Über die Vegetationsverhältnisse der nordkenianischen Trockengebiete informieren bisher nur formationsbezogene Kartierungen. Artenbezogene Vegetationsuntersuchungen liegen nur für wenige Punkte vor. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen Beitrag zur Entwicklung einer vegetationskundlich ausgerichteten Vegetationsgliederung Nordkenias zu leisten. Der Untersuchungsansatz begründet sich auf die Erfahrungen, die der Verfasser bei formationsbezogenen Kartierungen gewonnen hatte. Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass der Beweidungsdruck als einer der entscheidenden Faktoren für die Vegetationsdifferenzierung anzusehen ist. Bei der Analyse der anthropozoogenen Ersatzgesellschaften galt es jedoch zunächst, den von den natürlichen Bedingungen gegebenen Rahmen abzuschätzen. Da dieser in den Trockengebieten von der Wasserversorgung gesetzt wird, mussten die Untersuchungen entlang eines Niederschlagsgradienten durchgeführt werden. Als besonders geeignet erschien hier der inmitten von Halbwüsten und Wüsten gelegene, bis in die Bergwaldregion aufsteigende Mt. Kulal. Da sowohl die oberen als auch die unteren Lagen der Bergwälder des Kulal im mehr oder weniger starken Umfang als Rinder- und Kleinviehweide genutzt werden, konnten so die Ersatzgesellschaften der Waldregion erfasst werden. Für die sich nach unten anschließenden Dornstrauchformationen stellt der Mt. Kulal jedoch nur in einer Hinsicht ein lohnendes Untersuchungsobjekt dar. Die Beweidung war hier aufgrund ethnischer Konflikte und größerer Entfernungen zu Wasserstellen so schwach, dass die Vegetationsanalyse nur das Bild eines weitgehend naturnahen Zustandes zeichnete. Um den Einfluss des Weidedrucks zu bestimmen, musste daher ein Ersatzgebiet in gleicher Höhenlage und mit vergleichbaren Bodenverhältnissen gesucht werden. Ein solches fand sich weiter südlich gelegenem Isiolo Distrikt. Es handelt sich dabei um eine ebenfalls von Rindern und Kleinvieh genutzte semiaride Naturweide an dem Flusslauf Engare Ondare. Ausgehend von Wasserstellen existieren dort unterschiedlich stark belastete Flächen, so dass auch für den Bereich der Dornstrauchformationen die anthropozoogenen Ersatzgesellschaften beschrieben werden konnten. Da Vegetationsdegradationen im semiariden Bereich bekanntermaßen mit der Ausbreitung xerophiler Arten von Statten gehen, wurde zusätzlich die Vegetation der weiter nördlich gelegenen Halbwüstenvegetation charakterisiert. Dabei zeigte sich, dass insbesondere therophytische Gräser, die in den Halbwüsten nahezu einheitliche Bestände aus einer oder zwei Arten bilden (Tetrapogon cenchriformis und Aristida adscensionis) und in den semiariden Gebieten nur als Begleiter der perennen Grasfluren auftreten, durch zunehmenden Beweidungsdruck stark gefördert werden. Vergleichbares trifft für Indigofera spinosa zu, einem Zwergstrauch, der in den ariden Gebieten Nordkenias ein Hauptelement der kontrahierten Vegetation darstellt. Die Kennzeichnung der Halbwüstenvegetation kann somit als eine Interpretations- und Bewertungsgrundlage für den Weideeinfluss in den semiariden Gebieten herangezogen werden. Ein weiterer Wertmaßstab, insbesondere im Hinblick auf die Entfernung vom Naturzustand, stellt die nur wenig beeinflusste Vegetation der Dornstrauchformationen am Mt. Kulal dar.