dc.contributor.author
Lesshafft, Hannah
dc.date.accessioned
2018-06-07T17:01:33Z
dc.date.available
2009-11-25T10:35:57.273Z
dc.identifier.uri
https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/3307
dc.identifier.uri
http://dx.doi.org/10.17169/refubium-7507
dc.description.abstract
Viele Krankheiten führen zu sozialer Isolation. Eine jedoch ist geradezu der
Inbegriff von Ausgrenzung: die Lepra. Die durch M. leprae hervorgerufene
Infektionskrankheit kann – wenn nicht rechtzeitig antibiotisch behandelt – zu
stark stigmatisierenden Veränderungen des Gesichtes und der Extremitäten
führen. Den sozialen Folgen der Lepra ist somit eine ebenso hohe Bedeutung
einzuräumen, wie dem körperlichen Leiden. Die räumliche Isolation Leprakranker
wurde schon im Alten Testament vorgeschrieben – in Brasilien war sie noch bis
1962 gesetzlich verordnet. Einige ehemalige Leprakolonien werden noch immer
bewohnt – so auch das 1928 eingerichtete, staatlich verwaltete „Zentrum des
Zusammenlebens Antônio Diogo“ (CCAD) im brasilianischen Bundesstaat Ceará,
obwohl es den Bewohnern seit 1981 erlaubt ist, die Einrichtung zu verlassen.
Eine strukturierte Erfassung der Lebensumstände und der sozialen Exklusion in
den ehemaligen Leprakolonien Brasiliens liegt bisher nicht vor. Die
vorliegende Studie mit interdisziplinärem Ansatz untersucht die
Lebenssituation und die subjektiv wahrgenommenen sozialen Einschränkungen der
ehemals leprakranken Bewohner unter Anwendung quantitativer und qualitativer
Methoden. Zur sozio-demographischen und klinischen Charakterisierung der
ehemals leprakranken Bewohner wurden selbstentwickelte Frage- und
Dokumentationsbögen eingesetzt. Die subjektiven sozialen Einschränkungen
wurden mittels der Partizipations-Skala (P-Skala, van Brakel 2006)
quantifiziert. Durch Fokusgruppendiskussionen wurden für die Betroffenen
relevante Themen und Konflikte erfasst. Die 90 ehemaligen Leprakranken waren
bedeutend älter als die 86 nicht von Lepra betroffenen Bewohner des CCAD
(Median: 64,5 bzw. 16,0 Jahre, p < 0,001). Zwei Drittel der ehemaligen
Leprakranken lebten in Häusern, ein Drittel in Pflegeunterkünften auf dem von
einer Mauer umgebenen Gelände. Alle waren von der Lepra geheilt. Da die
meisten Befragten eine staatliche Rente erhielten, stand ihnen mehr Geld zur
Verfügung als dem durchschnittlichen Einwohner Cearás. Die Schulbildung war
sehr niedrig, was der allgemein schlechten Bildungslage älterer Menschen
Cearás entsprach. Ein Drittel der Befragten hatte keinen Kontakt zur Familie
außerhalb des CCAD. Die ehemaligen Leprakranken zeigten in 72,7% sichtbare
körperliche Folgen der Lepra. Bei der Anwendung der P-Skala wiesen 51,9% eine
subjektive Partizipationseinschränkung auf (P-Index > 12), die Hauptprobleme
lagen in den Bereichen Arbeit, Mobilität und soziale Aktivitäten. Positiv
korreliert mit dem P-Index waren: Stärke und Anzahl der sichtbaren
körperlichen Veränderungen (p = 0,001), der Aufenthalt in einer
Pflegeunterkunft (p = 0,001), der Zeitpunkt der Diagnose vor 1982 (p = 0,002)
und kein regelmäßiger Besuchsempfang (p = 0,004). Alter, Geschlecht,
Einkommen, Partnerschaft und Aufenthaltsdauer im CCAD korrelierten nicht
signifikant mit dem P-Index. In den Fokusgruppeninterviews mit 17 ehemals
leprakranken Bewohnern wurden die Gründe für das Wohnen im CCAD, Freiheit,
Alltag, Familie, Stigma/Vorurteile und der Umgang mit Krankheit und Kränkung
zum Teil kontrovers diskutiert. Das CCAD wurde von einigen Teilnehmern als
Schutz- und Ruheraum vor einer bedrohlichen Außenwelt angesehen, während
andere die Langeweile beklagten und sich mehr Aktivität und Kontakt mit
Außenstehenden wünschten. Der Zugewinn an Freiheit nach Öffnung der
