a conciliatory manner, emphasising the independence of the actors. Both are part of an identity construction in which locality and belonging are negotiated based on concepts of ‘Sudanese-ness’. People place their actions to bring stability and protection to their neighbourhood within the context of cultural ideals, they understand and describe their neighbourly behaviour as inherently ‘Sudanese’. These traditional concepts of mutual neighbourly support and togetherness establish strong structures in neighbourhoods. Another local structure result through the ‘local comittees’ representing the lower administrative level of the State. Since 2011, Al Bashir’s regime attempted to maintain power and control over political unrest by massively increasing surveillance activities. For this, it also used these ‘local committees’. However, since the uprisings of 2013, parallel clandestine ‘resistance committees’ were formed in neighbourhoods to protect those, who took part in protests. In the following years, these resistance committees took on a growing number of supply and care functions. Their motto, ‘we watch, we care, we resist,’ reflected the Sudanese neighbourhood spirit, which I observed and documented during the two years of my field research from 2014–2016. During the 2019 revolution these neighbourhood networks again played an important role in supporting civil resistance. In 2023, they gave rise to the ‘Revolutionary Charter for Establishing People's Power’. Key words: neighbourhood, belonging, locality, resistance, Sudaneseness