Zusammenfassung Diese sozial- und kulturgeschichtliche Arbeit untersucht Religionswechsel vom Juden- zum Christentum im 18. Jahrhundert in ihrer Komplexität. Die Fallstudie konzentriert sich auf das Herzogtum Mecklenburg-Schwerin. Zentral ist die Fragestellung, ob der Religionswechsel für jüdische Menschen aus der Unterschicht eine Möglichkeit darstellte, marginale Lebenssituationen selbst aktiv zu verändern. Inwieweit bot ein Religionswechsel die Chance zur Veränderung, zum Aufstieg oder zur Integration in die christliche Mehrheitsgesellschaft? Um sich Fragen wie diesen zu nähern, werden Handlungen, Handlungsräume und Strategien von taufwilligen und getauften Jüdinnen und Juden im Herzogtum Mecklenburg-Schwerin erforscht. Dafür wurden die Konversionskontexte der historischen Akteurinnen und Akteure systematisch erfasst. Durch die Verknüpfung und Analyse vielfältigen Quellenmaterials werden diese Menschen in der Vergangenheit sichtbar gemacht und ihre agency, ihre Handlungsmacht, in bestimmten Situationen untersucht. Das heißt vor allem, dass die Menschen als handelnde Subjekte verstanden werden: Ihnen waren Handlungsfähigkeit(en) zu eigen und ihnen standen Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die jeweiligen Lebensumstände, Abhängigkeiten, sozialen Vernetzungen und Handlungs(spiel)räume stehen somit im Fokus und wurden rekonstruiert. Der Arbeit liegt die Annahme zu Grunde, dass ‚jüdische’ Geschichte nicht als isolierte Geschichte, sondern integrativ, verflochten und wechselseitig mit ‚christlicher’ Geschichte zu schreiben ist. Dabei sind die frühneuzeitliche christliche und jüdische Gesellschaft als plural und uns fremd zu begreifen. Diese Arbeit soll einen Beitrag zu den Bedeutungen der sozialen Beziehungen, der Handlungen und der Handlungsoptionen in der frühneuzeitlichen, multireligiösen Gesellschaft leisten. Die untersuchten Konversionen dienen zugleich als Sonde, um marginalisierte Menschen innerhalb dieser Gesellschaft(en) ausfindig zu machen. Vor dem Hintergrund sowohl des Kontextes von Armut und der Armutsrisiken Migration und Fremdheit, in denen die Religionswechsel verortet und nach spezifischen Erkenntnissen hinsichtlich des Alltagslebens jüdischer Unterschichten befragt werden, verändert sich deren historische Analyse. Konversionen können auf diese Weise als sozialgeschichtliche Phänomene und polyvalente Handlungen nachvollzogen werden.
Summary The thesis explores the complexity of conversions from Judaism to Christianity during the 18th century, emphasizing Jewish lower classes in the duchy of Mecklenburg-Schwerin, which is located in the area of today's Mecklenburg-Western Pomerania. The main question focuses the eventuality of conversions as a pathway to improve one’s social situation. Based on detailed archival material (formerly left untapped) the study sheds light on the individual changes entailing one’s conversion in terms of integrity, work, and life in the new community. The study conjoins all jewish-christian conversions documented in the Mecklenburg archives which allows for detailed studies of jews bound to convert and their respective agency, (in)-dependency, strategies in order to make the conversion as smooth as possible. Of interest is also the question, if and how the converts entertained their personal relationships to Jewish friends and fellows after they had converted. In so doing it becomes possible to follow some of them from their location in Jewish spaces and communities through the process of their conversion and eventually their afterlife as Christians. Thus, the reconstruction of the social structure and the detection of the individuals within a social net is a primary topic of interest, whereby acting is understood as result of the interaction of the strategies from individuals.