Wie die Integration von Heranwachsenden mit Zuwanderungshintergrund in das Bildungssystem des Aufnahmekontexts gelingen kann, ist eine Frage von beträchtlicher gesellschaftspolitischer Bedeutung und eine zentrale Fragestellungen der Akkulturationsforschung. Die vorliegende Dissertation hat das Ziel, zur Klärung dieser Frage beizutragen. Im Rahmen von vier empirischen Teilstudien untersucht sie drei Forschungsanliegen: erstens geht sie der Frage nach, wie sich Sprachkompetenzen von Heranwachsenden mit Zuwanderungshintergrund, die für den Bildungserfolg von hoher Relevanz sind, adäquat erfassen lassen (Teilstudie I und II); zweitens untersucht sie, welche Bedeutung das Hörverstehen in der Erstsprache (L1) für den Bildungserfolg von Jugendlichen aus zugewanderten Familien hat (Teilstudie III) und drittens überprüft sie, welche Rolle die kulturelle Identität für den Bildungserfolg dieser Gruppe spielt (Teilstudie IV). Ziel von Teilstudie I ist es, Tests zu entwickeln, die zur Erfassung der L1-Kompetenz der beiden größten in Deutschland lebenden Zuwanderergruppen im Rahmen von Large-Scale- Untersuchungen geeignet sind, und die Validität dieser Instrumente zu überprüfen. Die Teilstudie beschreibt die Konstruktion von Hörverstehenstests zur Erfassung der Russisch- bzw. Türkischkenntnisse von Jugendlichen und bestätigt basierend auf den Daten von zwei unabhängigen Stichproben die Konstruktvalidität dieser Instrumente. Teilstudie II überprüft die Validität selbsteingeschätzter Sprachkompetenzen, die häufig zur Erfassung sprachlicher Kompetenzen von Heranwachsenden aus zugewanderten Familien verwendet werden. Die Studie zeigt, dass auf Selbsteinschätzungen beruhende Befunde bedeutsam von den Befunden, die mit objektiven Kompetenztests ermittelt werden, abweichen. Zudem weisen die Ergebnisse der Studie darauf hin, dass selbsteingeschätzte Sprachkompetenzen in manchen Gruppen besonders verzerrt sind. Insgesamt legt die Studie nahe, dass selbsteinschätzte Sprachkompetenzen in ihrer Validität eingeschränkt und somit wenig geeignet zur Erfassung tatsächlicher Sprachkompetenzen sind. Ziel von Teilstudie III ist es, die Rolle des Hörverstehens in der L1 für den Bildungserfolg von Heranwachsenden aus zugewanderten Familien zu untersuchen. Die Ergebnisse der Studie zeigen einen bedeutsamen Zusammenhang zwischen der L1-Hörverstehenskompetenz und dem Leseverstehen in der Zweitsprache (L2), einem wichtigen Indikator des Bildungserfolgs, in beiden untersuchten Sprachgruppen (Russisch bzw. Türkisch als L1). Dieser Befund bleibt bestehen, wenn Alternativerklärungen für die beobachteten Zusammenhänge durch die Kontrolle von Drittvariablen ausgeschlossen werden. Zudem weisen die Ergebnisse darauf hin, dass die Assoziation zwischen der L1-Kompetenz und der L2-Kompetenz auf höheren L1-Niveaus besonders ausgeprägt ist (Schwellenannahme), zumindest in Sprachen mit geringer Ähnlichkeit wie Türkisch und Deutsch. Indem die Studie einen Transfereffekt mündlicher Kompetenzen in der L1 auf das Leseverstehen in der L2 belegt und die Schwellenannahme empirisch überprüft, erweitert sie den Forschungsstand zum Sprachtransfer bedeutsam. Teilstudie IV untersucht die Bedeutung der kulturellen Identität für den Bildungserfolg von Heranwachsenden aus zugewanderten Familien. Sie zeigt, dass Jugendliche mit einer assimilierten Identitätsstrategie die besten Lesekompetenzen erreichten; nach Kontrolle von Hintergrundmerkmalen übertreffen ihre Leistungen sogar die ihrer Altersgenossen ohne Zuwanderungshintergrund. Demnach scheint für den Bildungserfolg von Jugendlichen mit Zuwanderungshintergrund an deutschen Schulen die Identifikation mit dem Aufnahmekontext besonders förderlich zu sein, während die Identifikation mit dem Herkunftskontext keinen zusätzlichen adaptiven Vorteil bietet.
The integration of children and adolescents with an immigrant background into the education system of their receiving context is a pressing societal concern and a key issue in acculturation research. The present dissertation aims to contribute to the clarification of this issue. Based on four empirical studies, it addresses three research questions: First, it examines how the language skills of students with an immigrant background, which are a key to educational success, can be adequately assessed (study I and II); second, it investigates the impact of first language (L1) listening comprehension on the educational success of students with an immigrant background (study III) and third, it determines the role of cultural identity in the educational success of these students (study IV). The aim of study I is to develop tests that are suitable to assess the L1 listening comprehension of the two largest immigrant groups in Germany within large-scale assessments and to determine the validity of the developed instruments. The study describes the construction of the listening comprehension tests in Russian and Turkish. Subsequently, it confirms the construct validity of the tests based on the data of two independent samples. Study II examines the validity of immigrant adolescents’ self-assessed language proficiency; an indicator which is commonly applied in research on immigrants and their descendants to assess their language skills. The study reveals that self-assessments yield different results than test scores. In addition, the findings of the study suggest that self-assessed language skills are systematically biased in some groups. Self-assessments thus do not seem to be valid measures of language skills and are therefore inappropriate to assess actual language proficiencies. The aim of study III is to determine whether L1 listening comprehension predicts the educational success of students with an immigrant background. The results of the study show a significant relationship between students’ L1 listening comprehension and their reading comprehension in the second language (L2)–an important indicator of their school success–in both language groups that were examined (Russian or Turkish as L1). This is also true when analyses control for important third variables, so that alternative explanations for the observed relationships are ruled out. In addition, the findings suggest that that the relationship between L1 proficiency and L2 proficiency was stronger at higher levels of L1 proficiency (threshold assumption) in languages with a low degree of similarity, such as Turkish and German. In demonstrating a transfer effect from oral language skills in L1 on reading comprehension in L2 and in investigating the rarely studied threshold assumption, the study extends previous knowledge on linguistic transfer. Study IV examines the role of cultural identity in the educational success of students with an immigrant background. It demonstrates that students with an assimilated cultural identity attained the highest reading comprehension scores; after controlling for background characteristics they even outperformed their peers without immigrant background. Thus, the identification with the receiving context seems to be pivotal for the educational success of immigrant students in Germany, whereas the identification with the context of origin does not entail an additional adaptive advantage.