Einrichtung wurde dem Verlust von Sicherheit gegenüber gestellt. Einerseits
wurden der Erhalt einer Rente, die kostenlose Unterkunft und medizinische
Versorgung als Vorteile gegenüber der Normalbevölkerung gesehen. Andererseits
wurden gesellschaftliche Vorurteile und Benachteiligungen, z.B. bei der
Arbeitssuche, hervorgehoben. An emotionalen Reaktionen auf Diskriminierungen
wurden Resignation, Wut und Verzweiflung geäußert. Die Interviews zeigten eine
ablehnende Haltung gegenüber der Verwaltung bei gleichzeitiger Abhängigkeit im
Sinne einer paternalistischen Beziehung. Der Umgang mit Stigmatisierungen in
der Öffentlichkeit reichte von sozialem Rückzug und Täuschung bis zu offenem,
selbstbewussten Auftreten. Nach der Exklusion aus den primären
Familienstrukturen haben viele Bewohner im CCAD neue Familien gegründet. Die
starke Identifikation mit der Einrichtung und die deutliche Aufteilung in
„hier drinnen“ und „da draußen“ zeigte, dass eine Integration trotz Öffnung
des CCAD und Zuzug von Familienangehörigen für viele Bewohner nicht statt
gefunden hatte. Maßnahmen zur Rehabilitation sollten verstärkt in den
Bereichen Arbeit, Mobilität und soziale Aktivitäten implementiert werden. Das
Gefühl, innerhalb der Gemeinschaft respektiert zu werden, lässt auf ein gutes
Potenzial zur Selbstorganisation und Selbstbehauptung der Betroffenen
schließen, worin die Bewohner im Sinne des Empowerments zu unterstützen sind.
Bereits bestehende Strukturen wie MORHAN und die Bewohnerversammlung können
einen geeigneten Rahmen bieten. Insgesamt zeigt die vorliegende Studie, dass
die Lepra auch lange nach Heilung für die Bewohner des CCAD noch ein
bestimmendes Element ihres Lebens ist. Die Krankheit hat nicht nur ihre
Biographie verändert, sie bewirkt noch bis heute Einschränkungen im
gesellschaftlichen Leben und ist das verbindende Element der engeren
Bezugsgruppe. Im Sinne der Gesundheitsdefinition der WHO muss die soziale
Rehabilitation der Bewohner ehemaliger Leprakolonien als wichtiger Teil der
Therapie angesehen werden.
de
dc.description.abstract
Many diseases lead to social exclusion – but one is even used as a metaphor
for isolation: leprosy. This infectious disease provoked by Mycobacterium
leprae may – if not treated in early stage – cause strongly stigmatizing
alterations of the face and extremities. Therefore, social consequences of
leprosy should be considered as important as the physical condition. The
isolation of leprosy patients was already stipulated in the Old Testament – in
Brazil it was dictated by law until 1962. Some of the former leprosy colonies
are still inhabited today. One of these institutions is the “Center of Living
together” (CCAD) inaugurated in 1928 in the Brazilian state Ceará, although
the residents are free to leave the center since 1981. So far, a structured
investigation on life circumstances and social exclusion of the inhabitants of
former leprosy colonies in Brazil does not exist. This study with
interdisciplinary approach explores life situation and perceived social
exclusion of the persons affected by leprosy living in the former leprosy
colony by use of quantitative and qualitative methods. To characterize the
inhabitants of the CCAD, socio-demographic questionnaires and clinical
documentation sheets were applied. Social restriction was measured with the
Participation Scale (P-Scale). Relevant life aspects and conflicts were
grasped in Focus Group Discussions (FGD). The 90 former leprosy patients in
the CCAD were by far older than the 86 non-leprosy-affected residents (median:
64.5 years vs. 16 years, p<0.001). Two third of the former patients lived in
little houses and one third in the nursery homes on the grounds of the CCAD.
