Der Essayismus gilt als ein zentrales Thema in der Musil-Forschung und wird überwiegend als ein umfassender Schreibstil, ein instrumentelles Erkenntnismittel oder eine unentschiedene Lebenshaltung verstanden, wodurch er sowohl degradiert, wie auch sein narrativer Charakter – der ihn zu einem wirklichen Willensakt macht – übersehen wird. Der narrative Charakter bzw. der Akt ist der bedeutsamste Aspekt von Musils Essayismus, der insgesamt unterschätzt worden ist. Die vorliegende Dissertationsschrift verfolgt das Anliegen, Musils Konzept des Essayismus als eine Erlösung der Welt vor dem Hintergrund der modernen Krise zu interpretieren. Genauer gesagt geht es darum zu zeigen, dass der Essayismus, indem er im Akt des literarischen Erzählens die vorgegebenen Begriffe wie „Welt“ und „Wirklichkeit“ dekonstruiert, eine neue Ordnung durch eine synthetische Denkweise und eine narrative Geste des Mitmachens etabliert hat. Mit dieser These sind die Argumente verknüpft, dass erstens das Konzept des Essayismus über eine Denkfigur verfügt, die sich vom dualistischen Denkparadigma unterscheidet, und dass zweitens Begriffe wie „Welt“ oder „Wirklichkeit“ in der Moderne nicht mehr als homogene Begriffe zu verstehen sind. Musil hat ausgehend von seinem Konzept des Essayismus mit seinem narrativen Akt ein neues existentielles Modell hervorgebracht, nach dem allein der Roman bzw. das ästhetische Erzählen als aktive, partizipatorische Wort- und Weltkonstruktion betrachtet werden kann. In diesem Sinne wäre literarisches Erzählen eine grundlegende Aktivität der Menschheit.