Beim Hausrind werden nach Infektion mit dem Bovinen Virusdiarrhoe Virus (BVDV) verschiedenste Verlaufsformen beobachtet, von subklinischen Infektionen bis hin zu akuten Krankheitsverläufe mit Todesfolge. Im Mittelpunkt steht jedoch die Infektion empfänglicher, tragender Rinder, die zur Fruchtresorption, zum Abort, zu kongenitalen Defekten oder zur Geburt persistent infizierter (PI) Tiere führt. Kernproblem der persistierenden Infektion ist, dass die virämischen Tiere klinisch zunächst meist gesund erscheinen, den Erreger aber lebenslang und in großen Mengen ausscheiden. Nach Superinfektion von PI Tieren mit dem zytopathogenen (zp) Biotyp des BVDV kann die sporadisch zu beobachtende, fatale Mucosal Disease (MD) ausgelöst werden. Der serologische Nachweis sowie Isolierung von BVDV gelang bei einer Vielzahlunterschiedlicher Arten von freilebenden wie in menschlicher Obhut gehaltenen exotischen Wiederkäuern. Hinsichtlich der MD gibt es zwar einige klinische Beschreibungen, jedoch keine bestätigten Nachweise. Die Fragestellung des experimentellen Teils der vorliegenden Arbeit war deshalb, ob ein persistent mit nicht zytopathogenem (nzp) BVDV infizierter Kleinkantschil nach Superinfektion mit einem zp BVDV an MD erkranken würde. Bei dem Versuchstier handelte es sich um einen vierjährigen, männlichen Kleinkantschil aus der Zuchtgruppe des Artis Royal Zoos, Amsterdam, in der in 2002/2003 acht von elf Individuen als PI diagnostiziert wurden; alle PI Tiere waren Nachkommen desselben Muttertieres. Das persistierende Virus wurde als ein BVDV-1f charakterisiert. Abgesehen von der Beschreibung persistierender Infektion in einer freilebenden Elenantilope (Tautragus oryx), handelte es sich zu diesem Zeitpunkt um den ersten Nachweis persistierender Infektion und vertikaler Transmission von BVDV bei einem exotischen Wiederkäuer, der die außerordentliche Gelegenheit bot, das Vorkommen der MD bei einem nicht- domestizierten Wiederkäuer experimentell zu untersuchen. Der Versuch umfasste eine mehrmals täglich stattfindende adspektorische Untersuchung sowie eine wöchentliche Inhalationsnarkose, während der der Kleinkantschil eingehend untersucht und Blut-, Nasensekret-, Speichel- und Kotproben sowie zweimalig Ejakulat gewonnen wurden. Am Tag 85 nach Beginn der Beobachtung erfolgte die experimentelle Infektion des PI Tieres mit dem aus Rehen isolierten und als BVDV-1c/1d identifizierten, zp BVDV SH9/11. Bis 125 Tage post infectionem (p.i.) konnten keine klinischen Symptome einer MD beobachtet werden. Das inokulierte zp BVDV wurde, neben der kontinuierlichen Ausscheidung des persistierenden nzp BVDV, erstmals am Tag 29 p.i. in Leukozyten und Kot nachgewiesen. An den Tagen 70, 105, 112 sowie 125 p.i. konnte es im Speichel detektiert werden, am Tag 84 p.i. im Nasensekret. Während keine der vor experimenteller Infektion gewonnenen Blutproben neutralisierende Eigenschaften gegenüber den im Virusneutralisationstest eingesetzten BVDV-Stämmen besaß, erwiesen sich die an denTagen 35 und 42 p.i. entnommenen Proben als positiv gegenüber dem zur experimentellen Infektion eingesetzten Stamm SH9/11. Aufgrund einer hochgradigen, abszedierenden Periodontitis und Ostitis musste der Kleinkantschil 125 Tage p.i. euthanasiert werden. Auch während der postmortalen Untersuchung wurden weder makroskopisch noch mikroskopisch Läsionen gesehen wie sie in Anlehnung an die MD bei Hausrindern charakteristisch gewesen wären. Mittels spezifischer RT-PCR konnte die RNA des nzp BVDV in allen untersuchten Organen des Respirations-, Verdauungs- und Urogenitaltraktes, des Endokriniums, des ZNS, in der Haut, lymphatischen Organen, Muskulatur sowie Strukturen des Auges detektiert werden, während das inokulierte zp BVDV allein in Ohrspeicheldrüse, Pansen, Labmagen, Niere sowie im Ln. cervicalis superficialis des Kleinkantschils zu finden war. Via Immunhistochemie zeigte sich, dass das Verteilungsmuster innerhalb eines Organs den Beschreibungen der BVDV-Antigenverteilung bei