Bevor Leukozyten aus dem Gefäßsystem emigrieren, rollen sie an der Venolenwand entlang und können erst danach fest am Endothel haften. Das Leukozytenrollen wird hauptsächlich durch die kohlenhydratbindenden, lektinartigen Domänen einer Familie von Adhäsionsmolekülen, der Selektine, vermittelt. Mehrere Klassen von Wirkstoffen sind in der Lage, Leukozytenrollen durch Interaktion mit der Selektin-vermittelten leukozytären Adhäsion in vitro zu reduzieren. Dazu gehören auch Oligopeptide, deren Sequenz einzelner Abschnitte der Lektin- Domänen von P-, L- und E-Selektin entspricht. Ziel der vorliegenden Arbeit war es, den Effekt von fünfzehn verschiedenen Selektin-Peptiden auf das Leukozytenrollen in vivo zu untersuchen. Dazu wurden diese Peptide in verschiedenen Konzentrationen mit Hilfe von Mikropipetten in Venolen des ausgelagerten Mesenteriums anästhesierter Ratten injiziert. Die Zahl rollender Leukozyten pro Zeiteinheit (Flux rollender Leukozyten) unter den Injektionen wurde bestimmt und mit denen in den Kontrollperioden verglichen. Die vorliegende Arbeit konnte erstmals zeigen, daß Selektin-Peptide Leukozytenrollen in vivo inhibieren. Sechs Selektin-Peptide (P54-63, P70-79, P109-118, L11-20, L54-63 und E23-30) führten zu einer signifikanten Reduktion des Leukozytenrollens um 50 bis 80% des Ausgangswertes. Die beiden wirksamsten Peptide L11-20 und P70-79 lagen mit halbeffektiven Konzentrationen von ca. 10µg/ml bzw. ca. 100µg/ml etwa in dem Dosiswirkungsbereich der Oligosaccharide Dextransulfat und Fucoidin. In unseren Versuchen inhibierten weniger Selektin- Peptide die leukozytäre Adhäsion als in vorangegangenen in vitro- Untersuchungen (Heavner et al., 1993, Geng et al., 1992). Es bestanden zudem deutliche Diskrepanzen zu den in vitro-Daten in Bezug auf die Wirksamkeit der Peptide je nach Abschnitt der Lektin-Domäne. Diese Beobachtungen illustrieren die Wichtigkeit der Testung von Wirksubstanzen in komplexen in vivo-Systemen. Die Tatsache, daß die Selektin-Oligopeptide in unseren Untersuchungen keine zeitliche Wirkpräferenz aufweisen, unterstützt die aus den in vitro-Versuchen hervorgegangene Vermutung, daß sie P-, L- und E-Selektin-Liganden- Interaktionen inhibieren können. Die Abschnitte der Lektin-Domänen, aus denen in unseren und in den vorangegangenen in vitro-Versuchen wirksame Peptide hervorgegangen sind, unterscheiden sich deutlich von dem durch Kristallstrukturanalysen und Punktmutationsstudien vorgeschlagenen Hauptbereichen der Ligandenbindung der Lektin-Domäne. Diese Beobachtung legt die Vermutung nahe, daß Selektin-Peptide nicht durch einen kompetitiven Antagonismus der Selektin-Liganden-Interaktion wirken. Weitere Untersuchungen sind notwendig um die Selektin-Liganden-Interaktion besser zu verstehen und die Hemmung der Selektinfunktion zu optimieren. Da nach dem derzeitigen Erkenntnisstand Leukozytenemigration nicht ohne das vorgeschaltete Rollen entlang der Endothelwand stattfinden kann, böten Inhibitoren der Selektin- Funktion, zum Beispiel Oligopeptide analog der Lektin-Domäne der Selektine einen interessanten Ansatz zur Behandlung zahlreicher Erkrankungen, die mit pathologischer Leukozytenemigration einhergehen.
OBJECTIVE: Leukocytes roll along the vessel wall, a prerequisite for their later firm adhesion and transmigration to sites of inflammation. Rolling is mediated by the selectins, a family of lectin-type adhesion molecules. Their N-terminal lectin domain is important for Ca(2+)-dependent binding to oligosaccharide ligands. The aim of this study was to describe the effect of peptides corresponding to residues 11-20, 23-30, 36-50, 54-63, 70-79 and 109-111 (counting from the N-terminus of the mature proteins) of human P-, L- and E-selectin on leukocyte rolling in vivo. METHODS: Peptides were applied by local intravascular microinfusion via a glass micropipette into rat mesenteric venules. Visibly rolling cells were counted off-line and compared with rolling cells counted during control periods. RESULTS: Peptides corresponding to residues 70-79 of P-selectin and 11-20 of L-selectin reduced leukocyte rolling flux in rat mesenteric venules to less than 30% of that measured during control infusion. Peptides corresponding to residues 109-118 of P-selectin, 54-63 of L-selectin and 23-30 of E-selectin also reduced leukocyte rolling flux, although to a lesser degree. CONCLUSIONS: It could be shown that small peptides based on the lectin domain of all three selectins can be effective inhibitors of leukocyte rolling in vivo, thus potentionally being a goup of new antiinflammatory agents.