Hintergrund: Die Anzahl ambulanter Behandlungsfälle in Notaufnahmen steigt seit Jahren. Trotz der zentralen Stellung von Hausärztinnen und Hausärzten in der Versorgung ist bisher wenig untersucht worden, wie die Primärversorger die Inanspruchnahme von Notaufnahmen wahrnehmen und beurteilen. Die vorliegende qualitative Studie befasst sich daher mit der hausärztlichen Sicht auf Konsultati-onsmotive, Entscheidungsprozesse und Gesundheitskompetenzen von Notaufnahmepatientinnen und Notaufnahmepatienten sowie mit hausärztlich initiierten Notaufnahmevorstellungen.
Methodik: Durchführung qualitativer Experteninterviews mit 15 Hausärztinnen und Hausärzten mittels semi-strukturiertem Leitfaden. Die Auswertung erfolgte auf Grundlage der qualitativen Inhaltsanalyse. Die vorliegende qualitative Studie ist Teil des Mixed-Methods-Forschungsprojektes EMACROSS, eine Studie des Berliner Versorgungsforschungsnetzwerkes EMANet.
Ergebnisse: Hausärztlicherseits vermutete patientinnen- und patientenseitige Beweggründe und Entschei-dungsprozesse entsprechen in weiten Teilen den Begründungen von Hausärztinnen und Hausärzten für ärztlich veranlasste Notaufnahmevorstellungen. So wird die zeitnahe Verfügbarkeit eines erweiterten Spektrums diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten von den Befragten für beide Seiten als relevant hervorgehoben, zudem wird die Abklärung von patientinnen- und patienten-seitig subjektiv beunruhigenden Beschwerden betont. Ärztlicherseits befürchtete Versorgungslücken, z. B. an Wochenenden, und Zugangsbarrieren im ambulanten Bereich werden ebenfalls prominent thematisiert, zentral erscheinen Terminprobleme in der fachärztlichen Versorgung. Die Gesundheitskompetenz der Patientinnen und Patienten wird von den Hausärztinnen und Hausärzten als begrenzt wahrgenommen. Als bedeutsame Einflussfaktoren und Informationsquellen werden Medien (z. B. Internet) sowie die hausärztliche Beratung diskutiert.
Schlussfolgerungen: Hinsichtlich einer Verminderung nicht-dringlicher Notaufnahmekonsultationen weisen die Ergebnisse darauf hin, dass eine Reduzierung organisatorischer Engpässe in der ambulanten Versorgung (begrenzte Sprechstunden, Terminproblematik) einen wichtigen Ansatzpunkt auf Seiten des Angebots darstellt. Nachfrageseitig erscheint eine Stärkung der individuellen Gesundheitskompetenz bedeutsam. Bei letzterer kommt der hausärztlichen Beratung eine relevante Rolle zu.
Background: The number of outpatient consultations in emergency departments (EDs) has been rising for years. Despite the central role of general practitioners (GPs) in health care, it has not been extensively studied how primary care physicians perceive ED utilization. This qualitative study therefore examines the view of GPs on consultation motives, decision processes and health literacy of ED pa-tients as well as ED visits initiated by GPs.
Methods: Qualitative expert interviews with 15 GPs based on a semi-structured interview guide were conducted. Qualitative content analysis was performed. This qualitative study is part of the mixed methods research project EMACROSS, a study of the Berlin health services research network EMANet.
Results: Patient motives and decision processes assumed by GPs correspond in wide parts to the GPs’ reasoning in cases of physician-initiated ED consultations. The timely availability of an extended spectrum of diagnostic and therapeutic options is stressed by the interviewees as relevant for both patients and GPs, and diagnostic investigation in case of subjectively worrying symptoms on the patient side is also emphasized. Care gaps feared by the physicians, e.g. on weekends, and access barriers in the ambulatory sector are also prominently thematized, with a seemingly central role of appointment problems in specialist care. Patients’ health competence is experienced by the GPs as limited. Media information sources (e.g. internet) and counseling by the GP are discussed as important influencing factors in this context.
Conclusion: In order to decrease non-urgent ED consultations, the results suggest that a reduction of organizational shortages in ambulatory care (limited consultation hours, appointment difficulties) could constitute a meaningful leverage point on the care provision side. On the demand side, strengthening individual health competence seems important. Counseling by the GP plays an important role in this regard.