At the time of the study, there was no active case of leprosy in the CCAD.
Questionnaire data was obtained from 77 out of the 90 former leprosy patients.
As most of them received a state pension, they were not considered poor
compared to the population of Ceará. One third of the interviewees had no
contact with family members outside the CCAD. Visible physical alterations
were documented in 72.7% of the study participants. The P-Scale showed a
significant level of social participation restriction in more than half of the
persons. The main problems were found in the areas of work, mobility and
social activities. The score of the P-Scale (P-Index) was significantly
correlated with the severity of physical alterations (p = 0.001), residency in
a nursery unit (p = 0.001), time of diagnosis before 1982 (p = 0.002) and
receiving no visitors (p = 0.004). Age, sex, income, having a partner and time
of residency in the CCAD were not significantly correlated with social
restriction. The 17 participants of the FGD discussed motives for living in
the CCAD, freedom, every-day life, stigmatization/prejudice and coping with
the consequences of the disease. The CCAD was seen as a safe and quiet place
by some, while others criticized boredom and expressed the wish for more
activity and contact with persons from outside. On one hand, free housing,
pension and medical care were named as advantages compared to the “normal”
population, on the other hand the participants reported experiences of
prejudice and social discrimination. Emotional reactions to humiliation in
society included anger, resignation and despair. The interviews showed
rejection of the administration personnel with concurrent dependence in the
sense of a paternalistic relationship. Coping with stigmatization in public
ranged from deception or social withdrawal to open, self-assured behavior.
After having been excluded from original family structures, many inhabitants
founded new families inside the CCAD. The strong identification with the
institution and the clear categories of “us inside” and “those outside” shows
that reintegration into society has not been fully successful yet.
Rehabilitation measures should be implemented especially in the areas work,
mobility and social activities. The feeling of the residents to be respected
in the closer community reveals a good potential for self-organization that
should be supported in the sense of empowerment. Already existing structures
like MORHAN (Movement for the reintegration of leprosy-affected persons) and
the regular residents´ meetings could serve as a base for reintegration. On
the whole, the study shows that despite cure leprosy is a dominant life theme
for the residents of the CCAD. The disease not only changed their biography
and shaped their identity but also still causes restriction in social life and
is the linking element of the closer community. In sense of the definition of
health by the WHO, social rehabilitation of the inhabitants of former leprosy
colonies must be seen as an important part of therapy.
en
dc.rights.uri
http://www.fu-berlin.de/sites/refubium/rechtliches/Nutzungsbedingungen
dc.subject.ddc
600 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften::610 Medizin und Gesundheit
dc.title
Soziale Exklusion als Krankheitsfolge
dc.contributor.contact
hannah.lesshafft@charite.de
dc.contributor.firstReferee
Prof. Dr. med. Hermann Feldmeier
dc.contributor.furtherReferee
Prof. Dr. med. Ulrich Hengge, PD Dr. med. Sabine Schleiermacher
dc.date.accepted
2010-01-29
dc.identifier.urn
urn:nbn:de:kobv:188-fudissthesis000000014311-5
dc.title.subtitle
Stigma und Alltag in einer ehemaligen Leprakolonie in Nordost-Brasilien
dc.title.translated
social exclusion as a consequence of disease
en
dc.title.translatedsubtitle
stigma and everyday-life in a former leprosy colony in Northeast Brazil
en
refubium.affiliation
Charité - Universitätsmedizin Berlin
de
refubium.mycore.fudocsId
FUDISS_thesis_000000014311
refubium.mycore.derivateId
FUDISS_derivate_000000006645
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open access