Background The discipline of paediatrics had to face immense challenges during the post-war period. In the light of war-ravaged institutional healthcare systems and the material shortage, the health of children was especially exposed to threats such as infectious diseases, malnutrition, trauma as well as the unpredictable nature of radical societal upheaval. A detailed analysis of these problems on the regional level of Berlin and the description of the methods of care for children in the reorganization period of paediatrics remained a desideratum. Particularly discontinuities and continuities on a structural, ideological and personal level are to be analyzed. Of interest is also the influence of the political framework on the actual form of medical care for children.
Methods and Sources A systematic review of the literature body of the Landesarchiv Berlin was central for the investigation and allowed the reconstruction of the institutionalized elements of children’s care as well as the interim measures of preventive care. Biographical approaches are intertwined with the paediatrics sphere of activity. The required personal files could be obtained from the university archives of both FU and HU. Especially the literary remains of the neonatologist Leonore Ballowitz have to be highlighted as a valuable source.
Results The tremendous infant mortality and malnourishment of infants were recurring problems well known since the German Empire and the Weimar Republic. These challenges were met by the reactivation of group-focused care. The realization of free school meals, the rebuilding of infants - and children care centres and local recreational care demonstrate a dominant social paediatric policy in the discipline of paediatrics. Institutions such as the Kaiserin-Auguste-Victoria Haus combined traditional social hygiene approaches with modern research in the field of neonatology. In contrast to the prevailing opinion in the literature of preventive care being only a fundamental pillar of paediatrics in the German Democratic Republic, but not in the Federal Republic of Germany, West-Berlin can be characterized as an enclave of social paediatrics. Many paediatricians who cooperated with the system of National Socialism to different degrees could pursue their careers seamlessly. Without any fundamental reorientation, the discipline of paediatrics successfully presented itself as a factor of order in difficult times. This was facilitated by reenacting the figure of the paediatrician as "educator of the child" with a corresponding uncontested paternalistic entitlement regarding the child's health and a picture of the child as a formable precursor of man.
Fragestellung Wenngleich die Kindheit im 20. Jahrhundert hinsichtlich des Kinderschutzes und vielfältiger Forschungsbestrebungen zum Wohle des Kindes eine deutliche Aufwertung erfahren hatte, wurde die Kinderheilkunde in der Nachkriegszeit mit enormen Herausforderungen konfrontiert. Vor dem Hintergrund kriegsbedingter Zerstörungen der Versorgungsstrukturen und der materiellen Engpässe sah man die Kindergesundheit vor allem Bedrohungen in Form von Infektionskrankheiten, Unterernährung und Traumatisierung sowie den Unwägbarkeiten einer sich im Umbruch befindenden Gesellschaft ausgesetzt. Eine genaue Analyse dieser Problematik auf der regionalen Ebene Berlins ist ebenso wie die Darstellung der daraufhin initiierten Formen der Kinderhilfe in der Reorganisationsphase der Pädiatrie bisher ein Desiderat geblieben. Hierbei ist nach Brüchen und Kontinuitäten auf struktureller, ideologischer sowie personeller Ebene zu fragen. Von Interesse ist dabei die Frage nach dem Einfluss der politischen Rahmenbedingungen auf die konkrete Ausgestaltung der medizinischen Versorgung der Kinder.
Methodik Zentral für die vorliegende Arbeit waren die systematische Sichtung der Bestände des Landesarchivs Berlin, die sowohl die Rekonstruktion des Wiederaufbaus von institutionalisierten Elementen der Kinderversorgung als auch von interimistischen Maßnahmen zur präventiven Fürsorge erlaubten. Mit Hilfe von biographischen Ansätzen, die mit dem Wirkungsfeld der jeweiligen Pädiater_innen verknüpft wurden, konnte der Personenkreis skizziert werden, der maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung der Berliner Pädiatrie hatte. Die dazu erforderlichen Personalakten fanden sich in den Universitätsarchiven der beiden Berliner Universitäten, wobei der Nachlass der Neonatologin Leonore Ballowitz im Pädiatrie-Archiv, das Bestandteil des HU-Archivs ist, besonders hervorzuheben ist.
Ergebnisse Sowohl die die hohe Säuglingssterblichkeit als auch die mangelhafte Ernährungssituation der älteren Kinder waren bereits aus dem Kaiserreich und der Weimarer Republik bekannte wiederkehrende Problematiken. Diesen wurde mit einer Reaktivierung des gruppenpartikularen Fürsorgekonzepts begegnet. Durch die Realisierung von Schulspeisungen, Wiederaufbau von Säuglings- und Fürsorgestellen, örtlicher Erholungsfürsorge sowie Kinderverschickung besaß die Kinderheilkunde einen deutlich sozialpädiatrisch ausgerichteten Charakter. In Institutionen wie dem Kaiserin-Auguste-Victoria Haus amalgamierten sich traditionelle sozialhygienische Ansätze mit innovativer Forschung insbesondere auf dem Gebiet der Neonatologie. Entgegen der These, dass im Gegensatz zur Bundesrepublik die präventive Fürsorge nur in der DDR als bestimmender Grundpfeiler anzusehen ist, lässt sich West-Berlin ebenso noch lange als sozialpädiatrische Enklave charakterisieren. Viele Pädiater_innen, die in unterschiedlichem Maße mit dem NS-System kooperiert hatten, konnten ihre Karrieren fast bruchlos fortsetzten. Die Kinderheilkunde präsentierte sich ohne grundlegende Neuorientierung erfolgreich als Ordnungsfaktor in schwierigen Zeiten. Dies geschah unter anderem durch die Reinszenierung des Kinderarztes als „Erzieher des Kindes“ und ging mit einem unangefochtenen paternalistischen Deutungsanspruch hinsichtlich der Kindergesundheit und des Bilds des Kindes als formbare Vorstufe des Menschen einher.