Als Enzephalitis bezeichnet man die Entzündung des Hirngewebes. Jedes Jahr werden etwa 1,5-20/100.000 Einwohner mit Verdacht auf Enzephalitis hospitalisiert. In den meisten Fällen kann keine Ursache identifiziert werden. Mehr als 100 verschiedene Viren können eine Enzephalitis verursachen. Die große Anzahl und Vielfalt der möglichen Erreger erschweren die Diagnostik. Die Routinediagnostik konzentriert sich daher in der Regel auf die häufigsten Erreger und wird gegebenenfalls iterativ erweitert, wenn die initialen Tests keinen Erreger nachweisen. Das (Wieder-)Auftauchen neuer und seltener Viren wird wahrscheinlich durch Faktoren wie Klimawandel, Entwaldung, Globalisierung und Urbanisierung weiter zunehmen und ist in den letzten Jahren durch die Zika-Virus-Ausbrüche in Lateinamerika, das Auftreten autochthoner West-Nil-Virus (WNV) Infektionen in Deutschland und die COVID-19-Pandemie eindrücklich belegt worden. Daher ist es wichtig, eine breite Diagnostik zur schnellen und zuverlässigen Identifizierung von Viren zu entwickeln. Diese muss in der Lage sein, bekannte Krankheitserreger, aber auch unbekannte oder ungewöhnliche, zum Beispiel reiseassoziierte Erreger, nachzuweisen. Das initiale Ziel dieser Arbeit war daher die Entwicklung einer Hochdurchsatz-Sequenziermethode mit möglichst kurzer Zeitspanne von der Probenentnahme bis zur Erreger-Identifikation. Dies ist von entscheidender Bedeutung für eine schnelle Diagnose, Behandlung und somit für das Überleben der Patienten. Mit dem etablierten Arbeitsablauf können die Ergebnisse innerhalb von drei Tagen nach dem Probeneingang bereitgestellt werden. Kritisch ist dabei die Erkennung klinisch relevanter Nachweise, die Abgrenzung von möglichen Virusnachweisen ohne ursächliche Bedeutung für die Enzephalitis sowie das Erfassen von Kontaminationen. Die hier etablierte Methode wurde bei der retrospektiven Untersuchung von 1676 Liquorproben von Enzephalitis-/Meningitis-Patienten ungeklärter Ursache angewendet und in der Routinediagnostik angewendet. Bei den untersuchten Personen wurden bereits bekannte Infektionen festgestellt, aber auch zahlreiche seltene, zuvor nicht diagnostizierte Erreger. Dazu gehören ein humanes Cosavirus bei einem Kind mit akuter schlaffer Lähmung und ein Dobrava-Belgrad-Hantavirus im Liquor eines Patienten mit Enzephalitis. Besonders erwähnenswert sind der mehrfache Nachweis des Hepatitis-E-Virus (HEV), die Identifikation zuvor unbekannter WNV-Infektionen und der Nachweis von humanen Pegiviren (HPgV) im zentralen Nervensystem (ZNS) bei Patienten mit Enzephalitis. Die Etablierung von Methoden zur Vollgenomsequenzierung und der mehrfache Nachweis von HEV und HPgV in ZNS-Proben ermöglichten eine vertiefende Untersuchung dieser Erreger. So wurde die Virus-Diversität in einer chronischen HEV-Infektion mit neurologischen Symptomen untersucht. Dabei konnten distinkte virale Populationen in verschiedenen Kompartimenten festgestellt werden. Diese zeigten eine unterschiedliche Komposition von Mutationen, die zuvor im Zusammenhang mit einer Ribavirin-Resistenz beschrieben wurden. Ausgelöst durch WNV-Nachweise in der retrospektiven Kohorte wurde ein weiteres Ziel dieser Dissertation definiert: Die Untersuchung der Rolle des WNV bei Berliner Enzephalitis-Fällen. Nach dem Auftreten erster WNV-Fälle bei Vögeln in Deutschland war es wichtig zu verstehen, ob es sich bei humanen Fällen um reiseassoziierte oder lokal erworbene Infektionen handelt. Zu diesem Zweck wurden verschiedene Strategien für die Vollgenomsequenzierung entwickelt. In dieser Dissertation wurden insgesamt 13 menschliche WNV-Fälle untersucht. Eine phylogenetische Studie zeigte eine enge Verwandtschaft zwischen den WNV-Sequenzen von Menschen, Vögeln sowie Stechmücken. Dies deutet darauf hin, dass sich in Berlin eine isolierte und stabile WNV-Population etabliert hat. Die serologische Untersuchung von 105 Freiwilligen aus einer Kleingartenkolonie führte zur Entdeckung einer weiteren möglichen WNV-Infektion. Da WNV nur in etwa 1% der Fälle neurologische Symptome hervorruft, ist auf Grundlage unserer Nachweise im Liquor davon auszugehen, dass es eine hohe Zahl nicht diagnostizierter Infektionen in Berlin gibt. Ausgelöst durch den häufigen Nachweis von HPgV im Liquor stellte sich die Frage nach deren Bedeutung als Auslöser einer Enzephalitis. Humane Pegiviren wurden bisher nicht mit einer Erkrankung in Verbindung gebracht. Sie wurden aber in den letzten Jahren vereinzelt in Liquorproben von Enzephalitis-Patienten nachgewiesen. Analysen der Virusdiversität zeigten das Vorhandensein von Viruspopulationen in verschiedenen Kompartimenten und somit eine unabhängige Replikation im ZNS. Intensive Untersuchungen zeigten einen anhaltenden Nachweis von HPgV-RNA im Serum und Liquor über teilweise mehr als einem Jahr und führten zur Klassifizierung des Bildes einer HPgV-Enzephalitis. Die Sensitivität der etablierten Hochdurchsatz-Sequenziermethode ist fast mit der einer quantitativen Polymerase-Kettenreaktion vergleichbar. Aufgrund der zeitnahen Ergebnisse des nicht-zielgerichteten Arbeitsablaufs könnte der Einsatz dieser Methodik die Diagnostik in Zukunft erheblich erleichtern und weitere Daten zum Tropismus verschiedener Erreger bereitstellen. Eine verbleibende Herausforderung bleibt aber die Frage der Qualitätssicherung einer solchen breiten Diagnostik. Es stellt sich besonders die Frage nach der klinischen Signifikanz bei der Detektion einzelner Viren.