Aktuelle Ansätze im Gesundheitssystem gehen dahin, die Eigenverantwortung der Patienten in den Vordergrund zu stellen und ihre Mitwirkung an gesundheitsbezoge-nen Entscheidungen gezielt zu fördern. Das wissenschaftliche Interesse daran ist viel-fältig, doch es ist, genau wie die praktischen Maßnahmen zur Förderung der Patien-tensouveränität limitiert: Es ist vorwiegend jenen vorbehalten, die an einzelnen, spezi-fischen Erkrankungen leiden, sich selbständig informieren und den Konflikt mit Pro-fessionellen im Gesundheitssystem nicht scheuen. Selten wird der Blick auf die Ge-samtheit der gesundheitsbezogenen Abläufe und erschwerende Bedingungen wie Hochaltrigkeit, Multimorbidität oder stationäre Wohnumgebung gerichtet. Das Ziel dieser Arbeit ist demnach, ein Verständnis von Patientensouveränität zu gewinnen, das den Vorstellungen und dem Kontext hochaltriger, mehrfach erkrankter Pflege- heimbewohner entspricht. Zu diesem Zweck wurden in einem explorativen, vergleichenden Ansatz zunächst qualitative episodische Interviews mit über 80-jährigen, mehrfach erkrankten, kogni-tiv unbeeinträchtigten Pflegeheimbewohnern geführt (n=13). Dabei wurden deren subjektive Erfahrungen, Wünsche und Vorstellungen bei gesundheitsbezogenen Er-eignissen erfragt. Anschließend wurden analog dazu alle weiteren Akteure interviewt, die in deren Berichten von Relevanz waren: Pflegekräfte (n=8), Ärzte (n=14) und private Bezugspersonen (n=9). Die Auswertung nach der Methode der Grounded Theory umfasste Einzelinterviews, Gruppenanalysen und Fallstudien. Die Ergebnisse zeigen, dass die befragten Pflegeheimbewohner in hohem Maße an Information zu ihrer Gesundheit interessiert sind. In der Beziehung zu ihren Pflege-kräften und Ärzten kann dieser Aspekt nicht für alle Beteiligten zufriedenstellend berücksichtigt werden. Patientensouveränität ist ein dynamischer Interaktionsprozess, der im Spannungsfeld ärztlicher Fürsorge und der Eigenverantwortung der Patienten geschieht. Sie wird nicht nur durch Bedingungen des Gesundheitssystems wie Perso-nalmangel und Zeitdruck erschwert, sondern vielmehr durch interindividuelle Miss-verständnisse und intraindividuelle Wertkonflikte. Diesen Dilemmata patientenge-recht zu begegnen erfordert eine offene und wiederholte Kommunikation über die (sich ändernden) Präferenzen der Patienten, die von ungeäußerten Vorannahmen und statischen Gedanken frei sein sollte. So wird sensibel, in kleinen Schritten und unter Einbeziehung aller Beteiligten Patientensouveränität auch für diejenigen denkbar und umsetzbar, die am erheblichsten auf Leistungen des Gesundheitssystems angewiesen sind.
Patients’ self-determination is a rising issue in many health care systems. Different approaches are made to enhance patients’ personal responsibility and their decision-making authority, including manifold studies about patients’ wishes and needs. Increasing emphasis is placed on patients’ empowerment instead of their predominantly passive compliance albeit these attempts typically concentrate on middle-aged patients suffering from one specific single disease. The conditions of very old patients in nursing homes, who commonly suffer from multiple, partly chronic diseases, have not attained enough attention so far. The aim of this study is to reach an understanding of patients’ self-determination that is concordant with the elderly’s views and surroundings. For this purpose, 13 nursing home residents were interviewed initially about their perceptions, experiences and personal appraisals of health care. Analogously, qualitative episodic interviews were performed with other actors that occurred in the patients’ reports: nursing home staff (n=8), doctors (n=14) and relatives (n=9). In-depth analyses according to Grounded Theory Method referred to single interviews as well as to groups and case studies. The results show that very aged, multiply affected nursing home residents are no less interested in health information than younger patients. Though their need for being informed should be met in a more patient- orientated way, i.e. more redundantly and more individually. Problems emerge through conditions of the health care system such as staff shortage and time pressure but even more through inter-individual misunderstandings and intra- individual conflicts. Patients’ self-determination can only be achieved within the interaction of all persons concerned and within an open communication about patients’ preferences. This is a dynamic procedure that should be freed of false assumptions and static attempts. The benefits of patients’ involvement are well known – so it should be promoted sensitively and empathetically for the individuals who have to rely on health care systems most as well.