persistierenden Infektionen von Hausrindern entsprach. Zusammengefasst formuliert: nach Superinfektion eines PI Kleinkantschils mit einem partiell homologen zp BVDV- Isolat konnten weder klinisch noch pathomorphologisch Veränderungen einer MD beobachtet werden, jedoch kam es trotz Serokonversion auch nicht zur vollständigen Eliminierung des inokulierten zp BVDV. Somit kann die Möglichkeit eines späteren, über den Euthanasiezeitpunkt hinwegreichenden, Ausbruchs von „lateonset“ MD, wie er für das Hausrind beschrieben ist, nicht ausgeschlossen werden. Das Ausbleiben einer MD könnte jedoch auch Folge einer reduzierten Empfänglichkeit von Kleinkantschilen für BVDV sein. (Haus-) Rind und Schaf, für die MD bzw. MD-ähnliche Syndrome beschrieben sind, gehören taxonomisch zur Unterordnung der Pecora, während Kleinkantschile zu der phylogenetisch sehr alten Unterordnung der Tragulina gezählt werden. Möglicherweise bedingt eine im Vergleich zu den Bovinae oder Bovidae variierende zelluläre Disposition eine reduzierte Empfänglichkeit der Tragulidae, die persistierende Infektionen und damit den Status eines Übertragers von BVDV, ermöglicht, aber das Auftreten akuter Verlaufsformen und der MD verhindert. Weiterhin wurde untersucht, ob die kursierende BVDV- Infektion einen Einfluss auf die abnehmende Populationsgröße von Kleinkantschilen in europäischen Zoos gehabt haben könnte. Durch das Studium von Zuchtbuch und veterinärmedizinischen Archivbefunden wurden Hinweise gefunden, die dem BVDV möglicherweise eine Rolle als prädisponierender Faktor für Misch- und Koinfektionen sowie bei der vergleichsweise hohen Mortalitätsrate unter Neonaten bei Kleinkantschilen zukommen lassen. Die vorliegende Arbeit illustriert die Bedeutung, die BVDV auch bei in menschlicher Obhut gehaltenen exotischen Wiederkäuern haben kann. Auch wenn das Risiko einer direkten Infektion anderer Paarhufer durch Kleinkantschile sehr gering ist, ermöglicht die Infrastruktur vieler Zoos doch eine indirekte Verschleppung des BVDV, die zur Infektion anderer empfänglicher Spezies führen könnte. Es empfiehlt sich daher, innerhalb eines Zoos auf eine strikte Hygiene zu achten und alle Neuzugänge, die potenziell für BVDV empfänglich sind, im Rahmen der Quarantäne auch einer Screeninguntersuchung auf BVDV zu unterziehen.
Infections of cattle with Bovine Viral Diarrhea Virus (BVDV) can result in a wide spectrum of clinical manifestations, from subclinical infections to fatal disease. Infection of susceptible pregnant cattle can result in early embryonic death, abortion, congenital defects or birth of a persistently infected (PI) calf. An initially normal clinical appearance associated with lifelong shedding of large amounts of virus particles is the hallmark of PI animals. When superinfected with a cytopathogenic (cp) strain of BVDV, PI cattle will succumb to Mucosal Disease (MD). Evidence for BVDV infections in free-ranging or captive wild ruminants is shown by multiple serologic surveys and virus isolations. Disease entities that resemble MD in cattle have been described in different ruminant species, but they all lack virologic confirmation. Therefore, the major objective of the present study was to find out whether a PI exotic ruminant, a 4-yearold, male Lesser Mousedeer (Tragulus spp.) would develop clinical signs of MD following experimental superinfection with a cp strain of BVDV. The experimental animal was born in a collection of eleven individuals at Artis Royal Zoo, Amsterdam, where in 2002/3003, eight of these clinically healthy mousedeer were found to be PI. All BVDV positive animals were born to the same dam or to her offspring, the pestivirus isolated was closely related to BVDV-1f. Apart from a single PI free-living eland (Taurotragus oryx), this was the first description of persistent infection and vertical transmission in a non-domestic ruminant species at that time. The experimental schedule included daily clinical observations and weekly samplings of