Einleitung: Kognitiv-motorische Interferenz (CMI) erklärt Veränderungen der Leistung kognitiver oder motorischer Aufgaben, wenn diese gleichzeitig ausgeführt werden, im Vergleich zur alleinigen Ausführung. Sowohl bei gesunden Probandinnen und Probanden (HC) als auch bei Patientinnen und Patienten mit MS (PmMS) konnte eine CMI nachgewiesen werden kann, jedoch ist die Datenlage begrenzt und widersprüchlich. Das erschwert die genaue Bewertung des Einflusses von motorischen und kognitiven Beeinträchtigungen auf die CMI. Zielsetzung: Ziel der Studie war es, kognitive und motorische Leistungsveränderungen durch CMI bei PmMS und HC nachzuweisen, zwischen den Gruppen zu vergleichen und explorativ den Einfluss des motorischen und kognitiven Funktionsniveaus auf CMI zu analysieren. Methoden: Die analysierten Daten stammen aus einer Interventionsstudie und vier Beobachtungsstudien, die Einschlusskriterien variierten je nach Studie. Die Daten wurden nach vordefinierten Kriterien ausgewählt und es wurde eine systematische Qualitätskontrolle durchgeführt. Insgesamt wurden Daten von 113 PmMS und 42 HC analysiert. Erhoben wurden demografische Daten sowie Parameter zur Darstellung des motorischen und kognitiven Funktionsniveaus. In dem Versuchsaufbau wurde die motorische und kognitive Leistung im Stehen sowie nach Hinzunahme einer kognitiven, motorischen oder kombiniert kognitiv-motorischen Herausforderung erhoben. Im Anschluss wurden Veränderungen zwischen den jeweiligen Bedingungen berechnet und als Ratio zur Ausgangsbedingung ausgedrückt. Ergebnisse: Es zeigte sich bei HC und PmMS eine gleichwertige Veränderung der motorischen und kognitiven Leistung durch eine kognitive oder kombiniert kognitiv-motorische Herausforderung. Eine stärkere Abnahme der kognitiven Leistung korrelierte bei PmMS mit einem geringeren kognitiven und motorischen Funktionsniveau. Eine Zunahme im Körperschwanken durch eine kognitive oder kombiniert kognitiv-motorische Herausforderung trat vor allem bei PmMS und HC mit besserem kognitivem und motorischem Funktionsniveau auf. Eine Kombination beider Aufgaben führte insgesamt zu keiner weiteren Veränderung der motorischen Leistung bei gleichzeitiger Abnahme der kognitiven Leistung. Diskussion: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Einfluss der CMI kein krankheitsspezifischer Effekt ist, sondern vielmehr Ausdruck von individuell unterschiedlichen Adaptationsstrategien abhängig von dem jeweiligen motorischen und kognitiven Funktionsniveau ist. Es zeigte sich eine Priorisierung der motorischen Aufgabe bei PmMS mit niedrigerem kognitivem und motorischem Funktionsniveau, wahrscheinlich zur Vermeidung von Sturzereignissen. Dagegen erfolgte bei PmMS mit besserem kognitivem und motorischem Funktionsniveau eine Priorisierung der kognitiven Aufgabe zu Lasten der aktiven posturalen Kontrolle. Weitere Forschung könnte dazu beitragen, Subgruppen von Patientinnen und Patienten mit erhöhter Sturzneigung zu identifizieren.
Introduction: Cognitive-motor interference (CMI) explains changes in the performance of cognitive or motor tasks when they are executed simultaneously compared to their individual execution. CMI has been observed in both healthy individuals (HC) and patients with multiple sclerosis (PmMS), but the available data is limited and contradictory, making it challenging to accurately assess the influence of motor and cognitive impairments on CMI. Objective: The aim of this study was to illustrate cognitive and motor performance changes due to CMI in PmMS and HC, compare them between groups and exploratively analyse the influence of motor and cognitive functioning on CMI. Methods: The analysed data derived from one intervention study and four observational studies, with inclusion criteria varying across the studies. The data were selected based on predefined criteria and a systematic quality control was conducted. A total of 113 PmMS and 42 HC were included in the analysis. Demographic data and parameters representing motor and cognitive functioning were collected. The experimental setup involved assessing motor and cognitive performance in a standing position with the addition of a cognitive, motor, or combined cognitive-motor challenge. Subsequently, changes between the respective conditions were calculated and expressed as a ratio to the baseline condition. Results: Comparable changes in motor and cognitive performance due to cognitive or combined cognitive-motor challenges were observed in both HC and PmMS. A significant reduction in cognitive performance correlated with lower levels of cognitive and motor functioning in PmMS. An increase in body sway due to a cognitive or combined cognitive-motor challenge was primarily observed in PmMS and HC with better cognitive and motor functioning. Combining both tasks did not result in further changes in motor performance overall but led to a decrease in cognitive performance. Discussion: The results suggest that the influence of CMI is not a disease-specific effect but rather reflects individually different adaptation strategies depending on the specific motor and cognitive functioning levels. PmMS with lower cognitive and motor functioning prioritized the motor task, likely to avoid falling events. In contrast, PmMS with better cognitive and motor functioning prioritized the cognitive task at the expense of active postural control. Further research could help identify subgroups of patients with an increased risk of falls.