Die Dissertation „Lieber Mensch als Göttin! Neubetrachtung geschlechterbezogener Interpretationen anhand der anthropomorphen Figurinen aus Selenkahiye.“ befasst sich mit der Interpretation und Geschlechterzuschreibung anthropomorpher Figurinen der frühen Bronzezeit in Syrien. Die meisten Interpretationen dieser Fundgattung enden in der vorhandenen Literatur vielfach bei der Bestimmung des Geschlechts sowie einer Verortung in der göttlichen Sphäre. Daher wird in dieser Arbeit der Frage nachgegangen, auf Grund welcher Basis die Geschlechtsbestimmungen vorgenommen wurden und ob sich die Interpretation der Figurinen in der Zuweisung zu einem Geschlecht bereits erschöpft. Die Figurinen des Fundortes Selenkahiye fungieren dabei als Materialbasis für die Untersuchung. Die detaillierte Aufnahme aller Merkmale der Figurinen ermöglicht eine Korrelation dieser untereinander. Dadurch können die verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten von Merkmalen, die bei der Herstellung Anwendung fanden, veranschaulicht werden. Zur Verdeutlichung, dass die anthropomorphen Figurinen aus Selenkahiye keine Sonderstellung innerhalb der Funde aus frühbronzezeitlichen Fundorten in Syrien einnehmen, werden vier weitere Siedlungen zu Vergleichszwecken herangezogen. Die Figurinenfunde der Vergleichsorte Tell Halawa A, Umm el-Marra, Tell Hadidi und Tell es Sweyhat verweisen sehr eindeutig auf die große Ähnlichkeit und weite Verbreitung der Fundgattung am oberen Euphrat. Um sich der Funktion und Deutung der Figurinen zu nähern, wurden keilschriftliche Beschwörungstexte des 3. und 1. Jt. v.u.Z. herangezogen. Die Untersuchung der Texte führt zu der Schlussfolgerung, dass die Figurinen wahrscheinlich in Ritualen Verwendung fanden. In einem letzten Schritt werden die Merkmale der Figurinen mit anderen menschlichen Darstellungen der Frühen Bronzezeit verglichen. Abschließend zeigt sich, dass die spezifischen Darstellungen der Figurinen so gut wie keine Rückschlüsse über die Geschlechter zulassen. Vielmehr handelt es sich um eine Übertragung des Status realer Menschen oder Personengruppen auf die Figurinen. Folglich beruhen die bisher gängigen Interpretationen der Figurinen mehr auf modernen Konzepten als auf dem Material selbst.
This dissertation – Lieber Mensch als Göttin! Neubetrachtung geschlechterbezogener Interpretationen anhand der anthropomorphen Figurinen aus Selenkahiye. (Rather be Human than Goddess! Re-evaluation of sex and gender-based research, exemplified by anthropomorphic figurines from Selenkahiye.) – investigates the interpretation and ascription of sex/gender to anthropomorphic figurines in the Early Bronze Age in Syria. Former interpretations often ascribed figurines to have a certain sex/gender and belonging to a divine sphere. Hence this study investigates the material basis of these ascriptions. The anthropomorphic figurines from Selenkahiye form the material basis for this study. The recording of all visible characteristics allow a correlation of these, which emphasise various combinations, being used in the manufacturing process. To clarify the significance of the figurines from Selenkahiye, four other sites were chosen to show that the figurines were a common phenomenon within the Early Bronze Age in Syria. For this purpose, the sites Tell Halawa A, Umm el-Marra, Tell Hadidi and Tell es Sweyhat were selected for comparison. To approach the function of the figurines, cuneiform texts from the 3. and 1. Millennium BC were integrated in this study. Through this inclusion, the use of figurines within rituals can be named as the most likely function. In a last step, designated characteristics of the figurines are compared to other human representations from the Early Bronze Age in Syria. Through this comparison, it is possible to show that most of the depicted characteristics had nearly nothing to do with sex/gender but with specific status representations of humans.