Hintergrund: Mit dem Anstieg des Krankenstandes in Ost-Berlin und der Deutschen Demokratischen Republik überstiegen 1952 erstmals die Ausgaben des Gesundheitswesen dessen Einnahmen; gleichzeitig verursachte der Ausfall von Arbeitskräften ökonomische Verluste. In Ost-Berlin wurden ab 1954 Ärzteberatungskommissionen (ÄBKen) eingesetzt, um einerseits die Qualität der medizinischen Versorgung der Bevölkerung zu verbessern und andererseits die Krankschreibungspraxis von Ärzt*innen zu kontrollieren. Diesen Kommissionen mussten bis 1958 alle Patient*innen mit einer Krankschreibungsdauer ≥11 Tage vorgestellt werden. Ziel der Arbeit: Durch die Auswertung von Patientenkarteikarten konnte, am Fallbeispiel des Ost-Berliner Hausarztes Georg Bresan, untersucht werden, inwieweit die ÄBKen Einfluss auf die Krankschreibungspraxis von Ärzten hatten. Methoden: Es wurden alle Patientenkarteikarten des Hausarztes Georg Bresan erfasst, die Eintragungen zwischen 1. Januar 1957 und 31. Dezember 1958 sowie 1. Januar 1960 und 31. Dezember 1961 hatten. Dabei wurden erhoben: Alter, Geschlecht, Wohnort der Patient*innen, Grund, Dauer, Häufigkeit einer Krankschreibung und Vorstellung bei einer Ärzteberatungskommission. Maximal fünf Krankschreibungen wurden pro Patient*in mit Grund und Häufigkeit erhoben. Zur einheitlichen Bezeichnung der Krankschreibungsgründe wurde das Verzeichnis der Krankheiten und Todesursachen für Zwecke der Medizinalstatistik verwendet. Ergebnisse: Ausgewertet wurden Patientenkarteikarten von 1545 Patient*innen; 961 (62%) waren weiblich. In allen vier Jahren suchten mehr Frauen als Männer die Praxis auf. Bezüglich der Krankschreibung von Patient*innen im Arbeitsalter (Patientinnen: 15-60 Jahren, Patienten: 15-65 Jahren) zeigte sich folgendes: Die Krankschreibungsquote war bei Patienten höher als bei Patientinnen. Krankschreibungen dauerten 1957/58 und 1960/61 häufiger ≥ 11 Tage. 1960/61 war dieser Anteil bei Patientinnen höher als 1957/58. Patient*innen zwischen 40-60 Jahren bzw. 40-65 Jahren wurden häufiger ≥ 11 Tage krankgeschrieben als jüngere Patient*innen. Krankschreibungen mit einer Dauer von ≥22 Tagen gab es häufiger bei Frauen zwischen 25-39 Jahren und bei Männern zwischen 40-65 Jahren. Krankschreibungen ≥ 22 Tage führten eher zur ÄBK-Vorstellung als jene mit einer Dauer von 11-21 Tagen. Patient*innen zwischen 40-60 bzw. 40-65 Jahren wurden öfter einer ÄBK vorgestellt als Patient*innen anderer Altersgruppen. Ferner wurden Patientinnen dieser Altersgruppe eher einer ÄBK vorgestellt als Patienten; häufigster Vorstellungsgrund bei einer ÄBK waren Krankschreibungen wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zusammenfassung: Einzelne Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung legen nahe, dass die ÄBK-Arbeit Einfluss auf die Krankschreibungspraxis von Georg Bresan hatte. Das Krankenstandsniveau in Ost-Berlin konnte jedoch, nach offiziellen Statistiken, durch die Einführung der ÄBK-Arbeit nicht gesenkt werden. Stattdessen kam es zu einer Verkürzung der Krankschreibungsdauer bei gleichzeitig steigender Anzahl von Krankschreibungen; diese Entwicklung war im untersuchten Patientenkollektiv nicht nachzuvollziehen. Aspekte, wie die Alters- und Geschlechterstruktur des Patientenkollektivs, hatten vermutlich einen größeren Einfluss auf die Krankschreibungspraxis von Georg Bresan.
Background: In 1952, increased absence from work due to sick leave (SL) caused the costs of East-Berlin’s health care system to exceed its revenues. Also the absenteeism due to SL led to economic losses. In 1954, physician advisory committees (PACs) were introduced to improve the quality of health care and to exert more control over SL certifications; until 1958, all patients with SL of 11 days had to be presented to a PAC. Objective: Taking the practice of East-Berlin General Practitioner Georg Bresan as an example, it was evaluated through the analysis of his patient records whether the PACs influenced his issuing of SL certificates. Methods: All patient record cards of Georg Bresan that contained entries from Januar 1957 until Dezember 1958 and from Januar 1960 until Dezember 1961 were analyzed concerning the patient’s age, sex, place of residence as well as the duration and frequency of SL and PAC-evaluation. For the recording of SL reasons, the Verzeichnis der Krankheiten und Todesursachen für Zwecke der Medizinalstatistik was used. Results: Patient records of 1545 patients were evaluated; 961 (62%) were female. In all four years, women consulted Georg Bresan more frequently than men. Results concerning SL certifications for patients of working age (women 15-60 years, men 15-65 years): The rate of SL certifications was higher among men. SL duration 11 days was common in all years; 1960/61 the proportion of SL 11 days among women was higher than in 1957/58. Patients in working age 40 years more frequently got SL 11 days. SL 22 days was issued mostly to women between 25-39 years and men between 40-65 years. SL 22 days resulted in a PAC-evaluation more often than SL of 11-21 days. Patients in working age 40 years were more frequently evaluated by a PAC whereby women were more frequently evaluated than men. The most common reason for SL in patients who went to a PAC were Cardiovascular diseases. Conclusions: Some results of this study suggest that PACs had an influence on the work of Georg Bresan. However, aspects like the age and gender distribution of the patient collective may have been more important factors. The overall rate of absence from work due to SL in East-Berlin did not decline after the PACs were introduced; instead, the mean duration of SL showed a decline while the frequency of SL certifications rose - this development could not be seen in this study.