Wann und wie ist eine Glasfassade durchsichtig? Kann auch eine Betonfassade transparent sein? Führen Düfte zu einer Transparenz in der Architektur? Die vorliegende Dissertation greift diese und weitere Fragen auf und entwickelt hierfür einen umfassenden konzeptionellen Rahmen, der die Transparenz über die klassische Betrachtung der gläsernen Durchsichtigkeit hinaus erfasst. Aufbauend auf der Theorie von Colin Rowe und Robert Slutzky werden die graduellen Abstufungen von Transparenz im Verhältnis zur Opazität beleuchtet. Ein zentrales Anliegen der Arbeit ist die Analyse der Transparenz in seiner Vielschichtigkeit und oft auch Janusköpfigkeit.
Die Dissertation ist in drei Teile gegliedert: Im ersten Teil werden die Transparenz-Diskurse nachgezeichnet, wobei zwischen einem architekturhistorischen und einem gesellschaftspolitischen Kontext zu unterscheiden ist. Im zweiten Teil wird das Konzept der Komplexitäten von Transparenz entwickelt: Einerseits wird Transparenz als Stilmittel in der Architektur analysiert; hierbei liegt der Fokus auf der Fassade und deren visuellen Eigenschaften. Transparenz kann in der zeitgenössischen Architektur - die sich über ihr Gegenteil, die Opazität, definiert - innerhalb dieses Kontinuums (1) durchschauen und durchdringen, (2) überlagern und vervielfältigen, (3) reflektieren und projizieren, (4) funkeln und glänzen, (5) spiegeln und verzerren, (6) verschleiern und verführen sowie (7) überblenden und verdunkeln. Die Erläuterung dieser sieben Komplexitäten erfolgt anhand von Gebäuden, die weltweit ab dem Jahr 2000 von renommierten Architekten – darunter Herzog & de Meuron, Jean Nouvel oder Sou Fujimoto und Toyo Ito – sowie weniger bekannten Architekten errichtet wurden.
Im weiteren Verlauf wird der Transparenz-Begriff auf die Raumerfahrung und die menschlichen Sinne übertragen und in einen gesellschaftspolitischen Kontext eingeordnet. In diesem Zusammenhang wird untersucht, wie Transparenz in der zeitgenössischen Architektur durch Wahrnehmungskanäle wie akustische Eindrücke, Geruch, Geschmack und Erlebnis oder Berührung geschaffen wird. Hierzu zählen Strategien der Kontrolle und Sichtbarmachung, der Erreichbarkeit und Niedrigschwelligkeit, der Grenzüberschreitung sowie der Vernetzung.
Im dritten Teil wird das Konzept der Komplexitäten von Transparenz unter Beweis gestellt. Zur Analyse werden Imagebauten der deutschen Automobilindustrie herangezogen, die innerhalb eines Jahrzehnts (2001–2009) entstanden sind. Konkret handelt es sich um das museum mobile der AUDI AG in Ingolstadt, die BMW-Welt in München, das Mercedes-Benz-Museum und das Porsche-Museum in Stuttgart sowie die Gläserne Manufaktur der Volkswagen AG in Dresden.
Die vorliegende Dissertation gelangt zu dem Schluss, dass erstens eine starke Betonung von Transparenz paradox wirken, ja, sogar das Gegenteil hervorrufen kann. Aus dieser Erkenntnis folgt die Dekonstruktion des klassischen Verständnisses von Transparenz: In der zeitgenössischen Architektur sollte Transparenz keineswegs auf die bloße Durchsichtigkeit oder Offenheit reduziert werden. Weiter wird zweitens in der Dissertation dargelegt, dass Transparenz nicht nur durch Sichtbarkeit definiert werden kann, sondern vielmehr als ein dynamisches Konzept verstanden werden muss, das je nach Perspektive variiert. Zudem wird Transparenz drittens als ein Konzept verstanden, das auch in verschiedenen Sinneserfahrungen und Wahrnehmungsstrategien zum Ausdruck kommt.
Die vorliegende Arbeit trägt somit zu einem erweiterten Verständnis von Transparenz in der Architektur bei und ermöglicht erstmals eine differenzierte und komplexe Betrachtung der verkürzten Gleichsetzung „Transparenz heisst Durchsichtigkeit“, die vorherrschend war.