blood, nasal swabs, saliva and faeces under general anaesthesia. After an observational period of eighty-five days the PI animal was inoculated intranasally with 105.5 TCID50/ml of the cp BVDV strain SH9/11. SH9/11 was formerly isolated from roe deer (Capreolus capreolus), classified as a BVDV- 1c/-1d and antigenically partially matching the endogenous strain. Until 125 days post superinfection no MD-like clinical symptoms were observed. However, regardless of nearly continuous shedding of the persistent ncp BVDV in body secretions and excretions, the cp BVDV strain was detected in isolated leukocytes on day 29 following superinfection, in the animal’s faeces on days 29 and 35, in its nasal fluid on day 84 and in its saliva on days 70, 105, 112 and 125 after superinfection. Ejaculates, obtained by electroejaculation on days 7 and 125 following superinfection, were found positive for ncp BVDV. Whereas all blood samples taken before challenge reacted negatively in the virus neutralisation tests, neutralising antibodies against the inoculated cp BVDV strain were detected on days 35 and 42 following superinfection. On day 125 post superinfection the study had to be aborted unforeseeingly, as the experimental animal had to be euthanised due to a severe, purulent periodontitis and osteitis. At postmortem neither macroscopic nor histologic MD-like lesions were noted. Specific RTPCR detected the ncp BVDV strain in all tested organs of respiratory and digestive tract, urogenital and central nervous system, endocrinium, skin, lymphatic tissues, skeletal muscles and eye, whereas the cp superinfecting strain was found only in the salivary gland, rumen, abomasum, kidney and superficial prescapular lymph node. Via immunohistochemistry it was shown that the pattern of BVDV antigen within a tissue was consistent with that described for PI cattle earlier. In conclusion, following superinfection with an antigenically partially matching BVDV strain the PI Lesser Mousedeer did not develop clinical signs or pathomorphologic lesions consistent with MD. Although low levels of specific antibodies against the superinfecting BVDV strain were detected, the experimental animal was not able to completely eliminate the superinfecting cp strain; thus, the occurence of a late onset MD as demonstrated for cattle, cannot be excluded. On the other hand, results may also suggest a different course of BVDV infection in Lesser Mousedeer compared to cattle, as mousedeer might exhibit a dissimilar susceptibility towards the infectious agent. Considering the taxonomy of even-toed ungulates - while cattle and sheep, where MD respectively MD-like symptoms have been reported, are grouped within the infraorder Pecora of the suborder ruminantia, Lesser Mousedeer belong to the ancient infraorder Tragulinae. Its single family Tragulidae is said to be the phylogenetically earliest diverged taxon of ruminants, which might be a reason for a dissimilar cellular disposition of this species towards BVDV, facilitating persistent infection, thus a carrier status, and serologic response but preventing any BVDV-associated disease or development of MD. A second objective of the present study was to evaluate whether the circulating BVDVinfection had an influence on the population decline of captive Lesser Mousedeer in European zoos. Analysing studbook and archived veterinary data could not exclude that BVDV may has predisposed individuals for mixed or secondary infections and may has played a role in the relatively high neonate mortality. The presented study illustrates the importance of BVDV infections in captive wild artiodactyls. It is questionable, whether mousedeer will transmit BVDV directly to other zoo artiodactyls, but often the infrastructure of a zoological garden will allow indirect transmission to other susceptible species, some of which could possibly develop overt disease. A strict policy of hygiene, quarantine and screening tests including BVDV should be applied.