Gestörte Frakturheilung stellt in ihrer Genese ein multifaktorielles, in ihren Auswirkungen und Folgen ein multidimensionales Problem in der medizinischen Versorgung dar. Nicht nur vor dem Hintergrund einer überalternden Bevölkerung und der damit einhergehenden prognostizierten Zunahme altersassoziierter Erkrankungen, Immobilität und komplizierter Heilungsverläufe nach Trauma und Fraktur ist die Erforschung der Frakturheilungsmechanismen mit dem Ziel der Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer Anwendungen von großer Wichtigkeit. Sowohl grundlagenwissenschaftlich als auch klinisch wurden in den letzten Jahren große Fortschritte diesbezüglich gemacht. Mit dem zunehmenden Bewusstsein für Knochen und Skelettsystem als endokrin agierendes Organsystem, das über seine Funktion als Stützapparat und Mineralstoffspeicher hinaus regulierenden Einfluss auf den Gesamtorganismus nimmt, ergaben sich neue Denkansätze und Fragestellungen. Im komplexen Zusammenspiel zwischen Knochen und anderen Organsystemen nehmen die Hormone Osteocalcin, Insulin und Leptin als homöostatische Vermittler eine prominente Rolle ein. Der sog. Insulin-Osteocalcin-Fast-Forward-Loop beschreibt eine sich selbst verstärkende wechselseitige Interaktion von Insulin und Osteocalcin. Diese kann durch Leptin über das sympathische Nervensystem unterbrochen werden. Sowohl nach einer Fraktur als auch nach einem Schädel-Hirn-Trauma sind im Blut erhöhte Leptinkonzentrationen zu finden; ein Schädel-Hirn-Trauma wiederum fungiert als „Sichtbarmacher“ osteoregulativer Prozesse, da es bei gleichzeitiger Fraktur aus bislang nicht abschließend geklärten Ursachen zu einer verbesserten Frakturheilung führt. Für die Untersuchung dieser komplexen homöostatischen Zusammenhänge bietet sich der Einsatz eines Trauma-Tiermodelles aus mehreren Gründen an: zum einen ermöglicht es die Untersuchung unterschiedlicher Verletzungsmuster und -kombinationen, zum anderen bietet die Wahl der Maus als Versuchstier zusätzliche genetische Varianten, sodass standardisierte Experimente mit wechselndem Fokus auf bestimmte Effektorgrößen möglich sind. Im kombinierten Trauma-Maus-Modell konnten wir erstmals die radiologisch messbaren und die biomechanischen Eigenschaften des Knochens nach Femurosteotomie unter dem Einfluss eines gleichzeitig vorliegenden Schädel-Hirn-Traumas in Wildtypmäusen reproduzierbar darstellen und stellten fest, dass das Zusammenspiel aus Schädel-Hirn-Trauma und Fraktur tatsächlich zu vermehrter Kallusbildung und verbesserten biomechanischen Eigenschaften des neugebildeten Knochens führt. In der Wiederholung des Experimentes am homöostatisch komplexeren Modell, nämlich an leptindefizienten Mäusen, konnte der positive Effekt des SHTs nicht reproduziert werden. Die leptindefizienten Tiere zeigten verglichen mit den WT-Tieren ein deutlich vermindertes Knochenvolumen sowie reduzierte biomechanische Eigenschaften und es zeigte sich eine hohe Pseudarthroserate, auch bei gleichzeitig vorliegendem Schädel-Hirn-Trauma. Histomorphologisch sahen wir ungerichtete Knorpel- und Knochenformationen auch an frakturunabhängigen Lokalisationen. Dies führte uns zu der Annahme, dass Leptin nicht nur eine zentrale Rolle im Phänomen gesteigerter Knochenbildung nach SHT einnimmt, sondern möglicherweise auch für die gerichtete Knochenformation von Bedeutung ist. Zuletzt untersuchten wir das Verhalten von Insulin und Osteocalcin nach Induktion verschiedener Traumata, wiederum im Vergleich zwischen Wildtyp- und leptindefizienten Mäusen. Wir konnten deutliche Unterschiede in den posttraumatischen Veränderungen in Insulin- und Osteocalcinspiegel in Abhängigkeit vom induzierten Trauma feststellen. Bei fehlendem Leptin registrierten wir eine deutlich größere Schwankungsbreite der Hormonspiegel über die Zeit. Dies unterstreicht die regulatorische Funktion des Hormons Leptin im Zusammenspiel von Insulin, Osteocalcin und Knochenstoffwechsel. Gleichzeitig ergibt sich eine Vielzahl neuer Fragen bezüglich der zugrundeliegenden molekularen Mechanismen und Effektorgrößen. Unsere Arbeit leistet einen grundlegenden Beitrag für das Verständnis der Interaktion und Wechselwirkung verschiedener Organsysteme mit Knochenstoffwechsel und Knochenregeneration und kann somit Basis sein für weitere translationale Untersuchungen, die auf Therapien von Knochenregenerationsstörungen unter erschwerten Bedingungen wie Polytrauma oder Multimorbidität fokussieren.