Hintergrund: Die Perspektive der Nutzer*innen von Gesundheitssystemen wird zunehmend als Ressource wahrgenommen, die Maßnahmen zur Steigerung der Qualität in der Erbringung von Versorgungsleistungen stimuliert. In diesem Kontext wurde das Konzept der Health System Responsiveness (HSR) entwickelt, das eines der übergeordneten Ziele eines jeden Gesundheitssystems darstellt. HSR umfasst die Fähigkeit eines Gesundheitssystems, die legitimen Erwartungen seiner Nutzer*innen an nicht- medizinische und nicht-finanzielle Aspekte des Versorgungsprozesses zu erfüllen. Für das deutsche Gesundheitssystem sind das bevölkerungsweite Niveau der HSR ebenso wie die Zusammenhänge mit sozialen Determinanten weitgehend unerforscht.
Ziel: Mit der vorliegenden Arbeit wurde das Ziel verfolgt, die Bewertung der HSR in der haus- und fachärztlichen Versorgung sowie Differenzen zwischen Sub-Gruppen der Patient*innen in dieser Bewertung in Deutschland zu identifizieren. Damit wurde ein Beitrag zur Messung der Leistungsfähigkeit des deutschen Gesundheitssystems erbracht.
Methoden: Die Untersuchung wurde auf Grundlage einer bevölkerungsweiten Versichertenbefragung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung im Jahr 2016 in Deutschland durchgeführt, die eine Stichprobe von 6.113 Erwachsenen umfasste. HSR wurde für Haus- und Facharztkonsultationen entlang der Dimensionen Freundlichkeit, Autonomie, Diskretion, Kommunikation und Vertrauen gemessen. Bivariate und multivariate binäre logistische Regressionen wurden für die statistische Analyse gerechnet.
Ergebnisse: Die Konsultation mit Haus- und Fachärzt*innen wurde von über 90 % der Befragten hinsichtlich Freundlichkeit, Autonomie, Kommunikation und Vertrauen als gut bewertet. Diskretion in der Arztpraxis wurde dagegen sowohl bei Haus- als auch Facharztbesuchen wesentlich schlechter beurteilt (50,3 % als gut bei Hausärzt*innen, 52,4 % als gut bei Fachärzt*innen). Eine negative Bewertung zeigte bei Hausarztkonsultationen einen Zusammenhang mit dem Alter (18 bis 34 Jahre) und Bildungsabschluss (höher als Hauptschule) der Befragten, bei Facharztkonsultationen ebenfalls mit dem Bildungsabschluss (höher als Hauptschule) sowie mit dem selbst eingeschätzten Gesundheitszustand (schlecht und sehr schlecht) und Grund des letzten Arztbesuchs (aktuelles Gesundheitsproblem).
Diskussion: Die Befunde dieser Studie offenbaren einen Bedarf an Maßnahmen, die die Infrastruktur und Prozesse innerhalb von Arztpraxen so gestalten, dass die Diskretion für Patient*innen besser gewahrt wird, und die HSR gegenüber jüngeren Patient*innen, mit mittlerem und hohem Bildungsniveau sowie denjenigen in schlechter gesundheitlicher Verfassung während Arztkonsultationen verbessern. Aufgrund der steigenden Bedeutung der Patientenorientierung in der Bewertung der Leistungsfähigkeit von Gesundheitssystemen ist anzunehmen, dass HSR auch in Deutschland zukünftig weiter an Relevanz gewinnen wird.
Background: The views of health system users are increasingly being appreciated as a resource for evaluating the provision of health services, promoting accountability and developing policies to prompt quality improvements in health care. In this context, the concept of Health System Responsiveness (HSR) has emerged as one of the major performance goals by which to measure health systems. HSR comprises the ability of a health system to meet the population’s legitimate expectations regarding non-medical and non-financial aspects of the care process. In Germany, overall population levels of HSR as well as associations with social determinants are understudied, however.
Objective: The aim of this research was to determine overall population levels of HSR, as well as differences in the assessment between patient sub-groups for ambulatory health care, consisting of general practitioners (GPs) and specialists (SPs). This analysis contributes to the performance assessment of the German health system.
Methods: This doctoral work drew on the 2016 national health survey Versichertenbefragung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Germany, with a sample of 6,113 adults. HSR was measured for GP and SP consultations along the domains of dignity, autonomy, confidentiality, communication and trust. Bivariate and multivariate binary logistic regression techniques were applied for the statistical analyses.
Results: Over 90 % of all respondents assessed the dignity, autonomy, communication and trust they experienced during their last GP and SP consultation as good. Only half of all study participants rated the confidentiality during their visit positively (for GP consultations: 50.3 %; for SP consultations: 52.4 %). For GP visits, patients 18–34 years of age, and patients with an intermediate or higher level of education were more likely to experience lower levels of HSR. For SP visits, patients with an intermediate or higher level of education, as well as patients with a (very) poor self-assessed health status and a current health problem were more likely to experience lower levels of HSR.
Discussion: In German ambulatory care in 2016, a great majority of patients experienced high levels of HSR during their last consultation. However, the results imply a need for measures that improve health service delivery infrastructures and processes in doctors’ offices, as well as for targeted measures for young adults, patients with an intermediate or higher level of education, and those with the poorest health status. Due to the increasing focus on patient experiences in assessing the performance of health systems, further scrutiny of HSR in Germany is pertinent.