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„Was ich alles in der Gefangenschaft erlitten habe, möchte ich hier nicht beschreiben.
Es ist sehr schwer an Hunger, Schmerz, Erniedrigung und Sehnsucht nach der Familie
und Heimat zurückzudenken. (…) Ich würde gerne in Berlin ein Denkmal sehen, (…)
das die Würde der Gefangenen darstellt und auf die Missetaten des Faschismus
hinweist, damit die Menschen in aller Welt die Lehre der Geschichte nie vergessen.“
Boris Petrowitsch Schirokow, ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener.
Die Darstellung von Boris Schirokow ist nur eines von unzähligen Beispielen individueller
Erinnerungen ehemaliger Soldat*innen der Roten Armee an die deutsche Gefangenschaft.
Besonders wird sie zum einen durch ihre Kenntnisnahme und Publikationen in Deutschland, zum
anderen durch das explizite Einfordern einer erinnerungspolitischer Repräsentation im Land der
Täter. Denn obwohl Menschen wie Schirokow numerisch die zweitgrößte Opfergruppe des
Nationalsozialismus waren, ist ihr Schicksal in der gesamtdeutschen Erinnerungskultur heutzutage
nach wie vor wenig präsent.
Als Jan Korte, der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag, im Januar
2019 die gröbsten Fakten über die ehemaligen gefangenen Rotarmist*innen darlegte, war es
dennoch bei weitem nicht das erste Mal, das im Parlament des vereinigten Deutschlands über
Entschädigung, Anerkennung und Erinnerung für diese Opfergruppe debattiert wurde. „5,7
Millionen Angehörige der Roten Armee sind damals in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten. Von
diesen 5,7 Millionen starben 3,3 Millionen an Hunger, Kälte, Krankheiten und massenhaften
Hinrichtungen. Das ist übersetzt eine Sterblichkeitsquote von 60 Prozent“, so Korte. Der
Bundestagsabgeordnete forderte zum Abschluss seiner Rede die Einrichtung eines zentralen
Erinnerungsortes in Berlin für diese kaum begreifbare Zahl von Opfern des deutschen
Vernichtungskrieges. Damit griff Korte nicht nur die persönliche Forderung des eingangs zitierten
Boris Schirokow auf, sondern ging auch auf die deutschen zivilgesellschaftliche Initiativen ein,
deren zentrale Forderung neben der finanziellen Entschädigung der Opfer ein solcher Ort seit
Im Fokus
dieser Arbeit steht also eine bislang marginalisierte Opfergruppe und damit ein spezifischer Teil der
„zweiten Geschichte“ des Nationalsozialismus. Peter Reichel definiert diese als: „die bis heute
andauernde, konfliktreiche Geschichte der Schuldbewältigung und Schuldverdrängung, des
politischen Wandels, des trauernden Gedenkens, des öffentlichen Erinnerns und Vergessens, der
historiografischen Deutung und Umdeutung, des Erfinden und Erzählens.“ Wie aber ist es zu erklären, dass es erst so spät und unvollständig zur Entschädigung, Anerkennung
und erinnerungspolitischen Repräsentation der sowjetischen Kriegsgefangenen kam? Dieser
Leitfrage schließen sich drei weitere Fragen an: Warum sind diese sowohl in der der BRD als auch
in der DDR über die Jahrzehnte hinweg ignoriert worden und wie unterscheidet sie sich hierin von
anderen Opfergruppen des Nationalsozialismus? Welche ideologisch beeinflussten Faktoren lassen
sich hierfür im politischen Gedächtnis der beiden deutschen Staaten ausmachen? Und schließlich:
Welche Veränderungen traten mit der Vereinigung dieser beiden Staaten ein und wie kam es unter diesen Umständen zur zumindest partiellen Erfolgen in Entschädigung und Anerkennung seit 2015?
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